WACHSTUM. BILDUNG. ZUSAMMENHALT.

Koalitionsvertrag zwischen CDU, CSU und FDP 17. Legislaturperiode

- Entwurf -


  1. I. WOHLSTAND FÜR ALLE

    Durch nachhaltiges Wirtschaften

    1. 1. Wachstum und Aufschwung
      1. 1.1 Motivation und Entlastung
      2. 1.2 Der Weg aus der Krise
      3. 1.3 Investitionsbremsen lösen
    2. 2. Generationengerechte Finanzen
    3. 3. Arbeitschancen für alle
      1. 3.1 Arbeitsmarkt
      2. 3.2 Verantwortung für das Unternehmen, Partnerschaft im Betrieb
      3. 3.3 Ältere Arbeitnehmer
    4. 4. Nachhaltiges Wirtschaften und Klimaschutz
      1. 4.1 Mittelstand
      2. 4.2 Klimaschutz, Energie und Umwelt
      3. 4.3 Neue Technologien, Industrieland Deutschland
      4. 4.4 Moderne Infrastruktur
        1. 4.4.1 Mobilität
        2. 4.4.2 Bauen und Wohnen
      5. 4.5 Ernährung und Verbraucherschutz
      6. 4.6 Landwirtschaft und ländlicher Raum
      7. 4.7 Dienstleistungen
    5. 5. Faire Regeln für die Weltwirtschaft
    6. 6. Deutsche Einheit
  2. II. BILDUNGSREPUBLIK DEUTSCHLAND

    Durch gute Bildung und starke Forschung

    1. 1. Bildung
      1. 1.1. Bildungsbündnisse vor Ort
      2. 1.2. Sprache als Schlüssel für den Bildungsaufstieg
      3. 1.3. Bildungsfinanzierung
      4. 1.4. Qualität für Bildung und Erziehung
      5. 1.5. Qualität für Studium und Hochschule
      6. 1.6. Modernes Berufsbildungssystem
      7. 1.7. Duales System
      8. 1.8. Ausbildung für alle
      9. 1.9. Lebensbegleitendes Lernen
    2. 2. Wissenschaft und Forschung
  3. III. SOZIALER FORTSCHRITT

    Durch Zusammenhalt und Solidarität

    1. 1. Ehe, Familie und Kinder
    2. 2. Jugendliche
    3. 3. Senioren
    4. 4. Gleichstellung
    5. 5. Integration und Zuwanderung
    6. 6. Ehrenamt
    7. 7. Soziale Hilfe und Sozialversicherungen
      1. 7.1 Arbeitslosenversicherung und Bundesagentur für Arbeit
      2. 7.2 Grundsicherung
      3. 7.3 Weitere Sozialversicherungen
      4. 7.4 Menschen mit Behinderungen
    8. 8. Rente
    9. 9. Gesundheit und Pflege
      1. 9.1. Gesundheit
      2. 9.2. Pflege
    10. 10. Religion, Geschichte und Kultur; Sport
  4. IV. FREIHEIT UND SICHERHEIT

    Durch Bürgerrechte und starken Staat

    1. 1. Innere Sicherheit und Bürgerrechte
    2. 2. Informations- und Mediengesellschaft
    3. 3. Datenschutz
    4. 4. Rechtspolitik
    5. 5. Moderner Staat
  5. V. SICHERER FRIEDEN

    Durch Partnerschaft und Verantwortung in Europa und der Welt

    1. 1. Deutschland in Europa
    2. 2. Wertegebundene und interessengeleitete Außenpolitik
    3. 3. Deutschland in internationaler Verantwortung
    4. 4. Internationale Einsätze und Instrumente deutscher Sicherheitspolitik
    5. 5. Leistungsstarke und moderne Bundeswehr
    6. 6. Menschenrechte schützen - Rechtsstaatlichkeit fördern
    7. 7. Auswärtige Kultur- und Bildungspolitik
    8. 8. Entwicklungszusammenarbeit
  6. VI. Verfahren und Ämter


1

I. WOHLSTAND FÜR ALLE

2Durch nachhaltiges Wirtschaften
3
41. Wachstum und Aufschwung
5
6 Unsere wirtschaftspolitische Leitlinie ist die Soziale Marktwirtschaft. Sie greift weit
7 über ökonomische Ziele hinaus, ist ein unverzichtbarer Teil einer freiheitlichen of-
8 fenen Gesellschaft. Wir achten, schützen und verteidigen die Wirtschaftsordnung
9 der Sozialen Marktwirtschaft mit aller Kraft. Das System der Sozialen Marktwirt-
10 schaft hat nicht nur zu großem Wohlstand breiter Bevölkerungsgruppen, sondern
11 auch zu einem einmaligen sozialen Frieden in der Bundesrepublik Deutschland
12 geführt. Die Ordnungspolitik setzt in der Sozialen Marktwirtschaft die Rahmenbe-
13 dingungen. Deren oberstes Ziel muss sein, dass Bürger und Unternehmen ihre
14 produktiven Kräfte entfalten und ihr Eigentum sichern können. Dabei ist es eine
15 Daueraufgabe des Staates, diesen Ordnungsrahmen den gesellschaftlichen und
16 wirtschaftlichen Entwicklungen anzupassen und zu verbessern. Wir verfolgen eine
17 Wirtschaftspolitik, die auf Stetigkeit, Solidität und Verlässlichkeit ausgerichtet ist
18 und mit der richtigen Ausrichtung aus Ordnungs-, Steuer-, und Innovationspolitik
19 entschlossen handelt, auch international und auf europäischer Ebene.
20
21 In der jetzigen Situation gilt es, den Einbruch des wirtschaftlichen Wachstums so
22 schnell wie möglich zu überwinden und zu einem neuen, stabilen und dynami-
23 schen Aufschwung zu kommen. In der außergewöhnlichen Situation, in der sich
24 die deutsche wie die internationale Wirtschaft befindet, dürfen das Vertrauen der
25 Bürger und die Investitionsbereitschaft der Unternehmen jetzt nicht durch Entzug
26 von Kaufkraft höhere Belastung der Arbeitskosten und Kürzungen bei öffentlichen
27 und privaten Investitionen gefährdet werden. Dies wäre auch im historischen
28 Maßstab ein schwerer Fehler. Die Koalition wird vielmehr auf diese Herausforde-
29 rung mit einer Strategie der Stärkung und Verlässlichkeit antworten. Sie beruht auf
30 drei zentralen Ansätzen:
31
32 o Wir werden erstens die Motivation und Leistungsbereitschaft der Arbeit-
33 nehmer und Arbeitgeber in unserem Land schnell und deutlich stärken, in-
34 dem wir sofort damit beginnen, die Steuern zu senken, bürokratische
35 Hemmnisse abzubauen und mehr Anreize zu schaffen, damit sich reguläre,
36 sozialversicherungspflichtige Arbeit in allen Bereichen lohnt. Wir werden die
37 Quellen des Wachstums für morgen in den Mittelpunkt stellen, dies betrifft
38 insbesondere Bildung und Forschung und neue Technologien, Produkte
39 und Dienstleistungen. Hier entscheidet sich mehr als an anderen die lang-
40 fristige Zukunftskraft Deutschlands.
41
42 o Wir werden zweitens einen nachhaltigen Kurs der Sparsamkeit, der Trans-
43 parenz der öffentlichen Finanzen und der verlässlichen Konsolidierung der
44 öffentlichen Haushalte verfolgen. Die finanziellen Folgen des Wachstums-
45 einbruchs werden wir nicht ungeschehen machen können. Wir sind aller-
46 dings überzeugt, dass wir sie durch die Kombination aus nachhaltigem
47 Wachstum und kluger Sparsamkeit schrittweise abtragen und in den kom-
48 menden Jahren neue Stärke für unser Land gewinnen können.
49
50 o Wir werden drittens in der schwierigen Phase, in der der Arbeitsmarkt, die
51 Unternehmen und die Banken noch die unmittelbaren Folgen der Finanz-
52 und Wirtschaftskrise zu verkraften haben, Beschäftigung sichern und den
53 Unternehmen Hilfe bei der Finanzierung insbesondere ihrer Investitionen
54 bereit stellen. Zwar erforderte die Weltwirtschaftskrise eine vorübergehende
55 stärkere Rolle des Staates. Aber CDU, CSU und FDP sind sich einig: Die
56 Beteiligung des Staates an Wirtschaftsunternehmen und Finanzinstituten ist
57 so eng wie möglich zeitlich zu begrenzen. Dazu werden wir jetzt mit einer
58 Ausstiegs-Strategie beginnen.
59
601.1. Motivation und Entlastung
61
62Mehr Netto vom Brutto
63
64 Wir wollen eine Steuerpolitik, die die Leistungsbereitschaft der Bürgerinnen und
65 Bürger stärkt. Wir wollen eine Steuerpolitik, die für die Unternehmen in Deutsch-
66 land Rahmenbedingungen schafft, die ihr auch in Zeiten der Globalisierung ihre
67 starke Stellung ermöglicht.
68
69 Wir verstehen Steuerpolitik als Wachstumspolitik, denn wir wissen, dass Basis
70 aller Staatsfinanzen die Arbeit der Bürger unseres Landes und die wirtschaftlich
71 erfolgreichen Unternehmen sind. Mehr finanzieller Spielraum ist Voraussetzung für
72 mehr Konsum und mehr Investitionen.
73
74 Die Bürger empfinden aber nicht nur die Höhe der Steuer- und Abgabenlast als
75 demotivierend, sondern auch die Kompliziertheit und Unklarheit des deutschen
76 Steuerrechts. Deshalb wollen wir, dass Steuern "einfach, niedrig und gerecht"
77 sind. Wir streben an, die paritätisch finanzierten Lohnzusatzkosten (Sozialversi-
78 cherungsbeiträge) unter 40% vom Lohn zu halten.
79
80 Wir werden dafür sorgen, dass sich Arbeit lohnt, dass den Bürgern mehr Netto
81 vom Bruttoeinkommen bleibt. Das Steuersystem und das Besteuerungsverfahren
82 werden wir deutlich vereinfachen und für die Anwender freundlicher gestalten.
83
84 Die steuerlichen Entlastungen schaffen die nachhaltige Grundlage für gesunde
85 Staatsfinanzen. Eine weitere wichtige Aufgabe ist die strenge Begrenzung der
86 Schulden nach der neuen Schuldenregel unserer Verfassung.
87
88 Wir halten an den durch den Gesetzgeber beschlossenen Entlastungen in der
89 Lohn- und Einkommensteuer fest. Das bedeutet, dass durch die erweiterte Ab-
90 setzbarkeit der Krankenversicherungsbeiträge und den Einstieg in die Beseitigung
91 der kalten Progression eine Steuerentlastung in Höhe von rund 14 Milliarden Euro
92 jährlich zum 1.1.2010 verwirklicht wird.
93
94 Wir wollen darüber hinaus eine steuerliche Entlastung insbesondere für die unte-
95 ren und mittleren Einkommensbereiche sowie für die Familien mit Kindern in ei-
96 nem Gesamtvolumen von 24 Mrd. Euro (volle Jahreswirkung) im Laufe der Legis-
97 laturperiode umsetzen.
98
99 Der Kinderfreibetrag wird in einem ersten Schritt zum 1.1.2010 auf 7008,- Euro
100 und das Kindergeld um je 20,- Euro erhöht.
101
102 Wir werden insbesondere die unteren und mittleren Einkommensbezieher vorran-
103 gig entlasten und gleichzeitig den Mittelstandsbauch abflachen, indem wir den
104 Einkommensteuertarif zu einem Stufentarif umbauen. Zahl und Verlauf der Stufen
105 wird unter Berücksichtigung dieses Zieles entwickelt.
106
107 Der Tarif soll möglichst zum 1.1.2011 in Kraft treten.
108
109
1101.2 Der Weg aus der Krise
111
112Sofortprogramm krisenentschärfende Maßnahmen
113
114 Um schnell und effektiv Wachstumshemmnisse zu beseitigen, werden wir unver-
115 züglich mit einem Sofortprogramm zum 1. Januar 2010 beginnen. Die Verlust- und
116 Zinsabzugsbeschränkungen sowohl für international aufgestellte Konzerne als
117 auch für mittelständische Unternehmen werden entschärft. Zu diesem Zweck wer-
118 den wir:
119
120 bei den Verlustabzugsbeschränkungen ("Mantelkauf")
121 o die zeitliche Beschränkung bei der Sanierungsklausel zur Verlustnutzung
122 bei Anteilsübertragungen aufheben,
123
124 o den Abzug von Verlusten bei Umstrukturierungen innerhalb verbundener
125 Unternehmen - soweit erforderlich - wieder zulassen ("Konzernklausel"),
126
127 o den Übergang der Verluste in Höhe der stillen Reserven zulassen,
128
129 bei den Zinsabzugsbeschränkungen ("Zinsschranke")
130 o die höhere Freigrenze von 3 Mio. Euro dauerhaft einführen, um insbeson-
131 dere kleinere und mittlere Unternehmen zu entlasten,
132
133 o einen Vortrag des EBITDA rückwirkend ab dem Jahr 2007 für einen Zeit-
134 raum von jeweils fünf Jahren einführen, um den Zinsabzug für die Unter-
135 nehmen auch bei Konjunkturschwankungen zu verstetigen,
136
137 o die Escape-Klausel überarbeiten und für deutsche Konzerne anwendbar
138 machen,
139 bei den grenzüberschreitenden Leistungsbeziehungen
140 o unverzüglich die negativen Auswirkungen der Neuregelung zur Funktions-
141 verlagerung auf den Forschungs- und Entwicklungsstandort Deutschland
142 beseitigen,
143
144 bei den gewerbesteuerlichen Hinzurechnungen
145 o den Hinzurechnungssatz bei den Immobilienmieten von 65% auf 50% redu-
146 zieren (alle übrigen Fragen werden in die Kommission "Gemeindefinanzen"
147 einbezogen),
148
149 bei der Grunderwerbsteuer
150 o die Umstrukturierung von Unternehmen durch eine Konzernklausel erleich-
151 tern,
152
153 bei den Ertragsteuern
154 o ein Wahlrecht einführen, die Sofortabschreibung für geringwertige Wirt-
155 schaftsgüter bis 410 Euro oder die Poolabschreibung für alle Wirtschaftsgü-
156 ter zwischen 150 und 1000 Euro anzuwenden.
157
158Steuervereinfachung
159
160 Wir werden das Steuerrecht spürbar vereinfachen und von unnötiger Bürokratie
161 befreien. Davon werden alle profitieren, sowohl die Steuerzahler als auch die
162 Steuerverwaltung und die steuerberatenden Berufe. Wir werden insbesondere
163
164 o die Steuererklärungsvordrucke und Erläuterungen verständlicher und an-
165 wendungsfreundlicher ausgestalten,
166
167 o allen Bürgern die Möglichkeiten geben, ohne Papierbelege mit den Finanz-
168 ämtern zu kommunizieren,
169
170 o noch in dieser Legislaturperiode allen Bürgern auf Wunsch eine vorausge-
171 füllte Steuererklärung mit den bei der Finanzverwaltung vorhandenen Da-
172 ten zur Verfügung stellen,
173
174 o den steuerlichen Abzug privater Steuerberatungskosten wieder einführen,
175
176 o ein schlüssiges und verständliches Konzept der steuerlichen Berücksichti-
177 gung von Aufwendungen für Familien und Kinder und im Haushalt,
178
179 o die steuerliche Abzugsfähigkeit von Ausbildungskosten neu ordnen,
180
181 o die Besteuerung der Rentnerinnen und Rentner so vereinfachen, dass kein
182 aufwändiges Kontrollmitteilungsverfahren und keine separate Erklärungs-
183 pflicht für Rentenbezüge mehr notwendig ist,
184
185 o den Abzug von Kosten für ein Pflegeheim durch Pauschalierung vereinfa-
186 chen anstelle des heutigen Einzelnachweises der Kosten,
187
188 o die steuerliche Förderung der privaten Altersvorsorge entbürokratisieren
189 und flexibilisieren,
190
191 o gleichheitswidrige Benachteiligungen im Steuerrecht abbauen und insbe-
192 sondere die Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts zur Gleich-
193 stellung von Lebenspartnern mit Ehegatten umsetzen,
194
195 o die Besteuerung von Jahreswagenrabatten für Mitarbeiter zügig auf ein re-
196 alitätsgerechtes Maß bringen; in diesem Zusammenhang werden wir auch
197 die Angemessenheit der Besteuerung des geldwerten Vorteils aus der Pri-
198 vatnutzung betrieblicher Fahrzeug überprüfen,
199
200 o grundsätzlich rückwirkende gesetzgeberische Maßnahmen vermeiden,
201 welche die Bürger belasten,
202
203 o dafür sorgen, dass sich BMF-Schreiben auf die Auslegung der Gesetze be-
204 schränken und die Praxis der Nichtanwendungserlasse zurückgeführt wird,
205
206 o prüfen, ob Arbeitnehmer die Steuerklärung auch für einen Zeitraum von
207 zwei Jahren abgeben können,
208
209 o die Gebührenpflicht für die verbindliche Auskunft auf wesentliche und auf-
210 wändige Fälle beschränken,
211
212 o das Kontenabrufverfahren überprüfen,
213
214 o zur Erhöhung der Planungssicherheit auf Seiten der Unternehmen und der
215 Finanzverwaltung dafür sorgen, dass der Gedanke der zeitnahen Betriebs-
216 prüfung verwirklicht wird. Betriebsprüfungen müssen grundsätzlich inner-
217 halb von fünf Jahren nach Beginn bzw. dann abgeschlossen sein, wenn die
218 neue Betriebsprüfung beginnt,
219
220 o den Abzug von außergewöhnlichen Belastungen vereinfachen und in die-
221 sem Zusammenhang stärker typisieren und pauschalieren,
222
223 o die elektronische Rechnungsstellung auf möglichst unbürokratische Weise
224 ermöglichen.
225
226Reform der Erbschaftsteuer
227
228 Wir werden die Regelungen bei der Erbschaftsteuer entbürokratisieren, familien-
229 gerechter, planungssicherer und mittelstandsfreundlicher machen. Hierzu werden
230 wir als Sofortprogramm vorab
231 o die Steuerbelastung für Geschwister und Geschwisterkinder durch einen
232 neuen Steuertarif von 15 bis 43 Prozent senken
233 und
234 o die Bedingungen für die Unternehmensnachfolge krisenfest ausgestalten.
235 Wir streben an, die Zeiträume zu verkürzen, innerhalb dessen das Unter-
236 nehmen weitergeführt werden muss. Die erforderlichen Lohnsummen wol-
237 len wir absenken.
238
239 Wir werden in Gespräche mit den Ländern eintreten, um zu prüfen, ob die Erb-
240 schaftsteuer hinsichtlich Steuersätzen und Freibeträgen regionalisiert werden
241 kann.
242
243Mittelfristige Ziele für die Unternehmensbesteuerung
244
245 Steuerpolitik ist auch Standortpolitik. Aus diesem Grund wollen wir das Unter-
246 nehmenssteuerrecht weiter modernisieren und international wettbewerbsfähig
247 gestalten. Aufkommensneutralität sollte gewahrt bleiben. Unternehmerische Ent-
248 scheidungen sollten sich - unabhängig von Rechtsform, Organisation und Finan-
249 zierung - in erster Linie nach wirtschaftlichen Gesichtspunkten und nicht nach
250 steuerlichen Aspekten richten. Auch der Holdingstandort Deutschland soll gestärkt
251 werden. Ansatzpunkte für eine Prüfung sind:
252 o eine Neustrukturierung der Regelungen zur Verlustverrechnung,
253 o die grenzüberschreitende Besteuerung von Unternehmenserträgen,
254 o die Einführung eines modernen Gruppenbesteuerungssystems anstelle der
255 bisherigen Organschaft
256
257 Darüber hinaus wollen wir uns mit dem Problem der zweifachen Besteuerung von
258 Unternehmenserträgen auf der Ebene der Unternehmen und Anteilseigner einer-
259 seits und der nur einfachen Besteuerung der Erträge aus risikoarmen Zinsproduk-
260 ten andererseits auseinandersetzen.
261
262 Wir werden unsere Politik der Doppelbesteuerungsabkommen auf die internatio-
263 nale Wettbewerbsfähigkeit unserer Unternehmen ausrichten und deshalb grund-
264 sätzlich an der Freistellung der ausländischen Einkünfte festhalten.
265
266 Die Bemühungen im Kampf gegen die internationale Steuerhinterziehung werden
267 wir weiter vorantreiben.
268
269 Wir werden eine Kommission zur Erarbeitung von Vorschlägen zur Neuordnung
270 der Gemeindefinanzierung einsetzen. Diese soll auch den Ersatz der Gewerbe-
271 steuer durch einen höheren Anteil an der Umsatzsteuer und einen kommunalen
272 Zuschlag auf die Einkommen- und Körperschaftsteuer mit eigenem Hebesatz prü-
273 fen.
274
275Umsatzsteuer
276
277 Auch die Umsatzsteuer muss an die modernen Anforderungen angepasst werden.
278 Eine Umstellung auf die Ist-Besteuerung auf Leistungserbringer- und -
279 empfängerseite könnte beispielsweise zur Bekämpfung des Steuerbetrugs und zur
280 Verbesserung der Zahlungsmoral beitragen. Deshalb werden wir im Verlauf der
281 Legislaturperiode unter Einbeziehung der europäischen Vorgaben prüfen, ob und
282 in welchem Umfang das Prinzip der Ist-Besteuerung der Umsätze ausgeweitet
283 werden kann.
284
285 Daneben gibt es Handlungsbedarf bei den ermäßigten Mehrwertsteuersätzen. Be-
286 nachteiligungen gehören auf den Prüfstand. Aus diesem Grund wollen wir eine
287 Kommission einsetzen, die sich mit der Systemumstellung bei der Umsatzsteuer
288 sowie dem Katalog der ermäßigten Mehrwertsteuersätze befasst.
289 Dabei gilt es auch, die europäische Wettbewerbssituation bestimmter Bereiche zu
290 berücksichtigen. Deshalb wollen wir ab dem 1.1.2010 für Beherbergungsleistun-
291 gen in Hotel- und Gastronomiegewerbe den Mehrwertsteuersatz auf 7 Prozent
292 ermäßigen.
293
294 Die Umsatzbesteuerung von Postdienstleistungen ist mit Blick auf die jüngste
295 EuGH-Rechtsprechung umgehend so anzupassen, dass keine steuerliche Un-
296 gleichbehandlung mehr besteht. Nach dem Urteil des EuGH bleibt die Grundver-
297 sorgung der Bürger mit Postdienstleistungen umsatzsteuerfrei.
298
299 Wir streben Wettbewerbsgleichheit kommunaler und privater Anbieter insbesonde-
300 re bei der Umsatzsteuer an, um Arbeitsplätze zu sichern und Investitionen zu er-
301 möglichen. Aufgaben der Daseinsvorsorge sollen nicht über die bestehenden Re-
302 gelungen hinaus steuerlich belastet werden.
303
304 Wir wollen die Wettbewerbsfähigkeit für die heimische Produktion von Biokraftstof-
305 fen auch unter steuerlichen Gesichtspunkten erhalten. Für die Branche muss Pla-
306 nungssicherheit gewährleistet sein.
307
308 Wir streben eine steuerliche Förderung von Forschung und Entwicklung an, die
309 zusätzliche Forschungsimpulse insbesondere für kleine und mittlere Unternehmen
310 auslöst.
311
312 Die bereits beschlossene Einkommensteuerentlastung, das Sofortprogramm für
313 Familien, die Änderungen der Unternehmenssteuerreform und die Erbschaftsteuer
314 belaufen sich damit zum 1.1.2010 auf ein Gesamtvolumen von rund 21 Mrd. Euro.
315 Sie bilden damit einen starken Impuls zu Beginn der neuen Legislaturperiode, der
316 dabei hilft, Deutschland aus der Krise zu führen.
317
3181.3. Investitionsbremsen lösen
319
320Bürokratieabbau
321
322 Der freiheitliche Staat soll nicht bevormunden, sondern den Gestaltungsraum von
323 Bürgern und Unternehmen respektieren. Regulierungen sollen nur dort geschaffen
324 werden, wo es zum Schutz des Schwächeren und zur Wahrung wichtiger Ge-
325 meinschaftsgüter und eines Ordnungsrahmens erforderlich ist. Regeln sind kein
326 Selbstzweck, weshalb es nicht mehr Regeln geben soll, als erforderlich. Notwen-
327 dige Regelungen müssen schlank und verlässlich, Verwaltungs- und gerichtliche
328 Verfahren zügig sein.
329
330 Bürokratieabbau und bessere Rechtsetzung wirken wie ein Wachstumsprogramm
331 zum Nulltarif. Gerade in Zeiten der Wirtschaftskrise wollen wir dieses Potential
332 nutzen. Alle Ressorts werden deshalb bestehende Bürokratielasten fortlaufend
333 und eigenständig reduzieren und neue Belastungen vermeiden.
334
335 Bisher werden die durch die gesetzlichen Informationspflichten der Wirtschaft ver-
336 ursachten Kosten gemessen. Um die Bürokratiekosten weiter einzudämmen, wer-
337 den wir künftig
338 o die gesetzlichen Informationspflichten auch für die Bürger
339 und
340 o die gesetzlichen Handlungspflichten für Wirtschaft, Bürger und Verwaltung
341 prüfen, bevor Gesetze vorgelegt werden.
342
343 Dazu werden wir den Normenkontrollrat (NKR) stärken und seine Kompetenzen
344 ausbauen. Wir prüfen, wie das gegenwärtige Mandat des NKR bei der Verab-
345 schiedung neuer Regelungen auf die Einhaltung der methodengerechten Durch-
346 führung der festgelegten Anforderungen erweitert werden kann. Bei Gesetzen,
347 Rechtsverordnungen und Verwaltungsvorschriften ist verstärkt von der Möglichkeit
348 der Befristung Gebrauch zu machen. Der Normenkontrollrat wird gebeten, bei sei-
349 nen Stellungnahmen die Möglichkeiten der Befristung ausdrücklich zu untersu-
350 chen. Insbesondere wollen wir eine Plausibilitätsprüfung der so genannten sonsti-
351 gen Bürokratiekosten in den Aufgabenbereich des NKR übertragen.
352
353 Vor der Verständigung auf Vorschläge der Bundesregierung für eine erneute Beru-
354 fung des NKR werden wir Größe und Zusammensetzung dieses Gremiums vor
355 dem Hintergrund seines erweiterten Mandats überprüfen.
356
357 Wir bekräftigen die bestehende Verpflichtung, die gemessenen Kosten aus bun-
358 desrechtlichen Informationspflichten der Wirtschaft bis 2011 im Vergleich zu 2006
359 um netto 25 Prozent zu reduzieren. Dazu legen die Bundesministerien bis 1. Juli
360 2010 jeweils verbindliche Umsetzungspläne vor. Über den Zeitraum 2011 hinaus
361 wird die Bundesregierung ein weiteres anspruchsvolles Reduktionsziel auch für
362 den gesamten gemessenen Erfüllungsaufwand festlegen.
363
364 Wir werden in einem ersten Schritt umgehend konkrete Möglichkeiten aufzeigen,
365 wie in den folgenden Bereichen für Wirtschaft, Bürgerinnen und Bürger und die
366 Verwaltung der gesamte messbare Erfüllungsaufwand um durchschnittlich 25 Pro-
367 zent netto reduziert werden kann und bis 2011 entsprechende Änderungen in fol-
368 genden Bereichen vornehmen, beispielsweise:
369 - Planungs- und Baurecht von Infrastrukturvorhaben;
370 - Steuererklärungen, steuerliche und zollrechtliche Nachweispflichten;
371 - Harmonisierung und Verkürzung der Aufbewahrungs- und Prüfungsfristen
372 nach Handels-, Steuer-, und Sozialrecht;
373 - Betriebliche Beauftragte;
374 - Antrag auf gesetzliche Leistungen, insbesondere für
375 o Existenzgründer und Kleinunternehmen sowie bei drohender Firmenin-
376 solvenz;
377 o Menschen, die pflegebedürftig, chronisch krank oder akut schwer krank
378 sind;
379 o Familien und Alleinerziehende;
380 - Erleichterung der elektronischen Übermittlung der Gewerbeanzeige.
381
382 Wir prüfen, wie die Verpflichtungen und Schwellenwerte des Handels-, Steuer-,
383 Arbeits- und Sozialrechts rechtsbereichsübergreifend harmonisiert werden können
384 (z. B. Vereinheitlichung des Einkommensbegriffs). Die von Arbeitgebern auszu-
385 stellenden Bescheinigungen und Entgeltnachweise werden bis spätestens 2015 in
386 ein elektronisches Verfahren überführt.
387
388 Wir wollen innerhalb der Bundesregierung ein "Frühwarnsystem" mit einer mit-
389 telstandsorientierten Gesetzesfolgenabschätzung für europäische Regelungen
390 implementieren.
391
392 Wir setzen uns aktiv für die Einsetzung eines unabhängigen Rates für Bürokratie-
393 abbau bei der EU-Kommission nach dem Vorbild des NKR ein und fordern die EU-
394 Kommission auf, weitere Vereinfachungsmaßnahmen auf den Weg zu bringen,
395 insbesondere auf dem Gebiet der Landwirtschaft. Die Tätigkeit des NKR und des
396 geplanten unabhängigen Rates für Bürokratieabbau sind miteinander zu vernetzen
397 und aufeinander abzustimmen. Außerdem unterstützen wir die Annahme der Ver-
398 einfachungsvorschläge der EU-Kommission aus dem Aktionsprogramm zum Ab-
399 bau von Verwaltungslasten. Wir werden bei den Verhandlungen zu neuen Rege-
400 lungsvorhaben der EU auf einer plausiblen Folgekostenschätzung bestehen und
401 eigene Vorschläge zur Vereinfachung einbringen. Wir werden EU-Richtlinien wett-
402 bewerbsneutral ("1 zu 1") umsetzen, damit Unternehmen am Standort Deutsch-
403 land kein Wettbewerbsnachteil entsteht.
404
405 Das geltende AGG werden wir im Hinblick auf einen möglichen Abbau von Büro-
406 kratielasten überprüfen.
407
408 Wir setzen uns aktiv gegen alle Formen von Diskriminierung ein. Den ungeeigne-
409 ten Entwurf der Europäischen Kommission zur 5. Antidiskriminierungsrichtlinie
410 lehnen wir allerdings ab.
411
412Genehmigungsverfahren
413
414 Wir prüfen, wo Initiativen ergriffen werden können, um Genehmigungsverfahren,
415 die bundesgesetzlich geregelt sind, zu verkürzen und zu beschleunigen. Geneh-
416 migungsverfahren sind, wenn möglich, inhaltlich zu reduzieren und verfahrens-
417 und kompetenzmäßig zu konzentrieren. Dabei ist dem Anzeigeverfahren ein grö-
418 ßeres Gewicht einzuräumen. Insbesondere streben wir an, in Abstimmung mit den
419 Ländern Genehmigungsverfahren im Baurecht zu straffen. Außerdem werden wir
420 Umfang und Breite der gerichtlichen Überprüfungskompetenz untersuchen und wo
421 möglich auf das notwendige rechtliche Maß zurückführen.
422
423 Wir befürworten die Einrichtung von Modellregionen für den Bürokratieabbau.
424
425Vergaberecht
426
427 Die deutsche Wirtschaft braucht ein leistungsfähiges, transparentes, mittelstands-
428 gerechtes und unbürokratisches Vergaberecht. Zur Erleichterung des Zugangs zu
429 den Beschaffungsmärkten und zur Stärkung eines offenen und fairen Wettbe-
430 werbs um öffentliche Aufträge soll das bestehende Vergaberecht reformiert und
431 weiter gestrafft werden. Ziel ist es, das Verfahren und die Festlegung der Verga-
432 beregeln insgesamt zu vereinfachen und transparenter zu gestalten. Wir stärken
433 die Transparenz im Unterschwellenbereich. Die Erfahrungen aus der Anhebung
434 der Schwellenwerte in der VOB und VOL werden evaluiert und die Ergebnisse bei
435 der Reform des Vergaberechts berücksichtigt. Zur Reform des Vergaberechts wird
436 ein wirksamer Rechtsschutz bei Unterschwellenaufträgen gehören. Ein Gesetz-
437 entwurf für das reformierte Vergaberecht wird bis Ende 2010 vorgelegt.
438
439 Das Bauforderungssicherungsgesetz wird alsbald und umfänglich hinsichtlich der
440 Zielerreichung überprüft.
441
442 Die Zahlungsmoral der öffentlichen Hand muss deutlich verbessert werden. Die
443 2009 eingeführte Berücksichtigung vergabefremder Aspekte wird in ihren Wirkun-
444 gen geprüft und gegebenenfalls korrigiert.
445
446Unternehmensfinanzierung
447
448 Wir werden die Bedingungen für Unternehmensfinanzierung verbessern. Deutsch-
449 lands Mittelstand darf nicht in eine Kreditklemme geraten. Dazu wollen wir das
450 Kredit- und Bürgschaftsprogramm (Deutschlandfonds) evaluieren und prüfen, ob
451 und welche Anpassungen zur Unterstützung insbesondere auch unserer mittel-
452 ständischen Wirtschaft notwendig sind. Wir überprüfen gegebenenfalls Struktur
453 und zeitliche Ausrichtung des Deutschlandfonds. Ein Kreditmediator bündelt - in
454 Abstimmung mit entsprechenden Einrichtungen auf Länderebene - die Beschwer-
455 den der Fremdkapital suchenden Unternehmen und versucht mit der Kreditwirt-
456 schaft konstruktive Lösungen zu finden. Es werden die Möglichkeiten einer schnell
457 verfügbaren und unbürokratischen Liquiditätshilfe für kleine Unternehmen geprüft.
458
459GWB-Novelle
460
461 In das Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen wird als ultima ratio ein Ent-
462 flechtungsinstrument integriert. Darüber hinaus werden Elemente der europäi-
463 schen Fusionskontrolle übernommen. Das Kartellamt wird weiterhin Konzentrati-
464 onstendenzen und Nachfragemacht beobachten. Das Kartellamt wird bei der wett-
465 bewerblichen Folgenabschätzung am Gesetzgebungsverfahren beteiligt. Zur Si-
466 cherung freier und fairer Märkte setzen wir uns für ein unabhängiges europäisches
467 Kartellamt ein.
468
469Reform des Insolvenzrechts
470
471 Das Insolvenzrecht muss den neuen Herausforderungen angepasst werden. Wir
472 werden ein Instrumentarium schaffen, dass es der Bankenaufsicht frühzeitig er-
473 möglicht, systemrelevante Finanzinstitute im Rahmen eines geordneten Verfah-
474 rens zu restrukturieren.
475
476 Wir wollen die Restrukturierung und Fortführung von sanierungsfähigen Unter-
477 nehmen erleichtern und damit den Erhalt von Arbeitsplätzen ermöglichen. Hierzu
478 gehört es, die rechtlichen Rahmenbedingungen für außergerichtliche Sanierungs-
479 verfahren für Unternehmen im Vorfeld einer drohenden Insolvenz zu verbessern.
480
481 Das Insolvenzplanverfahren soll vereinfacht und im Sinne eines Restrukturie-
482 rungsrechts noch stärker auf die Frühsanierung von Unternehmen ausgerichtet
483 werden. Für Kreditinstitute ist ein früh eingreifendes Reorganisationsverfahren
484 vorzusehen. Hierdurch sollen Enteignungen vermieden und das Haftungsprinzip
485 gestärkt werden. Eine wesentliche Errungenschaft der Insolvenzordnung ist die
486 Gleichbehandlung aller Gläubiger. Hiermit nicht vereinbar ist die in der letzten
487 Wahlperiode gegen den Willen der Rechtspolitiker aller Fraktionen erfolgte Privile-
488 gierung der Sozialkassen im Insolvenzverfahren. Diese werden wir beenden. Wei-
489 teren Regelungsbedarf werden wir prüfen. Das gilt namentlich für den Verschul-
490 densbegriff, die Verwalterauswahl und das Verbraucherinsolvenzverfahren. Hier
491 muss auch weiterhin der Grundsatz der zweiten Chance gelten. Rechtsstaatliche
492 Standards müssen gewahrt bleiben.
493
494Beteiligung der öffentlichen Hand
495
496 Im Rahmen der Ausstiegs-Strategie wollen wir die Beteiligungen der öffentlichen
497 Hand generell überprüfen. Deshalb berufen wir einen Expertenrat, der eine flexible
498 Zeitablaufplanung unter Berücksichtigung der Entwicklung auf den internationalen
499 Kapitalmärkten entwirft.
500
501Moderne Regulierung
502 Die Regulierung der Netze soll nicht nur niedrige Nutzungsentgelte im Blick behal-
503 ten, sondern auch qualitative Elemente berücksichtigen, um so schnelle und län-
504 gerfristige Investitionen auszulösen.
505
5062. Generationengerechte Finanzen
507
508Haushalt
509
510 Wir stehen für eine solide Haushalts- und Finanzpolitik. Die Grundlage für die Zu-
511 kunftsfähigkeit unserer Gesellschaft ist nur gegeben, wenn der Weg in den Ver-
512 schuldungsstaat gestoppt wird. Die Sicherung der Tragfähigkeit der öffentlichen
513 Finanzen ist vor allem vor dem Hintergrund der demographischen Entwicklung
514 eine zentrale Herausforderung der kommenden Legislaturperiode. Dies ist ein Ge-
515 bot der Generationengerechtigkeit. Nur eine durchgreifende Konsolidierungspolitik
516 verschafft dem Staat Spielräume, um zu gestalten und den Bürger zu entlasten.
517
518 Die Wirtschafts- und Finanzkrise sowie die zu ihrer Bewältigung ergriffenen Maß-
519 nahmen haben tiefe Spuren in den öffentlichen Haushalten hinterlassen. Mit der
520 Überwindung der Krise muss ein strikter Konsolidierungskurs einsetzen. Nur so
521 werden das Vertrauen von Investoren und Konsumenten in die Kontinuität der
522 künftigen Steuer-, Finanz- und Haushaltspolitik gestärkt und damit langfristig die
523 Weichen für mehr Wachstum und Beschäftigung gestellt.
524
525 Wir gehen davon aus, dass die in diesem Koalitionsvertrag vereinbarte Politik zu
526 einer spürbaren Steigerung des wirtschaftlichen Wachstums führt. Insbesondere
527 erwarten wir eine Verbesserung der Lage auf dem Arbeitsmarkt. 100.000 Arbeits-
528 lose weniger haben eine Entlastungswirkung von etwa 2 Milliarden Euro im Haus-
529 halt und den Sozialkassen. Dies erleichtert die notwendigen strukturellen Verände-
530 rungen bei der Bundesagentur für Arbeit.
531
532 Haushaltskonsolidierung ist auch die Grundlage für die Sicherung unseres Sozial-
533 staates. Einem überschuldeten Staat wird am Ende immer das Geld für die
534 Schwachen in dieser Gesellschaft fehlen. Mit der Haushaltskonsolidierung ist eine
535 soziale Dividende verbunden, da Zinslasten begrenzt werden und damit Gestal-
536 tungsmöglichkeiten entstehen.
537
538 Wir werden Steuerverschwendung gemeinsam mit Ländern und Kommunen ent-
539 schlossen bekämpfen.
540
541 Die neue, im Grundgesetz verankerte Schuldenregel trägt der
542 ökonomischen Vernunft und der Verantwortung für nachfolgende Generationen
543 Rechnung. Zugleich bekennen wir uns ausdrücklich zu unserer Verantwortung im
544 Rahmen des europäischen Stabilitäts- und Wachstumspaktes.
545
546 Folgende "Goldene Regeln" sind einzuhalten:
547
548 - Alle staatlich übernommenen Aufgaben werden auf ihre Notwendigkeit hin ü-
549 berprüft. Jeder Ausgabenbereich muss einen Beitrag zur Erfüllung der Anfor-
550 derungen der neuen Schuldenregel leisten.
551 - Alle neuen finanzwirksamen Vorhaben und Belastungen auf der Einnahmen-
552 und Ausgabenseite müssen in ihren Wirkungen umfassend ausgewiesen wer-
553 den. Für die Maßnahmen, die nicht im Rahmen des beschlossenen Finanz-
554 rahmens zusätzlich finanziert werden sollen, ist grundsätzlich eine unmittelba-
555 re, vollständige und dauerhafte Gegenfinanzierung im jeweiligen Etat des Bun-
556 deshaushaltes sicherzustellen.
557 - Das Ausgabenwachstum muss unter dem Wachstum des Bruttoinlandsproduk-
558 tes (real) liegen.
559 - Alle Maßnahmen des Koalitionsvertrages stehen unter Finanzierungsvorbehalt.
560 - Politische Zielsetzungen haben sich stärker als bisher an qualitativen und nicht
561 mehr nur an quantitativen Anforderungen zu orientieren.
562 - Alle Einnahmen stehen grundsätzlich dem Gesamthaushalt zur Verfügung.
563 - Die Weiterentwicklung in den Zweigen der Sozialversicherung muss ebenfalls
564 dem Erfordernis der Schuldenregel des Bundes Rechnung tragen.
565 - Wir werden auf eine ausgewogene Lastenverteilung zwischen den Ebenen der
566 öffentlichen Haushalte achten.
567 - Zukünftig werden wichtige Eckwerte des Haushalts vorab verbindlich durch das
568 Bundeskabinett vorgegeben und damit zur Grundlage für das regierungsinter-
569 ne Aufstellungsverfahren in den Einzelplänen gemacht. Der parlamentarische
570 Teil des Haushaltsaufstellungsverfahren bleibt davon unberührt.
571
572 CDU, CSU und FDP haben das Anliegen, die krisenbedingten Einnahmeausfälle
573 für die Arbeitslosen- und Krankenversicherung aus Steuermitteln aufzufangen. Die
574 Beiträge von Arbeitnehmern und Arbeitgebern und damit die Lohnnebenkosten
575 sollen zur Überwindung der Krise stabil gehalten werden. Damit spannen wir einen
576 Schirm zum Schutz der Arbeitnehmer in der Krise auf. Es geht insbesondere um
577 die Umwandlung des bisher vorgesehenen Darlehens an die Bundesagentur für
578 Arbeit in einen Zuschuss. Die Auszahlung des Zuschusses muss selbstverständ-
579 lich an strenge Kriterien gebunden werden. Deshalb wird die Koalition im Zusam-
580 menhang mit der Aufstellung des Bundeshaushaltes 2010 prüfen, wie diesem An-
581 liegen Rechnung getragen werden kann. Insbesondere durch ein auf diesen
582 Zweck ausgerichtetes Sondervermögen.
583
584 Zur Entlastung der Haushaltsseite ist es zudem notwendig, angemessene Wirt-
585 schaftlichkeitsuntersuchungen für alle finanzwirksamen Maßnahmen durchzufüh-
586 ren. Staatliche Aufgaben oder öffentlichen Zwecken dienende wirtschaftliche Tä-
587 tigkeiten sind konsequent zu überprüfen und bei nachgewiesener Wirtschaftlich-
588 keit mit Hilfe des privaten Anbieters umzusetzen.
589
590 Wir wollen diesen Prozess optimal gestalten und Beteiligungen der öffentlichen
591 Hand generell überprüfen.
592
593 Die Weltwirtschaftskrise erforderte eine vorübergehende stärkere Rolle des Staa-
594 tes. Die Beteiligung des Staates an Wirtschaftsunternehmen und Finanzinstituten
595 ist so eng wie möglich zeitlich zu begrenzen. Dazu werden wir eine Ausstiegsstra-
596 tegie entwickeln.
597
598 Der demographische Wandel, die finanziellen Rahmenbedingungen und die Not-
599 wendigkeit zur Sicherung der Handlungsfähigkeit des Staates erfordern eine kon-
600 sequente Nutzung aller Effizienzpotentiale in der Bundesverwaltung. Auf Basis
601 einer umfassenden Aufgabenkritik, der konsequenten Standardisierung von Pro-
602 zessen, der flächendeckenden und verbindlichen Nutzung und dem weiteren Aus-
603 bau von Kompetenz- und Dienstleistungszentren sowie einer Entbürokratisierung
604 streben wir eine durchgreifende Modernisierung der Bundesverwaltung einschließ-
605 lich der Ministerien und nachgeordneten Behörden an.
606
607 Der wesentliche Teil der zusätzlich generierten Gewinne aus der Laufzeitverlänge-
608 rung der Kernenergie soll von der öffentlichen Hand vereinnahmt werden. Mit die-
609 sen Einnahmen wollen wir auch eine zukunftsfähige und nachhaltige Energiever-
610 sorgung und -nutzung, z. B. die Erforschung von Speichertechnologien für erneu-
611 erbare Energien, oder stärkere Energieeffizienz fördern. Unabhängig davon stre-
612 ben wir eine angemessene Beteiligung der Betreiber an den Sanierungskosten für
613 die Schachtanlage Asse II an.
614
615 Alle Einnahmen aus dem Handel mit CO2-Emissionszertifikaten stehen dem Ge-
616 samthaushalt zur Verfügung. Bei der Erlösverwendung sind die steuerlichen Min-
617 dereinnahmen aufgrund des Betriebsausgabenabzugs über alle Ebenen und die
618 laufenden, aus den CO2-Erlösen finanzierten Klimaschutzmaßnahmen in Rech-
619 nung zu stellen. Ab 2013 sind zusätzlich die angekündigten Kompensationszah-
620 lungen für indirekte Preiseffekte des Emissionshandels sowie in Aussicht gestellte
621 Maßnahmen für den Bau effizienter fossiler Kraftwerke zu berücksichtigen.
622
623 Die Finanzagentur Deutschland soll unter Berücksichtigung der haushalterischen
624 Belange des Bundes so wenig wie möglich mit Kreditinstituten in Wettbewerb tre-
625 ten.
626
6273. Arbeitschancen für alle
628
6293.1 Arbeitsmarkt
630
631Tarifautonomie/gesetzlicher Mindestlohn
632
633 CDU, CSU und FDP bekennen sich zur Tarifautonomie. Sie ist ein hohes Gut, ge-
634 hört unverzichtbar zum Ordnungsrahmen der Sozialen Marktwirtschaft und hat
635 Vorrang vor staatlicher Lohnfestsetzung. Einen einheitlichen gesetzlichen Mindest-
636 lohn lehnen wir ab.
637
638 Daher wollen wir den Tarifausschuss stärken, damit Arbeitgeber und Arbeitnehmer
639 gemeinsam in der Pflicht zur Lohnfindung sind. Allgemeinverbindlicherklärungen
640 von Tarifverträgen auf dem Verordnungswege werden einvernehmlich im Kabinett
641 geregelt. Voraussetzung dafür ist grundsätzlich eine Mehrheit im Tarifausschuss.
642
643 Die bestehenden gesetzlichen Regelungen zum Mindestlohn werden bis Oktober
644 2011 evaluiert. Dabei kommt es uns darauf an, diese daraufhin zu überprüfen, ob
645 sie Arbeitsplätze gefährden oder neuen Beschäftigungsverhältnissen entgegen-
646 stehen. Zugleich gilt es zu prüfen, ob sie sowohl den erforderlichen Schutz der
647 Arbeitnehmer als auch die Wettbewerbsfähigkeit der einzelnen Branchen gewähr-
648 leisten. Das Ergebnis dieser Evaluierung soll als Grundlage für die Entscheidung
649 dienen, ob die geltenden Mindestlohnregelungen Bestand haben oder aufgehoben
650 werden sollten. Die anhängigen Bundesgerichtsverfahren im Zusammenhang mit
651 dem Postmindestlohn werden abgewartet.
652
653 Die Rechtsprechung zum Verbot sittenwidriger Löhne soll gesetzlich festgeschrie-
654 ben werden, um Lohndumping zu verhindern. Damit werden wir auch wirksam ge-
655 gen soziale Verwerfungen in einzelnen Branchen vorgehen.
656
657Arbeitsmarktzugang
658
659 Zur effizienteren Schließung der absehbaren kommenden Fachkräftelücke, aber
660 auch zur effizienteren Bekämpfung von Leistungsmissbrauch, muss der Arbeits-
661 marktzugang für Nichtdeutsche besser geregelt werden.
662
663Aufgabenkritik der Bundesagentur für Arbeit
664
665 Um Arbeitssuchende noch erfolgreicher in sozialversicherungspflichtige Beschäfti-
666 gung vermitteln zu können, benötigen wir eine effizientere Arbeitsverwaltung. Die
667 Aufgaben und Strukturen der BA sind einer Aufgabenkritik zu unterziehen, um ei-
668 ne möglichst effiziente Dienstleistung für die Bürgerinnen und Bürger zu erzielen.
669
670 Grundsätzlich gilt, dass finanzielle Mittel und das Personal der jeweiligen Aufgabe
671 folgen.
672
673Schwarzarbeit
674
675 Schwarzarbeit ist kein Kavaliersdelikt. Durch Schwarzarbeit werden den sozialen
676 Sicherungssystemen Einnahmen entzogen. Sie führt zu einem unfairen Wettbe-
677 werb besonders zu Lasten des Mittelstandes und den Beschäftigten in kleinen und
678 mittleren Betrieben. Wir wollen daher Schwarzarbeit durch wirksame Kontrollen
679 stärker bekämpfen und bessere Anreize zur Aufnahme einer sozialversicherungs-
680 pflichtigen Beschäftigung setzen.
681
682Befristete Beschäftigungsverhältnisse
683
684 Das generelle Vorbeschäftigungsverbot für sachgrundlos befristete Einstellungen
685 erschwert Anschlussbeschäftigungsverhältnisse, wenn während Schule, Ausbil-
686 dung oder Studium bei einem Arbeitgeber schon einmal befristet gearbeitet wor-
687 den ist. Wir werden die Möglichkeit einer Befristung von Arbeitsverträgen so um-
688 gestalten, dass die sachgrundlose Befristung nach einer Wartezeit von einem Jahr
689 auch dann möglich wird, wenn mit demselben Arbeitgeber bereits zuvor ein Ar-
690 beitsverhältnis bestanden hat. Mit dieser Neuregelung erhöhen wir Beschäfti-
691 gungschancen für Arbeitnehmer, verringern den Bürokratieaufwand für Arbeitge-
692 ber und verhindern Kettenbefristungen.
693
694Mini-Jobs
695
696 Wir wollen die Arbeitsanreize auch für gering entlohnte Beschäftigungsverhältnis-
697 se verbessern. Unser Ziel ist es, die Brückenfunktion von Mini- und Midi-Jobs in
698 voll sozialversicherungspflichtige Beschäftigungsverhältnisse zu stärken.
699
700 Wir prüfen die Erhöhung und die Dynamisierung der Grenze sozialversicherungs-
701 freier Mini-Jobs. Bei den Hinzuverdienstregeln sollen die Arbeitsanreize gestärkt
702 werden.
703
704Fachkräfte
705
706 Wir wollen die Attraktivität Deutschlands für Hochqualifizierte steigern und die Zu-
707 wanderung nach Deutschland steuern. Bürokratische Hindernisse für qualifizierte
708 Arbeitnehmer sind abzubauen. Der Zugang von ausländischen Hochqualifizierten
709 und Fachkräften zum deutschen Arbeitsmarkt muss systematisch an den Bedürf-
710 nissen des deutschen Arbeitsmarkts ausgerichtet und nach zusammenhängen-
711 den, klaren, transparenten und gewichteten Kriterien wie beispielsweise Bedarf,
712 Qualifizierung und Integrationsfähigkeiten gestaltet werden. Darüber hinaus wer-
713 den wir Regelungen zur Aufnahme einer selbständigen Tätigkeit, Arbeitsplatzan-
714 nahme für Studenten mit deutschem Hochschulabschluss, für Künstler und Sport-
715 ler sowie für Saisonarbeitskräfte überprüfen und Vereinfachungen anstreben. Die
716 Regelungen für die Beschäftigung von Saisonarbeitskräften werden auch im Inte-
717 resse der Sonderkulturbetriebe vereinfacht.
718
7193.2 Verantwortung für das Unternehmen, Partnerschaft im Betrieb
720
721 Wir setzen uns für eine faire Verantwortungskultur in Unternehmen ein. Unter-
722 nehmer, Vorstände und Aufsichtsräte stehen in voller Verantwortung zu einer Ge-
723 sellschaft, die ihnen Entfaltungsmöglichkeiten und Eigentumsschutz garantiert.
724 Freies Unternehmertum umschließt dabei Gewinnchancen - aber ebenso Risiko-
725 haftung für Fehlentscheidungen oder nicht vorhergesehene Entwicklung.
726
727 Das gilt für Eigentümer, im Prinzip aber auch für Vorstände und Aufsichtsräte.
728 Deshalb sind die jüngsten Gesetzesanpassungen zur Haftung und Vergütung wei-
729 ter zu entwickeln.
730
731 Fehlanreize bei Unternehmen, insbesondere bei Finanzinstituten, müssen besei-
732 tigt werden. Die Vergütungssysteme müssen sich stärker als bisher am langfristi-
733 gen Erfolg ihres Unternehmens orientieren. Zu den wichtigen Instrumenten zur
734 Bewahrung und Stärkung der Finanzmarktstabilität gehören solche Vergütungs-
735 strukturen für Finanzinstitute, die bei schlechter Geschäftsentwicklung auch Ge-
736 haltabzüge (Malus-Regelungen) enthalten.
737
738 Wir werden die Möglichkeiten der Mitarbeiterkapitalbeteiligung erweitern. Dabei
739 gilt das Prinzip der doppelten Freiwilligkeit. Die Beschäftigten sollen auch durch
740 Entgeltumwandlung Anteile an ihren Unternehmen steuerbegünstigt erwerben
741 können. Mitarbeiterkapitalbeteiligungen sollten unternehmerische Mitverantwor-
742 tung einschließen.
743
744 Wir unterstützen die Professionalisierung der Aufsichtsratsarbeit. Wir werden das
745 Mitspracherecht der Hauptversammlung bei der Festlegung der Eckpunkte von
746 Vorstandsvergütungen stärken. Wir wollen eine Mindestwartefrist von zwei Jahren
747 für ehemalige Vorstandsvorsitzende beim Wechsel zum Aufsichtsratsvorsitzenden
748 desselben börsennotierten Unternehmens - dabei sind allerdings die Besonder-
749 heiten von Familienunternehmen zu berücksichtigen.
750
751 Entsprechend den Grundsätzen der Unternehmensführung (Corporate Governan-
752 ce Codex) werden wir in Gespräche über die Größe von Aufsichtsräten eintreten.
753 Darüber hinaus soll neben Aufsichtsräten und Vorständen auch ein Ehrenkodex
754 für Betriebsräte entwickelt werden (z. B. mit einem Recht der Betriebsversamm-
755 lung auf Offenlegung der gezahlten Aufwendungen an Betriebsratsmitglieder).
756
7573.3 Ältere Arbeitnehmer
758
759 Wir streben eine Erhöhung der Erwerbsbeteiligung vor allem von Älteren und
760 Frauen an und ermutigen zu mehr Bildungs- und Weiterbildungsanstrengungen.
761 Staatliche Anreize zur faktischen Frühverrentung werden wir beseitigen. Eine Ver-
762 längerung der staatlich geförderten Altersteilzeit (ATG) über den 31. Dezember
763 2009 hinaus lehnen wir daher ab.
764
765 Rente ist kein Almosen. Wer sein Leben lang hart gearbeitet hat, der hat auch ei-
766 nen Anspruch auf eine gute Rente. Damit dies auch in Zukunft gewährleistet ist,
767 wollen wir wegen des demographischen Wandels die Voraussetzungen für eine
768 längere Teilhabe Älterer am Erwerbsleben verbessern.
769
770 Die überwiegende Mehrheit der Bürger ist bis ins hohe Alter körperlich und geistig
771 fit. Ihre Bereitschaft sich zu engagieren und zu beteiligen möchten wir fördern. Wir
772 wollen die Kenntnisse, Kompetenzen und Kreativität älterer Menschen für unsere
773 Gesellschaft nutzen. Wir lehnen daher jegliche Form der Altersdiskriminierung ab
774 und werden den Wegfall der beruflichen Altersgrenzen prüfen.
775
7764. Nachhaltiges Wirtschaften und Klimaschutz
777
7784.1 Mittelstand
779
780 Der Mittelstand ist das Herz der Sozialen Marktwirtschaft. Über 4 Mio. Selbständi-
781 ge und mittelständische Unternehmerinnen und Unternehmer in Industrie, Hand-
782 werk, Handel, Dienstleistungen und den Freien Berufen sind Motor für Wachstum,
783 Beschäftigung und Ausbildung in Deutschland. Gemeinsam mit ihren Arbeitneh-
784 merinnen und Arbeitnehmern schaffen sie Werte und sorgen mit Kreativität und
785 Innovationen für die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Wirtschaft. Eigentümer-
786 geführte Familienunternehmen stehen für nachhaltiges Denken, gesellschaftlichen
787 Zusammenhalt und solides Wirtschaften. Auf dieser Stärke müssen wir aufbauen.
788 Wir wollen die Rahmenbedingungen für Mittelstand, Handwerk, Handel und Freie
789 Berufe verbessern, Selbständigkeit attraktiver machen und eine neue Gründerdy-
790 namik anstoßen. Das Handwerk sichert einen hohen Qualitätsstandard, eine gute
791 Ausbildungsleistung und nachhaltig erfolgreiche Existenzgründungen. Der Meis-
792 terbrief ist dabei ein Ausweis hoher Qualität. Wir wollen die Freien Berufe und das
793 Handwerk stärken und dafür sorgen, dass ihr besonderer Stellenwert auf europäi-
794 scher Ebene besser anerkannt und geschützt wird.
795
796 Wir setzen uns für eine mittelstandsfreundliche Überarbeitung der internationalen
797 Rechnungslegungsvorschriften ein.
798
799 Die Einführung von Innovationsgutscheinen wird in Abstimmung mit den Länder-
800 programmen geprüft.
801
802KfW als Mittelstandsbank
803
804 Förderbanken sind elementarer Bestandteil jeder freien Wirtschaftsordnung. Wir
805 werden die KfW mit ihren Kernaufgaben als Mittelstandsbank stärken. Wir halten
806 es für dringend erforderlich, dass die Kreditanstalt für Wiederaufbau nicht im
807 Wettbewerb mit privaten und genossenschaftlichen Banken sowie Sparkassen
808 steht. Die Programme der KfW sind einer laufenden Bewertung zu unterziehen.
809 Die Bearbeitungszeiten werden beschleunigt. Wir werden die KfW - soweit not-
810 wendig - den Vorschriften des Kreditwesengesetzes unterstellen. Wir wollen die
811 Verwaltungs- und Aufsichtsstrukturen der KfW deutlich straffen. Dafür ist das KfW-
812 Gesetz entsprechend anzupassen.
813
814Gründerland Deutschland
815
816 Deutschland soll verstärkt Innovationen hervorbringen und Leitmärkte prägen. Wir
817 werden die Förderprogramme für Gründungen und Gründungsfonds sowie für die
818 Betriebsnachfolgen zusammen mit der Wirtschaft stark ausbauen, bessere Rah-
819 menbedingungen für Chancen- und Beteiligungskapital schaffen und für ein Leit-
820 bild der unternehmerischen Selbständigkeit werben. Wir wollen junge, innovative
821 Unternehmen von unnötigen Bürokratielasten befreien, um Gründungen zu er-
822 leichtern und intensiv zu befördern.
823
824 Deutschland muss wieder zum Gründerland werden. Daher werden wir eine
825 Gründerkampagne in Deutschland starten. Einen Schwerpunkt wird dabei die
826 Nachfolgeproblematik bei der Betriebsübernahme bilden.
827
828 Wir werden daher dafür sorgen, dass der Mittelstand weiter auf ein ausreichendes
829 Angebot an eigenkapitalnahem Mezzaninkapital zurückgreifen kann.
830
831 Wir werden einen High-Tech-Gründerfonds II als Public-Private-Partnership aufle-
832 gen, der auf den Erfahrungen des ersten Fonds aufbaut. Darüber hinaus wollen
833 wir dringend benötigtes privates Kapital für deutsche Venture Capital Fonds mobi-
834 lisieren, indem wir institutionellen Investoren eine anteilige Garantiemöglichkeit zur
835 Risikoabsicherung ihrer Fondseinlagen anbieten. Wir werden das Umfeld für die
836 Tätigkeiten von Business Angels in Deutschland verbessern.
837
838 Wir wollen das Angebot von Mikrokrediten ausweiten, insbesondere für Gründer
839 und Kleinunternehmer.
840
841 Wir wollen Gründern nach einem Fehlstart eine zweite Chance eröffnen. Dazu
842 wird die Zeit der Restschuldbefreiung auf drei Jahre halbiert.
843
844 Der Pfändungsschutz für die private Altersvorsorge im Insolvenzfall verringert das
845 Risiko der Altersarmut für Selbständige deutlich. Wir werden deshalb die Pfän-
846 dungsfreigrenzen für die Altersvorsorge Selbständiger regelmäßig anpassen.
847
8484.2 Klimaschutz, Energie und Umwelt
849
850Klimaschutz
851
852 Das Prinzip der Nachhaltigkeit prägt unsere Politik. Wir wollen gute Lebensbedin-
853 gungen für kommende Generationen. Der Klimaschutz ist weltweit die herausra-
854 gende umweltpolitische Herausforderung unserer Zeit. Er ist Vorsorge für eine
855 langfristig tragfähige wirtschaftliche und ökologische Entwicklung. Wir sehen Kli-
856 maschutz zugleich als Wettbewerbsmotor für neue Technologien.
857
858 Unser Ziel ist es, die Erderwärmung auf maximal 2 Grad Celsius zu begrenzen
859 und Deutschlands Vorreiterrolle beim Klimaschutz beizubehalten. International ist
860 vereinbart, dass die Industriestaaten ihre Treibhausgas-Emissionen bis 2050 um
861 mindestens 80% reduzieren. Wir werden für Deutschland einen konkreten Ent-
862 wicklungspfad festlegen und bekräftigen unser Ziel, die Treibhausgas-Emissionen
863 bis 2020 um 40 % gegenüber 1990 zu senken.
864
865 Wir werden die Maßnahmen im Integrierten Energie- und Klimaprogramm 2010
866 auf ihre Wirksamkeit überprüfen und ggf. nachsteuern. Die deutsche Anpassungs-
867 strategie wird bis 2011 weiterentwickelt.
868
869 Wir setzen uns in Kopenhagen für ein weltweites anspruchsvolles Klimaschutzab-
870 kommen ein. Dieses soll nach dem Abkommen von Kyoto ein neues Kapitel im
871 internationalen Klimaschutz einleiten. Wir fordern die Schwellenländer auf, mit
872 nachprüfbaren Verpflichtungen ihren Beitrag zu leisten. Wir werden die Entwick-
873 lungsländer bei der Bekämpfung des Klimawandels und der Bewältigung seiner
874 Folgen stärker unterstützen. Bei den Verhandlungen werden wir uns für eine faire
875 Lastenverteilung einsetzen, die vergleichbare Wettbewerbsbedingungen schafft
876 und Produktionsverlagerungen in Länder ohne Klimaschutz verhindert. Wir sind zu
877 einer angemessenen Finanzierung von Technologietransfer-, Waldschutz- und
878 Anpassungsprojekten bereit.
879
880 Wo immer möglich, wollen wir marktbasierte Instrumente wie den Clean Develop-
881 ment Mechanism (CDM) nutzen. Auf EU-Ebene werden wir uns gegen die Einfüh-
882 rung von Klimazöllen und CO2-Abgaben einsetzen.
883
884 Der Emissionshandel ist das vorrangige Klimaschutzinstrument. Er soll perspekti-
885 visch zu einem globalen Kohlenstoffmarkt ausgebaut werden. Wir werden Initiati-
886 ven ergreifen, um regionale Handelssysteme zu verbinden und in das internationa-
887 le Handelssystem schrittweise weitere Bereiche, wie z. B. den Luft- und Seever-
888 kehr, mit einzubeziehen. Wir wollen die Höhe der Deckelung der CDM-
889 Maßnahmen auf europäischer Ebene überprüfen und die ökologische Integrität
890 des CDM erhöhen.
891
892 Wir setzen uns dafür ein, dass energieintensive Unternehmen, die im internationa-
893 len Wettbewerb Nachteile befürchten müssen, weiterhin von der Versteigerung der
894 Emissionsrechte ausgenommen bleiben.
895
896 Gemäß den deutschen Verpflichtungen bei dem Europäischen Rat sollen 50 Pro-
897 zent der Erlöse aus der Versteigerung der Emissionszertifikate ab 2013 vorrangig
898 für internationale und ergänzend nationale Klimaschutzprojekte genutzt werden.
899 Letztere sollen insbesondere für Maßnahmen zur Anpassung an den Klimawandel
900 verwendet werden.
901
902Energiemix
903
904 Wir wollen eine ideologiefreie, technologieoffene und marktorientierte Energiepoli-
905 tik. Diese umfasst alle Nutzungspfade (Strom, Wärme, Mobilität). Mehrfachbelas-
906 tungen der gewerblichen Energieverbraucher sind durch eine bessere Abstim-
907 mung der energie- und klimapolitischen Instrumente zu vermeiden. Wir werden
908 spätestens innerhalb des nächsten Jahres ein neues Energiekonzept vorlegen,
909 das szenarienbezogen Leitlinien für eine saubere, zuverlässige und bezahlbare
910 Energieversorgung formuliert.
911
912 Wir werden die erneuerbaren Energien konsequent ausbauen und die Energieeffi-
913 zienz weiter erhöhen. Ziel ist es, dass die erneuerbaren Energien den Hauptanteil
914 an der Energieversorgung übernehmen. Auf diesem Weg werden in einem dyna-
915 mischen Energiemix die konventionellen Energieträger kontinuierlich durch alter-
916 native Energien ersetzt.
917
918Erneuerbare Energien
919
920 Wir wollen den Weg in das regenerative Zeitalter gehen und die Technologiefüh-
921 rerschaft bei den Erneuerbaren Energien ausbauen. Die Potentiale für Innovation,
922 Wachstum und Beschäftigung beim Umbau unseres Energiesystems sind gewal-
923 tig.
924
925 Dazu werden wir den Ausbau der Erneuerbaren Energien entsprechend den be-
926 stehenden Zielvorgaben weiter fördern, das EEG sowie den unbegrenzten Ein-
927 speisevorrang erhalten sowie zugleich die Förderung wirtschaftlicher und Einspei-
928 sung effizienter gestalten. Unser Ziel ist es, die erneuerbaren Energien so schnell
929 wie möglich markt- und speicherfähig zu machen. Über- oder Unterförderungen
930 sind zu vermeiden.
931
932 Dabei erhalten wir die Planungssicherheit für bestehende Anlagen. Wir werden als
933 Sofortmaßnahme die Reduzierung der EEG-Vergütung für modulare Anlagen, die
934 vor dem 1.1.2009 in Betrieb waren, zurücknehmen.
935
936 Wir werden mit Wirkung zum 1.1.2012 eine EEG-Novelle auf den Weg bringen,
937 die die Wettbewerbsfähigkeit der jeweiligen Technologie wahrt. Wir wollen bei der
938 Biomasse-Verstromung organische Reststoffe gegenüber nachwachsenden Roh-
939 stoffen stärker gewichten, bessere Rahmenbedingungen für eine ökologisch ver-
940 träglichere Wasserkraftnutzung sowie für das Repowering von Windkraftanlagen
941 schaffen und Planungssicherheit für die Offshore-Windkraft erhalten. Für virtuelle
942 Kraftwerke, die eine gleichmäßige Versorgung mit erneuerbaren Energien gewähr-
943 leisten, soll ein Stetigkeitsbonus eingeführt werden. Wir legen künftig im Drei-
944 Jahres-Rhythmus einen EEG-Erfahrungsbericht vor.
945
946 Wir bekennen uns zur Solarenergie als wichtige Zukunftstechnologie am Standort
947 Deutschland. Wir werden mit einer Anhörung in den Dialog mit der Solar-Branche
948 und Verbraucherorganisationen treten, mit welchen Anpassungen kurzfristig Über-
949 förderungen bei der Photovoltaik vermieden werden können. Dabei werden wir
950 auch prüfen, wie die Förderung der Freiflächen-Anlagen noch stärker auf die Nut-
951 zung von versiegelten oder vorbelasteten Flächen ausgerichtet werden kann.
952
953 Wir werden die Bedingungen für die Biogas-Einspeisung im Erneuerbare-Wärme-
954 Gesetz verbessern. Das Marktanreizprogramm führen wir fort.
955
956 Die termingerechte Anbindung der Offshore-Windparks an das Stromnetz ist zügig
957 und effektiv zu realisieren. Wir werden nachdrücklich an einer Strategie eines
958 Stromverbundes mit Nordafrika für Sonnen- und Windenergie arbeiten sowie den
959 Aufbau des Technologie- und Innovationszentrums der IRENA in Bonn aktiv vo-
960 rantreiben.
961
962 Für Biomasse wollen wir Initiativen für eine international wirksame Nachhaltig-
963 keitszertifizierung ergreifen, die sowohl die Kraftstoff- und Stromproduktion als
964 auch die Nutzung für Lebens- und Futtermittel umfasst. Bei Betrieben in der EU
965 soll dabei die Prüfung der Cross-Compliance-Regelungen voll anerkannt werden.
966
967 Wir wollen den Markt für reine Biokraftstoffe wieder beleben und werden dafür ei-
968 nen Gesetzentwurf mit Wirksamkeit zum 1.1.2010 vorlegen. Die Höhe der Steuer-
969 begünstigungen soll spätestens 2013 nach spezifischen CO2-
970 Reduktionspotentialen ausgelegt werden. Wir werden die Einführung von E 10-
971 Kraftstoff auf freiwilliger Basis und als zusätzliches Angebot mit klarer Kennzeich-
972 nung ermöglichen.
973
974Energieeffizienz
975
976 Der weltweite Energieverbrauch wird in den nächsten Jahren drastisch zunehmen.
977 Daher wollen wir durch marktorientierte und technologieoffene Rahmenbedingun-
978 gen, die stärker auf Anreiz und Verbraucherinformation und weniger auf Zwang
979 setzen, die enormen Potentiale im Bereich Energieeffizienz heben. Hierzu zählen
980 insbesondere: die marktwirtschaftliche 1:1 Umsetzung der Energiedienstleistungs-
981 richtlinie, die Stärkung der Energiekompetenz der Verbraucher etwa durch unbü-
982 rokratische Kennzeichnung des Energieverbrauchs bei energierelevanten Produk-
983 ten, eine Energieinitiative Mittelstand (Investitionsanreize durch Änderungen im
984 Mietrecht und im Energiecontracting, Fortsetzung der Programme zur Energiebe-
985 ratung, kostenneutrale Vereinfachung der Fördermodelle in der Gebäudesanie-
986 rung).
987
988Gebäudesanierung und Einsatz erneuerbarer Energien im Wärmebereich
989
990 Die Sanierung des Gebäudebestandes birgt ein hohes Potential zur Erreichung
991 der deutschen Klimaschutzziele und trägt dazu bei, den geänderten Ansprüchen
992 an den Wohnungsstandard - auch infolge der Alterung der Gesellschaft - Rech-
993 nung zu tragen. Die Steigerung der Energieeffizienz von Gebäuden und der ver-
994 mehrte Einsatz erneuerbarer Energien zur Wärmeerzeugung in Gebäuden senken
995 die CO2-Emissionen. Wir werden das CO2-Gebäudesanierungsprogramm wir-
996 kungsvoller ausgestalten, um die derzeitige Sanierungsquote zu steigern. Die
997 Hürden im Mietrecht für eine energetische Sanierung zum gemeinsamen Vorteil
998 von Eigentümern und Mietern werden gesenkt, die bestehenden Möglichkeiten der
999 gewerblichen Wärmelieferung (EnergieContracting) im Mietwohnungsbereich er-
1000 weitert. Baumaßnahmen, die diesem Zweck dienen, sind zu dulden und sollen
1001 nicht zur Mietminderung berechtigen.
1002
1003 Bei den europäischen Verhandlungen zur "Richtlinie über die Gesamtenergieeffi-
1004 zienz von Gebäuden" werden wir auf Ausgewogenheit achten.
1005
1006Kohle und CCS
1007
1008 Wir wollen auch weiterhin den Bau von hocheffizienten Kohlekraftwerken ermögli-
1009 chen. Wir stehen zum vereinbarten Ausstieg aus dem subventionierten Steinkoh-
1010 lebergbau und halten an der kohlepolitischen Verständigung vom 7. Februar 2007
1011 fest. Wir werden zeitnah die Richtlinie der EU umsetzen, die Abscheidung, Trans-
1012 port und Einlagerung von CO2 regelt. Wir wollen für Akzeptanz werben und u. a.
1013 einen Geothermie-Atlas beauftragen, um Nutzungskonkurrenzen zwischen CCS
1014 und Geothermie zu prüfen. Wir werden Forschungsprogramme zu Möglichkeiten
1015 der Nutzung von CO2 im Wirtschaftskreislauf ausbauen.
1016
1017Kernenergie
1018
1019 Die Kernenergie ist eine Brückentechnologie, bis sie durch erneuerbare Energien
1020 verlässlich ersetzt werden kann. Andernfalls werden wir unsere Klimaziele erträg-
1021 liche Energiepreise und weniger Abhängigkeit vom Ausland, nicht erreichen. Dazu
1022 sind wir bereit, die Laufzeiten deutscher Kernkraftwerke unter Einhaltung der
1023 strengen deutschen und internationalen Sicherheitsstandards zu verlängern. Das
1024 Neubauverbot im Atomgesetz bleibt bestehen.
1025 In einer möglichst schnell zu erzielenden Vereinbarung mit den Betreibern werden
1026 zu den Voraussetzungen einer Laufzeitverlängerung nähere Regelungen getroffen
1027 (u. a. Betriebszeiten der Kraftwerke, Sicherheitsniveau, Höhe und Zeitpunkt eines
1028 Vorteilsausgleichs, Mittelverwendung zur Erforschung vor allem von erneuerbaren
1029 Energien, insb. von Speichertechnologien). Die Vereinbarung muss für alle Betei-
1030 ligten Planungssicherheit gewährleisten.
1031
1032Nukleare Endlagerung
1033
1034 Eine verantwortungsvolle Nutzung der Kernenergie bedingt auch die sichere End-
1035 lagerung radioaktiver Abfälle. Wir werden deshalb das Moratorium zur Erkundung
1036 des Salzstockes Gorleben unverzüglich aufheben, um ergebnisoffen die Erkun-
1037 dungsarbeiten fortzusetzen. Wir wollen, dass eine International Peer Review
1038 Group begleitend prüft, ob Gorleben den neuesten internationalen Standards ge-
1039 nügt. Der gesamte Prozess wird öffentlich und transparent gestaltet.
1040
1041 Die Endlager Asse II und Morsleben sind in einem zügigen und transparenten Ver-
1042 fahren zu schließen. Dabei hat die Sicherheit von Mensch und Umwelt höchste
1043 Priorität. Die Energieversorger sind an den Kosten der Schließung der Asse II zu
1044 beteiligen.
1045
1046 Mit Blick auf Endlagerstandorte setzen wir uns für einen gerechten Ausgleich für
1047 die betroffenen Regionen ein, die eine im nationalen Interesse bedeutsame Ent-
1048 sorgungseinrichtung übernehmen.
1049
1050Energieinfrastruktur
1051
1052 Der Investitionsstau im Ausbau der nationalen Energienetze muss aufgelöst wer-
1053 den. Dazu werden wir das dritte Binnenmarktpaket Strom und Gas zügig umset-
1054 zen, die rechtlichen Rahmenbedingungen für eine flächendeckende Modernisie-
1055 rung der Energienetze zu intelligenten Netzen weiterentwickeln und die Verbin-
1056 dung der Stromnetze mit Informations- und Kommunikationstechnik zu einem E-
1057 lement des effizienten Netzbetriebs machen. Wir werden eine weitere Beschleuni-
1058 gung der Planungsverfahren im Leitungsbau angehen. Wir setzen uns dafür ein,
1059 die deutschen Übertragungsnetze in einer unabhängigen und kapitalmarktfähigen
1060 Netzgesellschaft zusammenzuführen und die Grenzkuppelstellen weiter ausbau-
1061 en.
1062
1063Wettbewerb auf den Energiemärkten
1064
1065 Wir wollen die wettbewerblichen Strukturen auf den Energiemärkten weiter
1066 verbessern. Dazu werden wir eine Markttransparenzstelle einrichten und deren
1067 Befugnisse so erweitern, dass sie über alle Informationen verfügt, um zeitnah eine
1068 transparente Preisbildung im Stromgroßhandel zu sichern. Wir werden Wettbe-
1069 werbshemmnisse im grenzüberschreitenden Stromhandel durch ein besonders
1070 marktfreundliches Engpassmanagement und durch eine Zweckbindung der Eng-
1071 passerlöse zügig beseitigen. Die Gasmarktgebiete sollen auf höchstens zwei Ge-
1072 biete (je ein Gebiet für H-Gas und L-Gas) reduziert werden. Wir wollen dem Wett-
1073 bewerb auf dem Gasmarkt neue Impulse geben, die Gasnetzzugangsverordnung
1074 neu fassen und den Zugang der Wettbewerber zu nicht genutzten Gastransport-
1075 und Speicherkapazitäten erleichtern. Wir werden den Wettbewerb auf dem Regel-
1076 energiemarkt fördern und ein einziges nach einheitlichen Regeln funktionierendes
1077 Marktgebiet anstreben.
1078
1079 Im Rahmen des EU-Emissionshandelssystems sind die Rahmenbedingungen und
1080 die nationale Umsetzung kontinuierlich mit dem Ziel zu überprüfen, ob sie der
1081 Wettbewerbsfähigkeit der stromintensiven Industrien in Deutschland ausreichend
1082 Rechnung tragen. Das BMWi prüft, welche Maßnahmen zum Erhalt der Wettbe-
1083 werbsfähigkeit der stromintensiven Industrie und der damit verbundenen Arbeits-
1084 plätze, ggf. vor 2013, erforderlich sind.
1085
1086Energieforschung, Speicher und Mobilität
1087
1088 Eine konzentrierte, technologieoffene und nachhaltige Energieforschung ist der
1089 Schlüssel auf dem Weg zu einer zukunftsfähigen Energieversorgung. Wir werden
1090 ein neues Energieforschungsprogramm mit Schwerpunkten in der Energieeffi-
1091 zienzforschung, den Speichertechnologien, intelligenter Netztechnik und Biokraft-
1092 stoffen der zweiten Generation entwickeln.
1093
1094 Wir entwickeln eine breit angelegte und technologieoffene Mobilitäts- und Kraft-
1095 stoffstrategie, die alle alternativen Technologien und Energieträger berücksichtigt.
1096 Zudem soll sich Deutschland zum "Leitmarkt" der Elektromobilität entwickeln.
1097
1098Energieaußenpolitik
1099
1100 Aufgrund der Abhängigkeit Deutschlands von Energie- und Rohstoffimporten be-
1101 nötigen wir eine Energieaußenpolitik, die deutsche Unternehmen und große Infra-
1102 strukturprojekte (z. B.: Nordstream, Nabucco, LNG, DESERTEC) intensiv beglei-
1103 tet. Energieträger, Lieferländer und Transportrouten sind weiter zu diversifizieren,
1104 um einseitige Abhängigkeiten zu vermeiden.
1105
1106Nationale Nachhaltigkeitsstrategie
1107
1108 Die Nationale Nachhaltigkeitsstrategie wird im bewährten institutionellen Rahmen
1109 weiterentwickelt. Wir werden den Parlamentarischen Beirat für Nachhaltige Ent-
1110 wicklung federführend mit der parlamentarischen Kontrolle der Nachhaltigkeits-
1111 strategie sowie der Nachhaltigkeitsprüfung beauftragen. Die Nachhaltigkeitsprü-
1112 fung soll durch eine offizielle Generationenbilanz ergänzt werden, die die monet-
1113 arisierbaren Leistungen und Lasten heutiger Politik für kommende Generationen
1114 transparent macht.
1115
1116Naturschutz
1117
1118 Kooperation mit den Betroffenen vor Ort ist unabdingbare Voraussetzung für eine
1119 erfolgreiche Naturschutzpolitik. Wir wollen gemeinsam mit den Naturnutzern die
1120 Umweltbildung fördern. Wir werden die Partnerschaft zwischen Landwirtschaft,
1121 Natur- und Umweltschutz über freiwillige Programme weiter stärken und uns am
1122 Vorrang des Vertragsnaturschutzes orientieren. Die Nutzung von Ökokonten un-
1123 terstützen wir nachhaltig.
1124
1125 Wir werden den Bundesländern die Kompetenz geben, beim Ausgleich von Ein-
1126 griffen in die Natur das Ersatzgeld anderen Kompensationsmaßnahmen gleichzu-
1127 stellen.
1128
1129 Im Rahmen der Umsetzung der nationalen Strategie für biologische Vielfalt wer-
1130 den wir ein Bundesprogramm erarbeiten, das mit Ländern und Kommunen, mit
1131 Waldbesitzern, Landnutzern und Naturschutzverbänden abgestimmt wird. Die
1132 wichtige Rolle der Botanischen Gärten und Sammlungen werden wir stärken.
1133
1134 Wir sprechen uns für die Vernetzung ökologisch besonders wertvoller Gebiete in
1135 einem Verbundsystem aus. Wir streben ein europa- und weltweites System von
1136 Schutzgebieten unter stärkerer Einbindung der regional unterschiedlichen Kultur-
1137 landschaften an. Wir erarbeiten ein "Bundesprogramm Wiedervernetzung" als
1138 Grundlage für den Bau von Querungshilfen im Bundesverkehrswegenetz in den
1139 wichtigsten Lebensraumkorridoren.
1140
1141 Zur Sicherung des "Nationalen Naturerbes" werden wir die Übertragung der noch
1142 ausstehenden 25.000 Hektar national wertvoller Naturflächen fortführen. Wir si-
1143 chern das "Grüne Band Deutschland" entlang der ehemaligen innerdeutschen
1144 Grenze als "Naturmonument" und wollen die Entwicklung eines "Grünen Bandes
1145 Europa" anstoßen.
1146
1147 Frei fließende Flüsse haben einen hohen ökologischen Wert. Die Durchgängigkeit
1148 der Flüsse für wandernde Fische muss wiederhergestellt werden. Für den Natur-
1149 und Hochwasserschutz sollen natürliche Auen reaktiviert und Flusstäler, wo immer
1150 möglich, renaturiert werden. Wir prüfen, ob die Wasser- und Schifffahrtsverwal-
1151 tung des Bundes zu diesem Zweck eingesetzt werden kann.
1152
1153 Wir unterstützen projektbezogene Modelle zur Honorierung vermiedener Abhol-
1154 zung in Entwicklungsländern. Wir halten an der Zusage zur finanziellen Unterstüt-
1155 zung des internationalen Waldschutzes fest. Wir wollen auf EU-Ebene die Maß-
1156 nahmen gegen illegal geschlagenes Tropenholz verschärfen.
1157
1158 Die Wiederverwendung bereits genutzter Flächen und die Verdichtung im Innen-
1159 bereich müssen Vorrang vor Flächenneuverbrauch bzw. vor Entwicklung im Au-
1160 ßenbereich haben. Deshalb wollen wir gemeinsam mit den Kommunen Instrumen-
1161 te zur Gestaltung der Innenentwicklung erarbeiten. Brachflächenkataster, Mana-
1162 gementpläne, ein zoniertes Satzungsrecht der Kommunen und finanzielle Anreiz-
1163 instrumente wollen wir weiterentwickeln.
1164
1165 Wir beabsichtigen, einen Modellversuch zu initiieren, in dem Kommunen auf frei-
1166 williger Basis ein überregionales Handelssystem für die Flächennutzung erproben.
1167
1168Meeresschutz
1169
1170 Wir werden auf europäischer und VN-Ebene darauf hinwirken, dass ein globales
1171 System von Meeresschutzgebieten geschaffen wird. In Nord- und Ostsee werden
1172 wir in enger Abstimmung mit den betroffenen Bundesländern die Einrichtung von
1173 Meeresschutzgebieten prüfen. Wir sprechen uns für ein umfassendes Walfang-
1174 verbot, eine signifikante Reduzierung des Beifangs und ein Verbot zerstörerischer
1175 Fischereipraktiken aus. Wir setzen uns auf EU-Ebene für die Beschränkung der
1176 Grundschleppnetzfischerei und das Verbot der industriellen Fischerei, die auf die
1177 Gewinnung von Fischmehl zur Verfütterung ausgerichtet ist, ein.
1178
1179Immissionsschutz und Stoffpolitik
1180
1181 Zur weiteren Verbesserung der Luftqualität wollen wir die Schadstoffe bereits an
1182 der Quelle reduzieren - auch bei der nachhaltigen Nutzung von Biomasse. Dafür
1183 ist die zügige Verabschiedung der vorliegenden 1. BImSchV notwendig. Wir wol-
1184 len die Förderung von Rußpartikelfiltern auf leichte Nutzfahrzeuge erweitern. Wir
1185 werden die Rahmenbedingungen für die landseitige Stromversorgung von Schiffen
1186 verbessern.
1187
1188 Wir werden den Lärmschutz verbessern. Wir wollen ein einheitliches Lärmschutz-
1189 konzept und eine Anpassung sowie Harmonisierung der Berechnungsgrundlagen
1190 bei den Lärmbelastungswerten. Die Mittel für die Lärmsanierung werden konstant
1191 gehalten.
1192
1193 Das Fluglärmgesetz werden wir so ändern, dass Anwohner von Militärflughäfen
1194 bei den gleichen Grenzwerten Anspruch auf Erstattung von Lärmschutzkosten
1195 haben wie an Verkehrsflughäfen.
1196
1197 Bei der Überprüfung der Chemikalienverordnung REACH setzen wir uns für eine
1198 Gebührensenkung ein. Bürokratische Hürden für die Zulassung von Biozidproduk-
1199 ten wollen wir abbauen. Nationale Verfahren in der Stoffpolitik wollen wir be-
1200 schleunigen, ohne die Standards abzusenken.
1201
1202Kreislaufwirtschaft
1203
1204 Wir wollen die Abfallwirtschaft und das Ressourcenmanagement im europäischen
1205 Kontext weiterentwickeln. Unser Ziel ist eine ökologisch und ökonomisch effizien-
1206 tere sowie verbraucherfreundlichere Ausrichtung der Abfallwirtschaft. Vorrang hat
1207 die Abfallvermeidung. Nicht vermeidbare Abfälle müssen verwertet werden, soweit
1208 dies wirtschaftlich und ökologisch sinnvoll ist. Hierfür prüfen wir z. B. die Einfüh-
1209 rung einer Wertstofftonne. Darüber hinaus werden biogene Abfälle verstärkt nach-
1210 haltig verwertet. Die abfallrechtlichen Regelungen sollen übersichtlicher und die
1211 technischen Standards einfacher, klarer und eindeutiger werden, ohne Überlas-
1212 sungspflichten auszuweiten oder gewerbliche Sammlungen einzuschränken.
1213
1214 Wir wollen die ökologischen Produktverantwortung nicht länger nur als Produzen-
1215 tenverantwortung verstehen. Durch eine aussagefähige Produktkennzeichnung, z.
1216 B. klare Bezeichnung als Einweg- oder Mehrwegflasche, werden wir die Transpa-
1217 renz erhöhen und die ökologische Konsumentenverantwortung stärken.
1218
1219 Die Verpackungsverordnung werden wir überarbeiten und in Richtung einer all-
1220 gemeinen Wertstoffverordnung weiterentwickeln, die sowohl flexible als auch wett-
1221 bewerbliche Lösungen zur Ressourcenschonung enthält. Die Aufhebung der
1222 Rücknahmeverpflichtungen für Hersteller und Vertreiber lehnen wir ab.
1223
1224 Mit Blick auf die Abfallwirtschaft befürworten wir die grundsätzliche steuerliche
1225 Gleichstellung von öffentlichen und privaten Unternehmen.
1226
1227Wasser
1228
1229 Wir werden die Qualität der Gewässer weiter verbessern. Hierzu werden wir die
1230 Anforderungen der Wasserrahmenrichtlinie an die Gewässergüte gemeinsam mit
1231 unseren Nachbarn zügig umsetzen, Schadstoffeinträge weiter vermindern und den
1232 Gewässern mehr Raum geben. Die Förderung von Agrar-Umweltmaßnahmen ("2.
1233 Säule") ist stärker auf die Verringerung der Einträge von Nährstoffen und Pflan-
1234 zenschutzmitteln in Gewässer auszurichten.
1235
1236Dezentrale Energieversorgung im ländlichen Raum
1237
1238 Wir werden den Anbau und die Verwertung von nachwachsenden Rohstoffen un-
1239 ter Berücksichtigung der Bestimmungen der Nachhaltigkeitsverordnungen unter-
1240 stützen, ohne die Ernährungssicherheit zu gefährden. Das laufende Aktionspro-
1241 gramm des Bundes "Energie von morgen - Chance für ländliche Räume" wird
1242 fortgesetzt.
1243
12444.3 Neue Technologien, Industrieland Deutschland
1245
1246 Wohlstand und Beschäftigung sind in Deutschland in weitaus stärkerem Maße als
1247 in den meisten vergleichbaren Ländern von einer prosperierenden, breit aufge-
1248 stellten Industrie abhängig. Wir bekennen uns deshalb zum Industriestandort
1249 Deutschland und zur Akzeptanz zukunftsweisender Technologien. Wir werden
1250 dafür sorgen, dass in Deutschland produzierende Unternehmen faire Bedingungen
1251 im europäischen und auch globalen Wettbewerb vorfinden ("level playing field").
1252
1253 Wir werden die Luftfahrtindustrie und ihre innovativen Technologien nachhaltig
1254 fördern, um so zum Erhalt und zur Steigerung der technologischen Leistungsfä-
1255 higkeit Deutschlands beizutragen. Die nachhaltige Sicherung und der weitere
1256 Ausbau der eigenständigen nationalen Fähigkeiten auch im Bereich der Luftfahrt-
1257 industrie - insbesondere zukünftiger unbemannter Luftfahrtsysteme - sind unab-
1258 dingbar.
1259
1260 Deutschland braucht klare Ziele in der Raumfahrt. Dafür wird eine eigenständige
1261 Raumfahrtstrategie mit klaren Missions- und Technologiezielen innerhalb eines
1262 Jahres weiterentwickelt. Die Luftfahrtforschung werden wir programmatisch weiter
1263 vorantreiben.
1264
1265 Wir werden die Wettbewerbsfähigkeit der Maritimen Wirtschaft in Deutschland
1266 stärken und die nationalen maritimen Konferenzen fortsetzen. Die Innovationsfel-
1267 der Schiffbau und Meerestechnik werden weiterentwickelt. Wir unterstützen den
1268 Ausbau der nachhaltigen Energie- und Rohstoffversorgung aus dem Meer als stra-
1269 tegisch wichtiges Zukunftsfeld.
1270
1271 Die Koalition wird bei der EU-Kommission darauf hinwirken, europäischen Hoch-
1272 technologiestandorten weltweit gleiche Wettbewerbsbedingungen zu ermöglichen.
1273 Die richtige Absicht der EU-Kommission, Wettbewerbsverzerrungen innerhalb der
1274 EU zu unterbinden, darf nicht zu einer Schwächung des Standorts Europa gegen-
1275 über anderen Regionen auf der Welt führen. Um Hochtechnologien wie die Mikro-
1276 und Nanoelektronik in Deutschland zu halten und in ihrer Entwicklung zu stärken,
1277 müssen die globalen Wettbewerbsbedingungen fair sein. Die Koalition wird
1278 daneben die eigenen Anstrengungen insbesondere im Bereich der Forschungs-
1279 und Technologieförderung verstärken.
1280
1281Zukunftstechnologien
1282
1283 Moderne Technologien sind keine Bedrohung sondern Chance für Deutschland.
1284 Mit ihnen begegnen wir den großen Herausforderungen der Menschheit wie Hun-
1285 ger, Armut, Krankheit und Naturkatastrophen. Deutschlands Technologieführer-
1286 schaft sichert uns Teilhabe an großen Zukunftschancen, Beschäftigung und Res-
1287 sourcen schonendem Wohlstand.
1288
1289 Eine zukunftsfähige deutsche Wirtschaft beruht auf freien Entwicklungs- und For-
1290 schungsmöglichkeiten:
1291 - Wir wollen die Nanotechnologie in Deutschland konsequent weiterentwi-
1292 ckeln.
1293 - Wir wollen den deutschen Vorsprung in den Umwelt- und Klimaschutztech-
1294 nologien halten und ausbauen.
1295 - Bei der Fahrzeugtechnologie und Elektromobilität wollen wir insbesondere
1296 alternative Antriebskonzepte im Interesse zukünftiger, umweltfreundlicher
1297 Verkehrskonzepte in den Mittelpunkt rücken.
1298 - Die kerntechnische Sicherheitsforschung eröffnet deutschen Unternehmen
1299 Exportchancen.
1300 - Die Fusionsforschung kann eine neue umweltfreundliche und sichere E-
1301 nergiequelle erschließen.
1302 - Mit moderner Mikroelektronik durchdringen wir industrielle Anwendungen in
1303 nahezu allen Hard- und Software-Bereichen.
1304 - Entwicklung neuer chemischer Produkte ist eine entscheidende Vorstufe für
1305 die Wertschöpfung in vielen anderen Wirtschaftsbereichen.
1306 - Die industrielle Biotechnologie eröffnet neue Verfahren in der Nahrungsmit-
1307 tel, Papier- und Textilindustrie sowie in der Chemie- und Pharmaindustrie.
1308 - In der Pharmaforschung muss langfristig investiert werden können, um
1309 auch in Zukunft weltmarktfähige Produkte anzubieten.
1310
13114.4 Moderne Infrastruktur
1312
13134.4.1 Mobilität
1314
1315 Mobilität besitzt eine Schlüsselfunktion in unserer Gesellschaft; sie schafft die
1316 Voraussetzungen für Beschäftigung, Wohlstand und persönliche Freiheit. Wir wol-
1317 len mit einer effizienten Verkehrspolitik die Mobilität für heute und morgen sichern.
1318 Uns geht es darum, Mobilität zu ermöglichen und nicht zu behindern. Die Hinter-
1319 lassenschaften von Rot-Grün in der Verkehrspolitik gehören endgültig der Ver-
1320 gangenheit an. Dabei tragen wir den Mobilitätsbedürfnissen ebenso Rechnung wie
1321 den Anforderungen von Klima-, Umwelt-, und Lärmschutz sowie Verkehrssicher-
1322 heit. Mobilität in Deutschland muss für die Bürgerinnen und Bürger in Deutschland
1323 bezahlbar bleiben. Die Aufgaben von Staat und Privatwirtschaft im Verkehrssektor
1324 müssen vernünftig abgegrenzt und geordnet sein. Aufgabe der Privatwirtschaft ist
1325 es, Personenverkehr, Gütertransport und Logistik zu betreiben. Aufgabe des Staa-
1326 tes ist es, eine zukunfts- und leistungsfähige Infrastruktur zu garantieren, für faire
1327 Wettbewerbsregeln zu sorgen sowie den Unternehmen Planungssicherheit zu ge-
1328 währleisten. Dabei muss Bürokratie so weit wie möglich vermieden werden.
1329
1330Leistungsfähige Verkehrsinfrastruktur
1331
1332 Voraussetzung für Wachstum und Wettbewerbsfähigkeit unserer Volkswirtschaft
1333 sind leistungsfähige und optimal vernetzte Verkehrswege.
1334
1335 Die Koalition bekennt sich zur Notwendigkeit, die Verkehrsinfrastruktur zu erhalten
1336 und weiter auszubauen. Investitionen in die Verkehrsinfrastruktur werden wir auf
1337 hohem Niveau für Straße, Schiene und Wasserstraße sicherstellen.
1338
1339 Die Infrastrukturpolitik in Deutschland steht vor großen Herausforderungen. Erhalt
1340 sowie Neu- und Ausbau der Verkehrsinfrastruktur sind weit hinter dem Bedarf zu-
1341 rückgeblieben. Entscheidende Schwächen waren die kontinuierliche Unterfinan-
1342 zierung, schwankende Haushaltslinien und die Effizienz- sowie Transparenzdefizi-
1343 te bei Planung, Genehmigung, Bau und Betrieb.
1344
1345 Der Bundesverkehrswegeplan muss an die aktuellen Bedürfnisse und Entwicklun-
1346 gen angepasst werden. Wir werden in dieser Legislaturperiode die Bedarfspläne in
1347 den Ausbaugesetzen überprüfen, kurzfristig alle gesetzlichen Spielräume für mehr
1348 Flexibilität nutzen und vorbereitend für den nächsten Bundesverkehrswegeplan
1349 (BVWP) eine neue Grundkonzeption erarbeiten, mit der auch ein Wasserstraßen-
1350 ausbaugesetz vorbereitet wird. Wir werden zudem prüfen, inwieweit auch Investi-
1351 tionen in Verkehrslenkungs- und Verkehrsmanagementsysteme in den BVWP
1352 aufgenommen werden können.
1353
1354 Die Verkehrsinfrastrukturfinanzierungsgesellschaft (VIFG) werden wir weiterentwi-
1355 ckeln, u. a. mit der Prüfung der Herstellung eines Finanzierungskreislaufs Straße
1356 unter direkter Zuweisung der Lkw-Maut an die VIFG und Herstellung ihrer Kredit-
1357 fähigkeit in begrenztem Umfang. Dadurch könnten wir die Haushaltsabhängigkeit
1358 von Verkehrsinvestitionen reduzieren und eine mehrjährige Planungs- und Finan-
1359 zierungssicherheit für Investitionsprojekte erreichen. Verkehrsträgerbezogene Fi-
1360 nanzierungskreisläufe werden wir stärken.
1361
1362 Wir werden Kriterien entwickeln zur Priorisierung von Investitionsprojekten, wie
1363 gesamtwirtschaftliche Vorteilhaftigkeit, Erhalt vor Neubau (Beendigung Substanz-
1364 verlust), Beseitigung bzw. Ertüchtigung von Engpässen, Knoten, Hauptachsen,
1365 Hinterlandanbindungen für Häfen und Flugdrehkreuze, EU-Osterweiterung. Auch
1366 werden wir die Modelle für die Beteiligung Privater im Rahmen von ÖPP-Projekten
1367 voranbringen. Im Einvernehmen mit dem betroffenen Bundesland werden wir
1368 Bundesstraßen mit geringer Fernverkehrsrelevanz zurückstufen.
1369
1370 Wir wollen eine Beschleunigung des Planungsrechts. Dabei geht es uns insbe-
1371 sondere um eine Straffung des Verfahrensrechts, die Vermeidung von Doppelprü-
1372 fungen, die Einbeziehung von raumordnerischen Belangen im Fachplanungsrecht
1373 und die Harmonisierung des europäischen Umweltrechts.
1374
1375 Eine bessere Auslastung hochfrequentierter Autobahnabschnitte wollen wir durch
1376 eine Ausrüstung mit Verkehrssteuerungs- und Verkehrsmanagementsystemen
1377 erreichen. Diese Systeme können auch die Nutzung von Standstreifen zu Spitzen-
1378 lastzeiten ermöglichen. Die Sicherheit von Brückenbauwerken werden wir durch
1379 eine Weiterführung des Sanierungsprogramms gewährleisten. Bei der Ausrichtung
1380 internationaler Großveranstaltungen in Deutschland (Beispiele: Olympische Spie-
1381 le, FIFA Frauen- Weltmeisterschaft), werden wir der jeweiligen Landes- und
1382 Kommunalebene die Unterstützung geben.
1383
1384 Über die Höhe der Finanzausstattung für die ehemalige Gemeindeverkehrsfinan-
1385 zierung werden wir für die Folgezeit bis 2019 in der Mitte der Legislaturperiode
1386 entscheiden.
1387
1388Europäische Verkehrspolitik
1389
1390 Wir wollen eine offensive Europastrategie der deutschen Verkehrspolitik. Ziel ist
1391 die bessere Wahrnehmung deutscher Interessen und die Harmonisierung der
1392 Wettbewerbsbedingungen unserer Transportwirtschaft, besonders bei Steuern
1393 und Abgabensystem, Beihilfen und Ausnahmeregelungen. Wir wollen die Transeu-
1394 ropäischen Verkehrsnetze weiterentwickeln und die bestehenden Planungen unter
1395 besonderer Berücksichtigung der deutschen Projekte sinnvoll ergänzen.
1396
1397 Wir werden die Europäische Kommission auffordern, ein neues Konzept zur An-
1398 lastung externer Kosten vorzulegen. Dieses muss, anders als bisher, alle Ver-
1399 kehrsträger einbeziehen und nach gleichen Kriterien behandeln. Stau- und Unfall-
1400 kosten dürfen in die Berechnung nicht einbezogen werden.
1401
1402 Bei der auf europäischer Ebene geplanten CO2-Regulierung für leichte Nutzfahr-
1403 zeuge werden wir sicherstellen, dass die Produkt- und Entwicklungszeiträume be-
1404 achtet werden. Die Regulierungsanforderungen dürfen die - sich derzeit in einer
1405 schweren Krise befindlichen - Nutzfahrzeughersteller nicht überfordern.
1406
1407Logistikstandort Deutschland
1408
1409 Der Wohlstand in Deutschland basiert auf der Einbindung in die internationalen
1410 Handelsströme. Wir wollen, dass der Logistikstandort Deutschland seine heraus-
1411 ragende Stellung im Herzen Europas noch weiter ausbaut. Deutschland darf nicht
1412 nur reines Transitland mitten in Europa sein, sondern muss auch in Zukunft an der
1413 Wertschöpfung in Handel und Logistik teilhaben.
1414
1415 Die Förderung des Logistikstandorts Deutschland werden wir durch die Umset-
1416 zung von gemeinsam mit dem Gewerbe ausgewählten Maßnahmen aus dem
1417 "Masterplan Güterverkehr und Logistik" erreichen. Wichtiger Bestandteil wird eine
1418 zwischen Bund und Ländern abgestimmte Vermarktungsoffensive sein.
1419 Das deutsche Güterkraftverkehrsgewerbe wollen wir vor allem durch den Abbau
1420 von Wettbewerbsverzerrungen auf europäischer Ebene unterstützen. Die Anlas-
1421 tung von externen Kosten kommt nur unter wettbewerbsneutralen Voraussetzun-
1422 gen in Betracht. Darüber hinaus werden wir ein Belastungsmoratorium schaffen,
1423 indem eine Erhöhung der Lkw-Maut in dieser Legislaturperiode ausgeschlossen
1424 wird.
1425
1426 Die Einführung des 60-Tonner-Lkw lehnen wir ab. Wir wollen neue Nutzfahrzeug-
1427 konzepte durch die maßvolle Erhöhung der Lkw-Fahrzeuggrößen und -gewichte
1428 ermöglichen. Einen Einsatz größerer Lkw sehen wir allerdings nur in geeigneten
1429 Relationen. Chancen und Risiken wollen wir in einem bundesweiten Feldversuch
1430 evaluieren.
1431
1432 Das bestehende Lkw-Stellplatzdefizit an deutschen Autobahnen werden wir
1433 schnellstmöglich beseitigen. Behinderungen der Freizügigkeit im europäischen
1434 Gütertransport durch nationale Transitbeschränkungen, etwa im alpenquerenden
1435 Verkehr, werden wir entschieden abwehren. Die Förderung des kombinierten Ver-
1436 kehrs wird fortgesetzt und mit einem besonderen Schwerpunkt auf die Verbesse-
1437 rung der Schnittstellenproblematik weiterentwickelt.
1438
1439Öffentlichen Personennahverkehr
1440
1441 Die Koalition bekennt sich zum öffentlichen Personennahverkehr (ÖPNV) als un-
1442 verzichtbaren Bestandteil der Daseinsvorsorge, auch in der Fläche. Um für den
1443 ÖPNV verlässliche Rahmenbedingungen zu schaffen, werden wir unverzüglich
1444 das Personenbeförderungsgesetz (PBefG) novellieren und an den europäischen
1445 Rechtsrahmen anpassen. Unser Leitbild ist dabei ein unternehmerisch und wett-
1446 bewerblich ausgerichteter ÖPNV. Dabei werden wir den Vorrang kommerzieller
1447 Verkehre gewährleisten. Aufgabenträger bleiben die Kommunen. Wir wollen mit-
1448 telständischen Unternehmen die Beteiligungschancen sichern und insbesondere
1449 eine Betreibervielfalt im Busgewerbe gewährleisten. Die Koalition steht zur Erfül-
1450 lung der Finanzierungsverpflichtungen aus dem Regionalisierungsgesetz. Wir wol-
1451 len jedoch eine höhere Transparenz in der ÖPNV-Finanzierung erreichen. Für re-
1452 gionale Schienenstrecken werden wir neue Betreibermodelle erproben, um den
1453 Ländern und Aufgabenträgern Einfluss etwa auf Modernisierung und Regionalisie-
1454 rung zu geben.
1455 Wir werden Busfernlinienverkehr zulassen und dazu § 13 PBefG ändern.
1456
1457Schienenverkehr für Mensch und Umwelt
1458 Wir wollen die 1994 erfolgreich begonnene Bahnreform weiterführen. Das Unter-
1459 nehmen Deutsche Bahn AG werden wir in seiner positiven Entwicklung begleiten,
1460 Der konzernweite Arbeitsmarkt bleibt erhalten. Sobald der Kapitalmarkt dies zu-
1461 lässt, werden wir eine schrittweise, ertragsoptimierte Privatisierung der Transport-
1462 und Logistiksparten einleiten.
1463
1464 Die Infrastruktursparten (Netz, Bahnhöfe, Energie) werden nicht privatisiert, weil
1465 sie im Zusammenhang mit der staatlichen Infrastrukturverantwortung stehen. Wir
1466 wollen die Rechte des Bundes bei Initiierung und Umsetzung von Eisenbahninfra-
1467 strukturprojekten stärken. Für die Schiene werden wir künftig schnellere Pla-
1468 nungsvorläufe durch Einführung eines Planungskostenbudgets und eine flexiblere
1469 Handhabung der Planungskostenerstattung gewährleisten.
1470
1471 Für die Finanzierung der Bahn wird folgendes Modell geprüft:
1472 Mittelzuwendungen des Bundes erfolgen direkt an die DB-
1473 Infrastrukturgesellschaften. Trassenerlöse und Stationsentgelte fließen in die
1474 Schieneninfrastruktur zurück, Gewinnabführungen der Infrastruktursparten an die
1475 Holding werden ausgeschlossen. Die DB AG behält im Konzernverbund als Al-
1476 leineigentümerin Einfluss auf ihre Infrastruktursparten; deren Leitung erfolgt zu-
1477 künftig unabhängig. Doppelmandate bei Holding- und Infrastrukturgesellschaften
1478 werden ausgeschlossen.
1479
1480 Mit der stärkeren Unabhängigkeit des Netzes erreichen wir auch, dass der Wett-
1481 bewerb auf der Schiene verbessert wird. Zu diesem Zweck werden wir auch das
1482 Regulierungsrecht im Allgemeinen Eisenbahngesetz überarbeiten. Unter anderem
1483 müssen dabei die Trassen- und Stationspreise einer Anreizregulierung unterwor-
1484 fen werden. Regulierungsbedürftig sind ferner der Zugang zu Serviceeinrichtun-
1485 gen, der Bezug von Bahnstrom und Vertriebsleistungen im Schienenpersonenver-
1486 kehr. Die Bundesnetzagentur wird gestärkt. Darüber hinaus setzen wir uns auf
1487 europäischer Ebene für eine vollständige Öffnung der Eisenbahnmärkte in allen
1488 Mitgliedsstaaten und für faire Wettbewerbsbedingungen ein. Wir fordern eine
1489 Harmonisierung bei der Regulierung auf europäischer Ebene.
1490
1491 Die Leistungs- und Finanzierungsvereinbarung wollen wir weiterentwickeln. Wir
1492 werden die geeigneten Instrumente schaffen, die Bund und Ländern einen vertief-
1493 ten Einblick in die Umsetzung der Leistungs- und Finanzierungsvereinbarung er-
1494 möglichen. Wir wollen die rechtlichen Voraussetzungen für die Finanzierung nicht-
1495 bundeseigener Eisenbahninfrastruktur für die Einbindung in das Schienengüter-
1496 fernverkehrsnetz schaffen.
1497
1498 Wir werden die Vorschläge zur Einführung eines Deutschlandtaktes im Schienen-
1499 personenverkehr einer sorgfältigen Überprüfung unter Beteiligung der Länder un-
1500 terziehen.
1501
1502Luftverkehrsstandort Deutschland
1503
1504 Die Koalition ist sich der großen Bedeutung der Luftverkehrswirtschaft für den
1505 Standort Deutschland bewusst. Wir wollen die erfolgreiche Arbeit der "Initiative
1506 Luftverkehr" als übergreifendes Steuerungsinstrument fortsetzen und die Länder
1507 daran beteiligen. Wir werden uns für einen koordinierten, Ausbau der Flughafen-
1508 infrastruktur einsetzen. Neben einer Kapazitätsentwicklung der Flughäfen werden
1509 wir insbesondere international wettbewerbsfähige Betriebszeiten sicherstellen. Die
1510 dazu erforderliche Präzisierung im Luftverkehrsgesetz soll eine gleichberechtigte
1511 und konsequente Nachhaltigkeitsabwägung von wirtschaftlichen, betrieblichen und
1512 dem Lärmschutz geschuldeten Erfordernissen auch bei Nachtflügen sicherstellen.
1513 Die Wahrung des öffentlichen Erschließungsinteresses der Bundesrepublik
1514 Deutschland ist dabei zu gewährleisten.
1515
1516 Wir werden die Realisierung des Single European Sky auf europäischer Ebene
1517 vorantreiben, um direktere Flugrouten innerhalb Europas zu ermöglichen. Die
1518 Deutsche Flugsicherung GmbH wollen wir in ihrer internationalen Wettbewerbsfä-
1519 higkeit stärken, insbesondere durch eine Befreiung der Restriktionen des § 65 Ab-
1520 satz 3 BHO. Wir prüfen eine Kapitalprivatisierung der Deutschen Flugsicherung
1521 GmbH (DFS). Bei der Einführung des Emissionshandels für den Luftverkehr wol-
1522 len wir Wettbewerbsneutralität sicherstellen. Wir werden eine effizienzsteigernde
1523 Reform der Luftverkehrsverwaltung, insbesondere im Hinblick auf ihre Organisati-
1524 onsform, prüfen.
1525
1526Schifffahrtspolitik
1527
1528 Die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Seehäfen werden wir durch eine zügige
1529 Optimierung der seewärtigen Zufahrten sicherstellen. Die dazu notwendigen Fahr-
1530 rinnenanpassungen wollen wir zügig realisieren. Der Ausbau der Hafenhinterland-
1531 verkehre ist von allergrößter Bedeutung für die gesamte exportorientierte Wirt-
1532 schaft. Wir werden die Seehafenhinterlandanbindungen gezielt ausbauen
1533
1534 Die zuletzt verstärkte Berücksichtigung der Bundeswasserstraßen bei der Vertei-
1535 lung von Investitionsmitteln werden wir fortsetzen.
1536
1537 Wir werden das Forum Binnenschifffahrt und Logistik fortführen. In diesem Zu-
1538 sammenhang halten wir an der Investitionsförderung nach § 6 b Einkommensteu-
1539 ergesetz sowie an den Hilfen bei der Flottenmodernisierung und bei der Umrüs-
1540 tung auf abgasärmere Motoren fest. Wir werden zudem unnötige bürokratische
1541 Hindernisse für die Schifffahrt beseitigen und ein Gesetz zur Reform der Wasser-
1542 und Schifffahrtsverwaltung vorlegen.
1543
1544Stadt- und Regionalverkehr
1545
1546 Die Koalition wird - nicht zuletzt vor dem Hintergrund des demographischen Wan-
1547 dels - einen attraktiven und nachhaltigen Stadt- und Regionalverkehr fördern. Wir
1548 werden uns aktiv mit der Initiative der EU-Kommission "Urbane Mobilität" befas-
1549 sen. Wichtig ist dabei, den Grundsatz der Subsidiarität zu beachten und das
1550 Selbstverwaltungsrecht der Kommunen nicht einzuschränken. Eine City-Maut und
1551 generelle innerstädtische Fahrverbote lehnen wir ab. Der Radverkehr stellt für uns
1552 einen wichtigen Bestandteil städtischer Mobilität dar. Deshalb werden wir den Na-
1553 tionalen Radverkehrsplan weiterentwickeln.
1554
1555Umweltfreundliche Mobilität
1556
1557 Eine wesentliche Aufgabe unserer Mobilitätspolitik ist die Vereinbarkeit von Ver-
1558 kehr und Umwelt. Wo immer dies sinnvoll ist, wollen wir die Verlagerung von Ver-
1559 kehren auf Schiene und Wasserstraße fördern. Gleichzeitig muss sich der Ver-
1560 kehrssektor auf den Abschied vom Zeitalter der fossilen Brennstoffe vorbereiten.
1561 Als kurzfristige Maßnahmen zur Verbesserung der Klimabilanz des Verkehrs set-
1562 zen wir auf die Optimierung von fossilen Antriebstechnologien und die Förderung
1563 von innovativen Biokraftstoffen. Für deren Einsatz werden wir stabile steuerliche
1564 Rahmenbedingungen gewährleisten.
1565
1566Elektromobilität
1567
1568 Als mittel- bis langfristige Alternative zu fossilen Brennstoffen wollen wir die Wei-
1569 chen für Elektromobilität in Deutschland durch ein umfassendes Entwicklungs-
1570 programm stellen.
1571
1572 Wir wollen Deutschland zu einem Leitmarkt für Elektromobilität machen und dabei
1573 bis zum Jahr 2020 eine Million Elektrofahrzeuge auf die Straßen bringen. In Mo-
1574 dellregionen werden wir zukunftsweisende, ganzheitliche Verkehrskonzepte ("Mo-
1575 bility on Demand") erproben.
1576
1577 In das Konzept der Modellregionen wollen wir auch ländliche Räume einbeziehen.
1578 Besonderen Schwerpunkt legen wir auf die Förderung innovativer Batterietechno-
1579 logien. Deshalb müssen neben der Elektromobilität auch die Weiterentwicklung
1580 von Brennstoffzelle und Wasserstoff vorangetrieben werden. Es gilt aber für uns
1581 der Grundsatz der Technologieneutralität. In Deutschland muss sobald wie mög-
1582 lich mit dem Aufbau eines Netzes von Ladestellen für Elektrofahrzeuge in Bal-
1583 lungsräumen begonnen werden. Staatliche Aufgabe ist es dabei, die rechtlichen
1584 Rahmenbedingungen zu schaffen; Aufbau und Betrieb dieser Ladestellen ist Auf-
1585 gabe der Privatwirtschaft.
1586
1587 Um unsere Wirtschaft vor Benachteiligungen im internationalen Wettbewerb zu
1588 schützen, wollen wir keine nationalen Alleingänge.
1589 Wir wollen die Feinstaubbelastung in den Städten reduzieren. Bei der Einrichtung
1590 von Umweltzonen muss auf die Wirksamkeit und Verhältnismäßigkeit geachtet
1591 werden. Wir wollen Einfahrtverbote dort lockern, wo die Einschränkungen in kei-
1592 nem vernünftigen Verhältnis zur erzielten Feinstaubreduzierung stehen. Dazu wol-
1593 len wir die Ausnahmeregelungen bundesweit vereinheitlichen.
1594
1595 Die Akzeptanz für einen weiteren Ausbau der Verkehrsinfrastruktur hängt ent-
1596 scheidend davon ab, dass die Lärmbelastung der Bevölkerung reduziert wird. Wir
1597 wollen deshalb den Lärmschutz ausweiten. Dazu wollen wir den Schienenbonus
1598 schrittweise reduzieren mit dem Ziel, ihn ganz abzuschaffen. Gleichzeitig wollen
1599 wir eine lärmabhängige Trassenpreisgestaltung bei der Bahn.
1600
1601 Bei bereits bestehenden Strecken wollen wir das Lärmsanierungsprogramm
1602 Schiene fortsetzen und intensivieren. Dazu wollen wir auch die Möglichkeiten des
1603 technischen Fortschritts bei Fahrzeugen nutzen.
1604
1605 Die Koalition lehnt ein allgemeines Tempolimit auf Autobahnen ab.
1606
1607Verkehrssicherheit
1608
1609 Bestandteil unserer nachhaltigen Mobilitätspolitik ist auch die Förderung innovati-
1610 ver Verkehrstechnologien. Wir wollen Deutschlands Führungsposition im Bereich
1611 Telematik und Verkehrsmanagementsysteme ausbauen. Einen besonderen
1612 Schwerpunkt werden wir auf die Förderung intelligenter Verkehrsleitsysteme zur
1613 Kapazitätsoptimierung hoch belasteter Verkehrsstrecken legen. Dabei wollen wir
1614 auch die Innovations- und Marktpotentiale in Zusammenhang mit dem Satelliten-
1615 navigationssystem GALILEO nutzen. Wir wollen die Fahrzeugzulassung in
1616 Deutschland entbürokratisieren. Dazu werden wir die Pilotversuche des Online-
1617 Zulassungsverfahrens fortsetzen, evaluieren und dann über eine Neuregelung
1618 entscheiden.
1619
1620 Die Verbesserung der Verkehrssicherheit in Deutschland bleibt ein zentrales An-
1621 liegen. Dazu werden wir das erfolgreiche Verkehrssicherheitsprogramm weiter-
1622 entwickeln und ausbauen. Zielrichtung ist vor allem die Entschärfung der Unfall-
1623 schwerpunkte, insbesondere auf Landstraßen. Wir werden modernste Fahrzeug-
1624 und Sicherheitstechnik fördern.
1625
1626 Wir werden das Straßenverkehrsgesetz zugunsten der bei den Freiwilligen Feu-
1627 erwehren, den Rettungsdiensten und den technischen Hilfsdiensten ehrenamtlich
1628 tätigen Bürgerinnen und Bürger weiter verbessern.
1629
1630 Das Punktesystem beim Bundeszentralregister in Flensburg wollen wir reformie-
1631 ren, um eine einfachere, transparentere und verhältnismäßigere Regelung zu
1632 schaffen.
1633
16344.4.2 Bauen und Wohnen
1635
1636 Die nachhaltige Stadtentwicklungspolitik hat angesichts der wirtschaftlichen, kultu-
1637 rellen und gesellschaftlichen Entwicklung in unserem Land folgende Ziele: die Be-
1638 wältigung der Folgen des demographischen und wirtschaftsstrukturellen Wandels,
1639 den Klimaschutz, die Stärkung des sozialen Zusammenhalts und der Integration
1640 von Menschen mit Migrationshintergrund, den Erhalt historischer Bausubstanz und
1641 Stadtstrukturen, die Wieder- und Umnutzung von Brachflächen und die Barriere-
1642 armut im Wohnumfeld. Auf dem Gebiet der nachhaltigen Stadtentwicklung ist dar-
1643 über hinaus die internationale Zusammenarbeit auszubauen. Um den europäi-
1644 schen Integrationsprozess zu beschleunigen, ist die grenzüberschreitende Zu-
1645 sammenarbeit bei der Raumordnungsplanung zu intensivieren.
1646
1647Städtebauförderung
1648
1649 Die Städtebauförderung leistet einen unverzichtbaren Beitrag zur lebenswerten
1650 Gestaltung von Städten und Gemeinden. Wir werden die Städtebauförderung als
1651 gemeinschaftliche Aufgabe von Bund, Ländern und Kommunen auf bisherigem
1652 Niveau, aber flexibler fortführen. Es gilt, die privaten Hauseigentümer und das im
1653 Stadtgebiet ansässige Gewerbe stärker in die Stadtentwicklungsprozesse einzu-
1654 binden. Dazu dient u. a. das Instrument des integrierten Stadtentwicklungskonzep-
1655 tes. Auf neue Herausforderungen werden wir zunächst mit Modellvorhaben von
1656 Bund und Ländern reagieren.
1657
1658 Beim "Stadtumbau Ost" soll die Aufwertung von Innenstädten und die Sanierung
1659 von Altbausubstanz gestärkt und der Rückbau der technischen und sozialen Infra-
1660 struktur besser berücksichtigt werden. Der Erfolg des Programms soll nicht durch
1661 ungelöste Altschuldenprobleme einzelner Wohnungsunternehmen beim Abriss
1662 von Wohnungsleerstand gefährdet werden.
1663
1664 Der "Stadtumbau West" wird weiterentwickelt. Das Programm "Soziale Stadt" soll
1665 stärker ressortübergreifend umgesetzt werden. Mit dem Programm "Aktive Stadt-
1666 und Ortsteilzentren" wollen wir weiter zur Stärkung der Innenentwicklung beitra-
1667 gen.
1668
1669 Wir werden die Förderung der energetischen Sanierung sozialer Infrastruktur fort-
1670 führen.
1671
1672Denkmalschutz
1673
1674 Das Programm "Städtebaulicher Denkmalschutz" ist für den Erhalt und die Erneu-
1675 erung historischer Innenstädte unentbehrlich. Wir wollen zugunsten des Denkmal-
1676 schutzes Planungssicherheit für Investoren gewährleisten und halten daher an der
1677 steuerlichen Förderung von Baudenkmalen und Gebäuden in Sanierungsgebieten
1678 und städtebaulichen Entwicklungsbereichen fest.
1679
1680Ländliche Räume
1681
1682 Eine besondere Aufgabe wird künftig die Sicherung der öffentlichen Daseinsvor-
1683 sorge in dünn besiedelten Räumen sein. Wir wollen diese Räume bei der Entwick-
1684 lung dezentraler Systeme, bei der Nutzung alternativer Technologien zu Energie-,
1685 Wasserver- und Abwasserentsorgung sowie bei der Vernetzung und Kooperation
1686 von Ressourcen und Kräften unterstützen. Die flächendeckende Versorgung mit
1687 Infrastruktur für ein schnelles Internet wird massiv vorangetrieben.
1688
1689Bauplanungsrecht
1690
1691 Das Planungsrecht und die Planungsziele werden wir weiterentwickeln. Es gilt,
1692 den Klimaschutz zu verankern, den Vorrang der Innenentwicklung zu stärken und
1693 die Genehmigungsverfahren zu entbürokratisieren. Dazu werden wir das Bauge-
1694 setzbuch (BauGB) anpassen und weiterentwickeln. Ferner werden wir die Baunut-
1695 zungsverordnung (BauNVO) umfassend prüfen. Wir werden mit den Ländern ei-
1696 nen Dialog darüber führen, wie Genehmigungsfiktionen generell ausgeweitet wer-
1697 den können. Ziel ist auch, die Allgemeinverbindlichkeit von wesentlichen Punkten
1698 der Musterbauordnung zu erreichen.
1699
1700 Ungenutzte innerstädtische Grundstücke des Bundes und bundeseigener Unter-
1701 nehmen müssen schneller einer Umnutzung bzw. Veräußerung zugeführt werden.
1702 Das erfordert ein wirkungsvolleres Immobilienmanagement des Bundes. Durch die
1703 Stärkung der Innenentwicklung wird auch die Inanspruchnahme neuer Flächen für
1704 Verkehrs- und Siedlungszwecke reduziert. Um in diesem Zusammenhang Zielkon-
1705 flikte zu vermeiden, werden wir im Rahmen der anstehenden Überprüfung der In-
1706 dikatoren auch das Flächeninanspruchnahmeziel im Sinne größtmöglicher ökolo-
1707 gischer Wirksamkeit neu definieren. Es soll sich stärker an der tatsächlichen Zer-
1708 schneidung oder Versiegelung von Lebensräumen orientieren.
1709
1710Wohneigentum
1711
1712 Wohneigentum ist Altersvorsorge und stärkt die regionale Verbundenheit. In ver-
1713 gleichbarer Weise wirkt der Erwerb von Geschäftsanteilen bei einer Wohnungsge-
1714 nossenschaft für eigene Wohnzwecke. Wir wollen die Wohneigentumsquote in
1715 Deutschland erhöhen. Dazu werden wir die Eigenheimrente vereinfachen.
1716
1717Wohnungsbau
1718
1719 Die Wohnungsmärkte sind regional differenziert ausgeprägt. Insbesondere in Bal-
1720 lungszentren ist zusätzlicher Wohnungsneubau erforderlich.
1721
1722 Wir werden bis zur Mitte der Legislaturperiode entscheiden, ob nach dem Jahr
1723 2013 der Bund den Ländern weiterhin zweckgebunden Mittel zur Finanzierung von
1724 Maßnahmen der Wohnraumförderung gewährt. Auf europäischer Ebene lehnen
1725 wir eine Förderung des Wohnungsbaus mit Mitteln der EU ab.
1726
1727Bauwirtschaft und planende Berufe
1728
1729 Die Bau-, Wohnungs- und Immobilienwirtschaft sind besonders wichtige Wirt-
1730 schaftszweige in unserem Land. Wir stehen dafür, dass ihre Leistungen den Stel-
1731 lenwert im öffentlichen Bewusstsein erhalten, der ihrem Anteil an der Bruttowert-
1732 schöpfung entspricht. Daher werden wir den Dialog zwischen Bund, Bau-, Immobi-
1733 lien- und Wohnungswirtschaft vertiefen.
1734
1735 Die Baukultur gehört zu identitätsstiftenden Markenzeichen einer Nation. Wir wol-
1736 len daher das öffentliche Bewusstsein für die Baukultur weiter unterstützen.
1737
1738 Die Honorarordnung für Architekten und Ingenieure (HOAI) wird auf der Grundlage
1739 des Bundesratsbeschlusses schnellstmöglich weiter modernisiert.
1740
1741Bundesbauten
1742
1743 Der Bund wird auch in Zukunft seiner Vorbildfunktion für Baukultur und Nachhal-
1744 tigkeit bei seinen Baumaßnahmen gerecht werden. Diese Aspekte müssen in eine
1745 erweiterte Wirtschaftlichkeitsprüfung der Bundesbauvorhaben einfließen. Die Vor-
1746 bildwirkung erstreckt sich auch auf die energetische Sanierung von Bundesbau-
1747 ten, insbesondere beim Einsatz innovativer Technologien und Materialien.
1748
1749 Das Bundesamt für Bauen und Raumordnung (BBR) wird zu einer betriebswirt-
1750 schaftlich agierenden Bundesanstalt umgestaltet. Es soll in seiner Funktion als
1751 Dienstleister für Baumaßnahmen des Bundes im In- und Ausland und als Koordi-
1752 nierungszentrum des Bundes für die Bauforschung gestärkt werden. Die Koopera-
1753 tion mit Einrichtungen der Bauforschung wird ausgebaut.
1754
1755Bauvertragsrecht
1756
1757 Wir werden prüfen, ob und inwieweit ein eigenständiges Bauvertragsrecht zur Lö-
1758 sung der bestehenden Probleme im Bereich des Bau- und Werkvertragsrechts
1759 geeignet ist.
1760
1761Regional- und Strukturpolitik
1762
1763 Im Rahmen des Europäischen Fonds für regionale Entwicklung (EFRE) ist die
1764 Fortsetzung der Förderung in allen förderfähigen Regionen (RWB-Regionen) ab
1765 2014 sicher zu stellen. Hierbei sind die Belange des strukturschwachen ländlichen
1766 Raums sowie der demographischen Entwicklung in besonderer Weise zu berück-
1767 sichtigen. EFRE-Mittel müssen auch künftig für die klassische Förderung von Un-
1768 ternehmensinvestitionen eingesetzt werden können. Den Mitgliedstaaten bzw.
1769 Ländern muss auch künftig die Möglichkeit für eigene regionale Schwerpunktset-
1770 zungen verbleiben.
1771
1772 Die Gemeinschaftsaufgabe Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur
1773 (GRW) wird auf hohem Niveau und mit bundesweit einheitlichen Maßstäben fort-
1774 geführt.
1775
1776 Wir setzen uns dafür ein, dass der beihilferechtliche Rahmen für die Regionalför-
1777 derung ab 2014 den Weiterbestand der C-Fördergebiete vorsieht. Dies bedeutet
1778 die Förderfähigkeit auch von Großunternehmen und erhöhte Fördersätze.
1779
17804.5 Ernährung und Verbraucherschutz
1781
1782 Beim Kauf von Lebensmittel, beim Nutzen der digitalen Welt oder beim Abschluss
1783 von Finanzdienstleistungen: Angesichts globalisierter Märkte und eines wachsen-
1784 den Produktangebots wird die Situation für Verbraucher zusehends undurchsichti-
1785 ger. Immer mehr Anbieter drängen auf den Markt: Wer neue Produkte, Technolo-
1786 gien und Dienstleistungen nutzt, kennt nicht in jedem Fall seine Rechte und kann
1787 nicht immer die Folgen seiner Entscheidungen einschätzen, muss aber gleichzei-
1788 tig auf Sicherheit und Qualität vertrauen können.
1789
1790 Unser Leitbild ist der gut informierte und zu selbstbestimmtem Handeln befähigte
1791 und mündige Verbraucher. Diesem Ziel verpflichtet, werden wir die Lebensqualität
1792 der Verbraucher erhöhen, durch mehr Transparenz, Aufklärung, Rechtsdurchset-
1793 zung und dort, wo es nötig ist, auch mit mehr Rechten.
1794
1795Ernährungsbildung
1796
1797 Das erzieherische Engagement der Eltern und eine frühe Aufklärung über richtige
1798 und gesunde Ernährung im Kindergarten und Schule sind entscheidende Fakto-
1799 ren.
1800
1801 Die Angebote an Familienbildung für eine gesunde Ernährung von Kindern und
1802 Erwachsenen werden ausgebaut. Gemeinsam mit den Ländern werden wir das
1803 Thema der Ernährungsbildung in die Informations- und Bildungsangebote von
1804 Kindergärten und Schulen integrieren sowie die erweiterte Nutzung von EU-
1805 Programmen zu Schulmilch und -obst prüfen.
1806
1807Lebensmittelkennzeichnung
1808
1809 Wir werden eine transparente Nährwert-Kennzeichnung von Lebensmitteln durch-
1810 setzen. Eine politische Steuerung des Konsums und Bevormundung der Verbrau-
1811 cher durch Werbeverbote und Strafsteuern für vermeintlich ungesunde Lebensmit-
1812 tel lehnen wir ab. Ein farblich unterlegtes Ampelsystem zur Nährwert-
1813 Kennzeichnung führt die Verbraucher in die Irre. Das zwischen dem Bundesminis-
1814 terium für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz und der Lebensmit-
1815 telwirtschaft entwickelte "1+4-Modell" bietet hierfür den richtigen Ansatz. Dieses
1816 Modell ist EU-weit zu harmonisieren und darüber hinaus im Sinne einer übersicht-
1817 licheren, einheitlichen Darstellungsweise weiterzuentwickeln und die Portionsgrö-
1818 ßen des GDA-Wertes zu standardisieren.
1819
1820 Die EU-Verordnung über nährwert- und gesundheitsbezogene Angaben von Le-
1821 bensmitteln (Health-Claims-Verordnung) ist praxisgerecht und verbraucherorien-
1822 tiert zu verbessern.
1823
1824 Auf Verpackungen von Lebensmitteln darf nur drauf stehen, was drin ist, und Ab-
1825 bildungen dürfen nicht verbrauchertäuschend wirken. Wir werden die Klarheit von
1826 Zutatenlisten, Abbildungen und Bezeichnungen verbessern. Lebensmittel-Imitate
1827 werden aus Gründen des Verbraucherschutzes und zur Vermeidung von Verbrau-
1828 chertäuschungen durch eine Änderung der EU-Lebensmittel-
1829 Kennzeichnungsverordnung klar gekennzeichnet. Unser Ziel ist eine regionale
1830 Herkunftskennzeichnung, die zwischen Ursprungs- und Verarbeitungsort unter-
1831 scheidet.
1832
1833Gesundheitlicher Verbraucherschutz
1834
1835 Sichere Lebensmittel haben für uns höchste Priorität. Wir wollen die Lebensmittel-
1836 sicherheit weiter verbessern, ohne den bürokratischen Aufwand zu steigern. Das
1837 Qualitäts- und Sicherheitsbewusstsein über die gesamte Lebensmittelkette ein-
1838 schließlich des Verbrauchers muss noch stärker entwickelt werden. Wir setzen auf
1839 den Ausbau stufenübergreifender privatwirtschaftlich organisierter Qualitätssiche-
1840 rungssysteme und ihre Verzahnung mit der staatlichen Lebensmittelkontrolle.
1841
1842Lebensmittelkontrolle
1843
1844 Wir setzen uns dafür ein, dass die Ergebnisse der Lebensmittelkontrolle bei einem
1845 wiederholten Verstoß gegen das Lebensmittel- und Futtermittelgesetz veröffent-
1846 licht werden. Die länderübergreifende Zusammenarbeit bei der Lebensmittelkon-
1847 trolle ist zu intensivieren.
1848
1849 Zur Vermeidung zukünftiger Gammelfleischskandale werden Schlachtabfälle (so-
1850 genanntes K-3-Material) eingefärbt.
1851
1852Wirtschaftlicher und rechtlicher Verbraucherschutz
1853
1854 Unsere Verbraucherpolitik setzt auf die Stärkung des Verbrauchers im Markt. Un-
1855 ser Leitbild ist der gut informierte und zu selbstbestimmtem Handeln befähigte und
1856 mündige Verbraucher. Dazu gehört umfassende Verbraucherbildung, sowie Auf-
1857 klärung und Zugang zu Informationen. Verbraucher sollen sich leicht informieren
1858 können, sie sollen gut beraten und ihre Interessen gut vertreten werden. Für die
1859 Finanzierung der Beratungs- und Informationsaktivitäten von Verbraucherzentra-
1860 len und unabhängiger Verbraucherschutzorganisationen wie der Stiftung Waren-
1861 test werden langfristige Konzepte der Finanzierung entwickelt, die dem auch durch
1862 die Finanzkrise ausgelösten Mehrbedarf an unabhängiger Beratung des Verbrau-
1863 chers Rechnung tragen.
1864
1865 Wir setzen bei der Verbraucherinformation auf den Einsatz einer verständlichen
1866 deutschen Sprache. Dies gilt in besonderem Maße im öffentlichen Raum, bei Pro-
1867 duktkennzeichnungen, Gebrauchsanweisungen und bei der Bürgerkommunikati-
1868 on.
1869
1870 Auch der Aspekt der Nachhaltigkeit spielt für den Verbraucher eine stetig zuneh-
1871 mende Rolle. Den nachhaltigen Konsum wollen wir stärken. Dem wollen wir mit
1872 zusätzlichen Informationen durch freiwillige Systeme von Handel und Wirtschaft
1873 Rechnung tragen.
1874
1875 Wir werden ein zentrales Verbrauchertelefon mit Lotsenfunktion einführen.
1876
1877Informationsgesetze
1878
1879 Das geltende Verbraucherinformationsgesetz wird reformiert. Bei der Reform des
1880 Gesetzes werden die Ergebnisse der Überprüfung berücksichtigt. Die Ansprüche
1881 des Verbrauchers auf Information werden in einem einheitlichen Gesetz zur Rege-
1882 lung der Informationsansprüche des Bürgers zusammengefasst.
1883
1884Europäische Verbraucherpolitik
1885
1886 Die im Zusammenhang mit der EU-Richtlinie über die Rechte der Verbraucher
1887 vorgesehene Vollharmonisierung von Verbraucherschutzvorschriften soll auf ein-
1888 zelne Bereiche beschränkt bleiben.
1889
1890 Das deutsche GS-Zeichen "Geprüfte Sicherheit" wollen wir erhalten und nach sei-
1891 nem Vorbild ein freiwilliges europäisches Sicherheitszeichen fordern.
1892
1893Außergerichtliche Streitschlichtung
1894
1895 Die Einrichtung einer unabhängigen, übergreifenden Schlichtungsstelle für die
1896 Verkehrsträger Bus, Bahn, Flug und Schiff wird gesetzlich verankert.
1897
1898Anlegerschutz
1899
1900 Wir wollen ein konsistentes Finanzdienstleistungsrecht schaffen, damit Verbrau-
1901 cher in Zukunft besser vor vermeidbaren Verlusten und falscher Finanzberatung
1902 geschützt werden. Ein angemessener Anlegerschutz gegen unseriöse Produktan-
1903 bieter und Falschberatung wird prinzipiell unabhängig davon gewährleistet, wel-
1904 ches Produkt oder welcher Vertriebsweg vorliegt. Die Haftung für Produkte und
1905 Vertrieb soll verschärft werden. Wir wollen deshalb die Anforderungen an Berater
1906 und Vermittler insbesondere in Bezug auf Qualifikation, Registrierung, und Berufs-
1907 haftpflicht in Anlehnung an das Versicherungsvermittlergesetz vereinheitlichen.
1908 Kein Anbieter von Finanzprodukten soll sich der staatlichen Finanzaufsicht entzie-
1909 hen können.
1910
1911 Die Kunden müssen die wesentlichen Bestandteile einer Kapitalanlage, sämtliche
1912 Kosten und Provisionen einschließlich Rückvergütungen schnell erkennen kön-
1913 nen.
1914
1915Rahmenbedingungen der digitalen Kommunikation
1916
1917 Wir brauchen ein verpflichtendes Bestätigungsfeld für alle Vertragsabschlüsse im
1918 Internet. Mit dem verpflichtenden Preisangabefenster können wir Internetabzocke
1919 minimieren.
1920
1921 Wir wollen die Problematik der unterschiedlichen Handhabung der Kostenvertei-
1922 lung bei Warteschleifen im Telefonverkehr auf deren Praxistauglichkeit hin über-
1923 prüfen.
1924
1925 Die in der vergangenen Legislaturperiode verabschiedeten gesetzlichen Regelun-
1926 gen zum Handel mit persönlichen Daten sind zu evaluieren. Dies gilt auch für den
1927 ausreichenden Schutz der Persönlichkeitsrechte im Internet und bei der Einfüh-
1928 rung von Funketiketten.
1929
1930Verbraucherschutz im Versorgungsbereich
1931
1932 Wir werden die Informationen des Verbrauchers zu langlebigen Wirtschaftsgütern
1933 bezüglich des Energie- und Wasserverbrauchs, u. a. durch intelligente Stromzäh-
1934 ler sowie die Transparenz bei der Festlegung der Preise verbessern.
1935
1936Rechte von Fahrgästen
1937
1938 Die Rechte von Bahnkunden und Fluggästen werden überprüft und ggf. verbes-
1939 sert.
1940
1941Schutz bei Immobiliendarlehen
1942
1943 Wir werden den Schutz des Darlehensnehmers, der sein Immobiliendarlehen ver-
1944 tragsgemäß bedient, stärken. Eine Abtretung der Darlehensforderung oder die
1945 Übertragung des Kreditverhältnisses an ein Unternehmen ohne Banklizenz wird
1946 daher zukünftig nur bei Genehmigung des Darlehensnehmers wirksam sein.
1947
19484.6 Landwirtschaft und ländlicher Raum
1949
1950 Die Versorgung mit Nahrungsmitteln und Energie sowie der Klimaschutz gehören
1951 zu den zentralen Herausforderungen des 21. Jahrhunderts. Wir brauchen eine
1952 starke und wettbewerbsfähige Land-, Forst-, Fischerei- und Ernährungswirtschaft
1953 in Deutschland. Unsere Betriebe brauchen Planungssicherheit und Perspektiven.
1954 Viele Landwirte können sich sehr wohl am Markt behaupten. Dennoch gibt es Re-
1955 gionen mit landwirtschaftlicher Produktion, die einer besonderen gesellschaftlichen
1956 Begleitung bedürfen.
1957 EU-Vorgaben werden 1:1 in nationales Recht umgesetzt.
1958
1959 Wir wollen eine durch bäuerliche und unternehmerische Betriebsstrukturen gestal-
1960 tete, flächendeckende Landbewirtschaftung. Unterschiedliche strukturelle und kli-
1961 matische Produktionsbedingungen rechtfertigen eine weitere gezielte Unterstüt-
1962 zung der Landwirtschaft in diesen benachteiligten Regionen. Dabei wird die Ver-
1963 wendung auf der Basis der landwirtschaftlichen Vergleichszahl (LVZ) als zentraler
1964 Abgrenzungsmaßstab beibehalten. Unabhängig vom Schutz des geistigen Eigen-
1965 tums wollen wir auf landwirtschaftliche Nutztiere und -pflanzen kein Patentrecht.
1966
1967Abschluss der WTO-Verhandlungen
1968
1969 Wir treten für einen erfolgreichen und ausgewogenen Abschluss der Doha-Runde
1970 ein, der auch das europäische Landwirtschaftsmodell berücksichtigt. Exportsub-
1971 ventionen und Interventionsmaßnahmen sind im internationalen Vergleich abzu-
1972 bauen.
1973
1974Gemeinsame Europäische Agrarpolitik
1975
1976 Aus Gründen der Verlässlichkeit und Planungssicherheit müssen die EU-
1977 Direktzahlungen bis 2013 sicher sein. Wir brauchen auch nach 2013 eine starke
1978 erste Säule und eine finanziell gut ausgestattete zweite Säule der Gemeinsamen
1979 EU-Agrarpolitik.
1980
1981 Regionen, in denen alternativlos nur Gründlandbewirtschaftung möglich ist sowie
1982 besonders benachteiligte Gebiete wie Berg-, Mittelgebirgs- und Steillagen- sowie
1983 sensible Grünlandgebiete müssen auch in Zukunft ausreichend bei der Förderung
1984 berücksichtigt werden. Die Sicherung des Dauergrünlandes als CO2-Senke ist
1985 ökologisch vorteilhaft und im Interesse der Milchbauern und der gesamten Gesell-
1986 schaft.
1987
1988Agrardiesel
1989
1990 Wir werden auf europäischer Ebene auf eine einheitliche Besteuerung des Agrar-
1991 diesels hinwirken, um die Wettbewerbsnachteile der deutschen Landwirte zu be-
1992 seitigen. Bis dahin wollen wir die Steuerermäßigung beim Agrardiesel fortführen.
1993
1994Vermarktungsstrukturen und Marketing
1995
1996 Wir werden schnellstmöglich ein Gesetz zur Abwicklung des Absatzfonds einbrin-
1997 gen. Wir werden die Absatzförderung deutscher Agrarprodukte auf internationalen
1998 Märkten ausbauen. Dabei gilt es insbesondere, die Interessen der kleinen und
1999 mittleren Unternehmen auf Exportmärkten zu unterstützen.
2000
2001Milchwirtschaft in Deutschland
2002
2003 Die Weichen für das Auslaufen der EU-Milchquotenregelung im Jahr 2015 sind
2004 durch verschiedene Reformbeschlüsse auf EU-Ebene gestellt. Unser Ziel ist es,
2005 eine wettbewerbsfähige Milchwirtschaft in Deutschland zu erhalten. Aufgrund der
2006 derzeitigen Marktlage werden wir uns weiter für die Aussetzung der auf EU-Ebene
2007 beschlossenen Quotenerhöhungen einsetzen. Daher sind bis zum Jahr 2015 die
2008 notwendigen Anpassungsprozesse durch geeignete Maßnahmen zu flankieren.
2009
2010 Wir werden die Mittel aus dem EU-Milchfonds für strukturverbessernde und ab-
2011 satzfördernde Maßnahmen einsetzen.
2012
2013 Aufgrund der krisenbedingt aktuelle schwierigen Einkommenssituation werden wir
2014 ergänzend folgende Sofortmaßnahmen ergreifen:
2015 o Um aktuell drohende Flächenbrachen und damit verbunden unwiderrufliche
2016 Schäden für Natur und Kulturlandschaft zu verhindern wird ein zweijähriges
2017 "Grünlandmilchprogramm des Bundes" in Höhe von insgesamt 500 Millio-
2018 nen Euro aufgelegt.
2019 o Zur Vermeidung von Beitragserhöhungen bei der Landwirtschaftlichen Un-
2020 fallversicherung (LUV) in der aktuellen Krisensituation wird der Bundeszu-
2021 schuss in den Jahren 2010 und 2011 um insgesamt 200 Millionen Euro er-
2022 höht.
2023 o Für die beiden kommenden Jahre wird für die Landwirtschaft ein Krisen-
2024 Liquiditätshilfeprogramm mit Mitteln in Höhe von insgesamt 50 Millionen
2025 aufgelegt.
2026Ökologischer Landbau
2027
2028 Wir stehen für ein gleichberechtigtes Nebeneinander unterschiedlicher Wirt-
2029 schaftsmethoden von konventioneller und ökologischer Landwirtschaft. Wir wollen
2030 den ökologischen Landbau insbesondere im Bereich Forschung fördern.
2031
2032Ehemalige Treuhandflächen
2033
2034 Die Verwertung der Flächen der Bodenverwertungs- und Verwaltungs GmbH
2035 (BVVG) soll unter verstärkter Berücksichtigung agrarstruktureller Belange zügig
2036 vorangebracht und im Wesentlichen bis zum Jahr 2025 abgeschlossen werden.
2037 Die gegenwärtige Verkaufspraxis der BVVG wird überprüft. Wir setzen Verbesse-
2038 rungen beim Flächenerwerbsänderungsgesetz im Sinne der Alteigentümer durch.
2039
2040Zulassung von Pflanzenschutzmitteln
2041
2042 Zum besseren Schutz von Mensch, Tier und Umwelt wird das Zulassungsverfah-
2043 ren von Pflanzenschutzmitteln unter Beibehaltung der geltenden hohen Standards
2044 vereinfacht und beschleunigt.
2045
2046Forstwirtschaft
2047
2048 Das Bundeswaldgesetz wird novelliert. Dabei sind folgende Punkte vorrangig zu
2049 regeln: die Verkehrssicherungspflicht, die Definition von Kurzumtriebsplantagen
2050 und die Vermarktungsmöglichkeit für forstwirtschaftliche Zusammenschlüsse. Zu-
2051 dem wird die Charta für Holz weiterentwickelt.
2052
2053 Bei der Anwendung der Beschaffungsrichtlinie des Bundes wollen wir eine Gleich-
2054 behandlung beider Zertifizierungssysteme für Holz.
2055
2056Bundesjagdgesetz
2057
2058 Damit Jäger ihren Auftrag zur nachhaltigen Nutzung von natürlichen Ressourcen
2059 zu Gunsten der Erhaltung der Biodiversität nachkommen können, treten wir dafür
2060 ein, das Bundesjagdgesetz grundsätzlich in seiner jetzigen Form zu erhalten.
2061
2062Fischerei
2063
2064 Wir unterstützen eine nachhaltige Binnen-, See-, Küsten- und Kutterfischerei, die
2065 Bestände erhält, artgerecht ist und den Tierschutz sichert. Wir werden die Rah-
2066 menbedingungen für eine nachhaltige Aquakultur verbessern und auf europäi-
2067 scher Ebene auf die Erstellung eines Managementplans für Kormorane drängen.
2068 Wir treten mit Nachdruck für die Einhaltung des internationalen Walfangverbots
2069 ein.
2070
2071Grüne Gentechnik
2072
2073 Die Biotechnologie stellt eine wichtige Zukunftsbranche für Forschung, Wirtschaft
2074 und Landwirtschaft dar, die bereits weltweit etabliert ist. Deshalb wollen wir die
2075 verantwortbaren Potentiale der grünen Gentechnik nutzen. Der Schutz von
2076 Mensch und Umwelt bleibt oberstes Ziel des deutschen Gentechnikrechts.
2077
2078 Wir treten für eine stärkere Wissenschaftsorientierung und effiziente Zulassungs-
2079 verfahren von gentechnisch veränderten Organismen (GVO) auf EU-Ebene ein.
2080
2081 Wir schaffen die rechtlichen Vorraussetzungen, damit die Bundesländer innerhalb
2082 eines bundeseinheitlichen Rahmens von Kriterien flexibel eigenständig Abstände
2083 festlegen können, die zwischen Feldern mit genetisch veränderten Pflanzen und
2084 solchen mit konventionellem oder ökologischem Anbau einzuhalten sind.
2085
2086 Beim erlassenen Anbauverbot für die gentechnisch veränderte Maissorte MON810
2087 wird der Ausgang des Gerichtsverfahrens abgewartet. Der Anbau der gentech-
2088 nisch veränderten Stärkekartoffel Amflora für eine kommerzielle, industrielle Ver-
2089 wertung wird unterstützt.
2090
2091 Um eine für Wirtschaft und Überwachung praktikable Anwendung der im Gemein-
2092 schaftsrecht der EU festgelegten Nulltoleranz für nicht in der EU zugelassene
2093 GVO zu ermöglichen, werden wir das Gentechnikgesetz und das EG-
2094 Gentechnikdurchführungsgesetz ändern. Dort werden wir eine Ermächtigung
2095 schaffen, um offizielle Probenahme- und Nachweismethoden festzulegen.
2096
2097 Zur Schaffung einer umfassenden Verbrauchertransparenz streben wir eine Posi-
2098 tivkennzeichnung (Prozesskennzeichnung) auf europäischer Ebene an.
2099
2100Tierschutz und Tiergesundheit
2101
2102 Der Tierschutz hat eine zentrale Bedeutung. Wir setzen uns für artgerechte Tier-
2103 haltung und -ernährung ein. Wir wollen den Tierschutz in der landwirtschaftlichen
2104 Nutztierhaltung im Einklang mit der Wirtschaftlichkeit voranbringen. Zur Verringe-
2105 rung von Tierversuchen werden wir die Entwicklung von Ersatzmethoden weiter
2106 fördern. Erfolgreicher Tierschutz kann insbesondere auch auf europäischer und
2107 internationaler Ebene verwirklicht werden. Wir setzen uns dafür ein, dass Tier-
2108 transportzeiten in der EU weiter begrenzt werden.
2109
2110Ländliche Räume
2111
2112 Wir stehen für starke, lebenswerte ländliche Räume sowie eine gleichwertige Ent-
2113 wicklung von ländlichen Regionen und städtischen Ballungszentren. Wir werden
2114 dem verstärkten demographischen Wandel vermehrt Aufmerksamkeit widmen.
2115
2116 Wir wollen die Vielfalt der ländlichen Räume erhalten sowie deren Stärken und
2117 Wirtschaftskraft fördern. Wir werden dafür insbesondere die Gemeinschaftsaufga-
2118 ben zur Förderung der regionalen Wirtschaftsstruktur und der Agrarstruktur sowie
2119 weitere Infrastrukturmaßnahmen zur Unterstützung der ländlichen Regionen aus-
2120 bauen und verstärkt gemeinsam zielorientiert einsetzen.
2121
2122 Wir werden das Landwirtschaftsgesetz in Richtung eines modernen Gesetzes für
2123 die Landwirtschaft und den ländlichen Raum weiterentwickeln und das Ziel einer
2124 flächendeckenden, nachhaltigen Landbewirtschaftung in Deutschland festschrei-
2125 ben. Wir werden einen Maßnahmenkatalog zur Reduzierung des Verlusts land-
2126 wirtschaftlicher Nutzflächen vorlegen und den Verlust landwirtschaftlicher Flächen
2127 durch Siedlung, Verkehr oder ökologische Ausgleichsflächenregelungen eindäm-
2128 men. Das Flächenmanagement für Ausgleichsflächen muss verbessert werden.
2129
2130Branntweinmonopol
2131
2132 Wir setzen uns auf EU-Ebene dafür ein, dass das Branntweinmonopol durch Ver-
2133 längerung der am 31.12.2010 endenden beihilferechtlichen Ausnahmeregelung
2134 bis 2017 fortbestehen wird.
2135
2136Deutsche Weinbaukultur
2137
2138 Wir setzen uns für den Erhalt der Qualität unserer Weinproduktion, die Wahrung
2139 der Herkunftskennzeichnung als Erkennungsmerkmal für Verbraucher und die Si-
2140 cherung der internationalen Wettbewerbsfähigkeit ein. Wir setzen auf den Erhalt
2141 der Pflanzrechte, eine effektive Gemeinschaftswerbung und Exportförderung.
2142
21434.7 Dienstleistungen
2144
2145Tourismus
2146
2147 Wir werden den Tourismusstandort Deutschland stärken und zusätzliche Wachs-
2148 tumspotentiale der Tourismuswirtschaft als Jobmotor der Zukunft freisetzen. Dazu
2149 werden die touristischen Rahmenbedingungen verbessert und die Tourismuspoli-
2150 tischen Leitlinien der Bundesregierung fortentwickelt.
2151
2152 Wettbewerbsverzerrungen und Bürokratiebelastungen werden so weit wie möglich
2153 reduziert. Die Regelungen zur Mehrwertsteuer werden auch mit Blick auf Belas-
2154 tungen für den Tourismus und dessen europäische Wettbewerbssituation struktu-
2155 rell überprüft.
2156
2157 Investitionen in touristische Einrichtungen werden gefördert. Dazu wird das vor-
2158 handene Instrumentarium genutzt und gegebenenfalls optimiert.
2159
2160 Ausbildungshemmnisse im Gastgewerbe werden durch ein flexibleres Jugendar-
2161 beitsschutzgesetz abgebaut. Die Mittel für die Deutsche Zentrale für Tourismus
2162 werden auf hohem Niveau stabilisiert sowie der Messe- und Kongressstandort
2163 Deutschland gestärkt.
2164
2165 Wir verankern das Ziel der Barrierefreiheit stärker in allen Bereichen, vernetzen
2166 Kultur und Tourismus enger, erstellen eine Tourismuskonzeption für den ländli-
2167 chen Raum, verbessern die Rahmenbedingungen für Kurorte und Heilbäder und
2168 prüfen eine Neuregelung der Kabelweiterleitung zugunsten von Hotels.
2169
2170 Die Bund-Länder-Zusammenarbeit wird intensiviert mit dem Ziel, Verbesserungen
2171 bei den in der Länderzuständigkeit liegenden Rahmenbedingungen zu erreichen,
2172 wie z. B. bei den Gaststättengesetzen, Entlastungen bei den Rundfunkgebühren
2173 sowie eine Ausweitung des Gesamtzeitraums der Sommerferien.
2174
2175Gesundheitswirtschaft
2176
2177 Angesichts der demographischen Entwicklung wird die Gesundheitswirtschaft er-
2178 heblich an Bedeutung gewinnen. Wir wollen die Möglichkeiten ausbauen, dass
2179 auch außerhalb des gesetzlich finanzierten Bereichs Gesundheits- und Pflegeleis-
2180 tungen angeboten werden können. Dafür bedarf es einer Verbesserung der wett-
2181 bewerblichen Strukturen. Außerdem wollen wir Innovationskraft und Investitions-
2182 bereitschaft der deutschen Medizintechnik stärken.
2183
2184Kreativwirtschaft
2185
2186 Wir werden die Initiative Kultur- und Kreativwirtschaft fortführen und ausbauen.
2187 Besondere Schwerpunkte bei der weiteren Umsetzung werden die Schaffung von
2188 Unterstützungsangeboten zur Professionalisierung von Künstlern und Kreativen
2189 sowie die Förderung innovativer Projekte und Geschäftsmodelle sein.
2190
21915. Faire Regeln für die Weltwirtschaft
2192
2193Finanzmärkte
2194
2195 Ein leistungsfähiges und stabiles Finanzsystem ist für die wirtschaftliche Entwick-
2196 lung unseres Landes essentiell. Es sichert den nachfrage- und risikogerechten
2197 Zugang zu nationalen und internationalen Finanzmitteln. Es bietet institutionellen
2198 Investoren und vorsorgeorientierten Privatpersonen kosteneffiziente Anlagemög-
2199 lichkeiten. Gerade vor dem Hintergrund der gegenwärtigen wirtschaftlichen Ent-
2200 wicklung sind weitere Reformen im Finanzsektor geboten. Hierzu zählt die struktu-
2201 relle Verbesserung privater und hoheitlicher Aufsichtssysteme ebenso wie die
2202 Stärkung langfristiger Wachstumskräfte durch wettbewerbsorientierte Reformen.
2203 Für uns ist ein transparenter Finanzmarkt Grundlage für die freien Entscheidungen
2204 der einzelnen Bürger.
2205
2206 Um Finanzmarktkrisen, wie wir sie derzeit erfahren, in Zukunft zu vermeiden,
2207 müssen die grundlegenden Prinzipen der sozialen Marktwirtschaft wie Haftung
2208 und Verantwortung wieder stärker das Handeln der Finanzmarktakteure bestim-
2209 men. National und international muss ein Ordnungsrahmen gelten, der diesen
2210 Prinzipien gerecht wird. Unser Ziel ist es, dass die Akteure auf den Finanzmärkten
2211 nicht wieder in alte Verhaltensmuster zurückfallen, wie sie vor der Krise zu beo-
2212 bachten waren. Die Einhaltung des europäischen Stabilitätspakts hat für uns Prio-
2213 rität. Gleiches gilt für die Wahrung der Unabhängigkeit der Deutschen Bundes-
2214 bank und der Europäischen Zentralbank. Wir werden uns mit aller Vehemenz da-
2215 für einsetzen, Finanzmarktrisiken sowie Inflationsgefahren zu vermeiden. Deutsch-
2216 land wird Initiativen ergreifen, um auf europäischer und internationaler Ebene eine
2217 Vorreiterrolle bei der Vermeidung zukünftiger Krisen wahrzunehmen. Denn in Zu-
2218 kunft darf es kein Finanzmarktprodukt, keinen Finanzmarktakteur und keinen Fi-
2219 nanzmarkt geben, die nicht reguliert und beaufsichtigt sind. Zudem werden wir für
2220 eine effektivere und stringentere Regulierung und Aufsicht national und internatio-
2221 nal sorgen.
2222
2223 Dazu werden wir insbesondere folgende Maßnahmen ergreifen:
2224
2225 Das dreigliedrige Bankensystem von Privatbanken, Volks- und Raiffeisenbanken
2226 und Sparkassen unterstützen wir. Unsere Bürgerinnen und Bürger profitieren von
2227 dieser wettbewerbsintensiven Bankenlandschaft. Wir werden uns daher dafür ein-
2228 setzen, dass in der Bankenregulierung - nach Überwindung der Krise - die Kapi-
2229 talanforderungen differenziert nach Risiko und Systemrelevanz verstärkt werden,
2230 um die Banken in die Lage zu versetzen, in Krisenzeiten auftretende Verluste in
2231 größerem Umfang selbst tragen zu können. Insbesondere werden wir uns dafür
2232 einsetzen, dass weltweit die systemrelevanten Banken höheres Eigenkapital vor-
2233 halten müssen, welches das hohe Risiko, das diese Institute für das gesamte Fi-
2234 nanzsystem darstellen, berücksichtigt. Zugleich setzen wir uns auf nationaler und
2235 internationaler Ebene dafür ein, dass bei der Intensität der Regulierung und der
2236 Aufsicht über Finanzinstitute stärker nach dem Risiko und der Systemrelevanz des
2237 einzelnen Instituts differenziert wird sowie bei den qualitativen Anforderungen an
2238 das Eigenkapital auf nationale Besonderheiten Rücksicht genommen wird.
2239
2240 In Zeiten eines wirtschaftlichen Abschwungs muss eine Kreditklemme verhindert
2241 werden; die Kreditwirtschaft muss sich ihrer Verantwortung als Finanzierungsge-
2242 ber der deutschen Wirtschaft bewusst sein. Wir werden uns dafür einsetzen, dass
2243 die in den derzeit geltenden internationalen Rechnungslegungsvorschriften IFRS
2244 und in den Basel-II-Eigenkapitalregeln angelegten prozyklischen Wirkungen ab-
2245 gemildert werden.
2246
2247 Wir wollen verhindern, dass Staaten in Zukunft von systemrelevanten Instituten zu
2248 Rettungsmaßnahmen gezwungen werden können. Wir werden daher geeignete
2249 rechtliche Instrumentarien für ein Restrukturierungs- sowie Abwicklungsverfahren
2250 einführen, um zeitlich vor Eintritt einer Insolvenz in Schieflage geratene systemre-
2251 levante Unternehmen des Finanzsektors entweder finanzmarktschonend abwi-
2252 ckeln oder nachhaltig stabilisieren zu können. Wir müssen hierzu auch auf natio-
2253 naler, europäischer und internationaler Ebene abgestimmte Lösungsmechanismen
2254 entwickeln und umsetzen.
2255
2256 Um eine angemessene Aufsicht und Regulierung aller systemisch wichtigen Fi-
2257 nanzinstitute, -märkte und -instrumente sicherzustellen, sollten alle alternativen
2258 Investmentfonds, zum Beispiel Hedge Fonds, und deren Manager einem internati-
2259 onal abgestimmten Regelwerk unterworfen werden. Dabei ist den Besonderheiten
2260 der deutschen Fondstypen Rechnung zu tragen.
2261
2262 Die Ratingagenturen sind mit Schuld an der internationalen Finanzkrise. Deshalb
2263 brauchen wir für die Zukunft neben einer effektiven Aufsicht Mindeststandards und
2264 Sanktionsmöglichkeiten. Ratingagenturen dürfen nicht zeitgleich Finanzprodukte
2265 entwickeln, vertreiben und bewerten. Derartige Interessenkonflikte sind für die Zu-
2266 kunft auszuschließen. Wir setzen uns für die Entwicklung einer europäischen Ra-
2267 tingagentur ein.
2268
2269 Wir prüfen die Einrichtung einer unabhängigen Stiftung für Finanzprodukte nach
2270 dem Muster der Stiftung Warentest.
2271
2272 Wir wollen die Standardisierung von forderungsbesicherten Wertpapieren voran-
2273 bringen. Wir werden die Möglichkeiten prüfen, durch ein Verbriefungsgesetz einen
2274 einheitlichen und transparenten Standard zu setzen.
2275
2276 Wir streben eine Überarbeitung der internationalen Standards zur Rechnungsle-
2277 gung innerhalb der International Financial Reporting Standards an. In diesem Zu-
2278 sammenhang verfolgen wir das Ziel, dass die deutsche Sichtweise des Handels-
2279 gesetzbuchs im International Accounting Standards Board stärker repräsentiert ist
2280 und die demokratische Legitimation bei der Setzung der Rechnungslegungsstan-
2281 dards erzielt wird.
2282
2283 Wir unterstützen die Aufgaben des Sonderfonds Finanzmarktstabilisierung (SoF-
2284 Fin) und werden die parlamentarischen Kontrollrechte weiterentwickeln. Die staat-
2285 lichen Stabilisierungsmaßnahmen werden auf ihre Praxistauglichkeit überprüft und
2286 gegebenenfalls bedarfsgerecht verbessert. Um Wettbewerbsverzerrungen zu
2287 vermeiden, sollten staatliche Stützungsmaßnahmen unter Wahrung der Interessen
2288 der Steuerzahler nach Ablauf der Krise zügig zurückgeführt werden.
2289
2290 Regulierung braucht eine effektive Aufsicht. Wir setzen uns auf europäischer Ebe-
2291 ne für eine Vereinheitlichung der Aufsichts- und Prüfungsstandards in der Ge-
2292 meinschaft ein. Die nationalen Kompetenzen und das Etatrecht bleiben unberührt.
2293
2294 Wir werden die Bankenaufsicht in Deutschland bei der Deutschen Bundesbank
2295 zusammenführen. Die Standorte der bisherigen Bundesanstalt für Finanzdienst-
2296 leistungsaufsicht stellen wir nicht in Frage. Der Umfang der bisherigen rechtlichen
2297 Unabhängigkeit der Deutschen Bundesbank wird durch die hinzukommenden ho-
2298 heitlichen Zuständigkeiten nicht berührt. Wir sorgen für eine schnelle Umsetzung
2299 der bereits begonnenen Reform der EU-Finanzmarktaufsicht.
2300
2301 Solvency II als eines der wichtigen europäischen Projekte im Bereich der Finanz-
2302 dienstleistungswirtschaft ist so umzusetzen, dass der deutsche Versicherungs-
2303 markt gestärkt wird.
2304
2305 Unser Ziel ist die Stärkung des Marktes für Beteiligungsunternehmen. Wir schaf-
2306 fen einen einheitlichen attraktiven Wagniskapitalmarkt in Deutschland.
2307
2308 Bei Real Estate Investment Trusts sind überflüssige Hemmschwellen für den
2309 deutschen Markt abzubauen, ohne die schutzbedürftigen Interessen der Verbrau-
2310 cher zu vernachlässigen.
2311
2312 Das Investmentrecht werden wir überarbeiten und krisenverschärfende Regelun-
2313 gen in einem Ausgleich der Interessen von Anlegern und Anbietern überarbeiten.
2314
2315 Wir unterstützen marktwirtschaftliche Produkte wie Mikrofinanzfonds und werden
2316 bestehenden Hemmschwellen abbauen.
2317
2318Außenwirtschaft
2319
2320 Eine offene, regelgebundene Weltwirtschaft ist der beste Garant für weltweiten
2321 Wohlstand und weltweite Sicherheit.
2322
2323 Zur langfristigen Wachstums- und Wohlstandssicherung in Deutschland leistet die
2324 Außenwirtschaftspolitik einen wesentlichen Beitrag. In der Handelspolitik bekämp-
2325 fen wir jede Art des Protektionismus und setzen uns nachhaltig für weitere Markt-
2326 öffnung ein. In der Außenwirtschaftsförderung sorgen wir verstärkt dafür, dass
2327 deutsche Unternehmen sich auch im drastisch verschärften Wettbewerb auf den
2328 Märkten gegenüber ihren Konkurrenten erfolgreich behaupten können.
2329
2330 Weltwirtschaft und Welthandel in einer globalisierten Welt bedürfen klarer Regeln,
2331 die allen Ländern eine faire Chance geben, die Integration der Entwicklungsländer
2332 in die Weltwirtschaft fördern und zur nachhaltigen Rohstoffversorgung beitragen.
2333 Der Königsweg für die weitere Liberalisierung des Handels mit Waren und Dienst-
2334 leistungen liegt im multilateralen Ansatz der WTO. Ein zügiger und ehrgeiziger
2335 Abschluss der Doha-Welthandelsrunde hat absoluten Vorrang. Gerade dem deut-
2336 schen Mittelstand, der traditionell auf den Auslandsmärkten besonders aktiv ist,
2337 erleichtern wir so die Teilhabe am Welthandel. Die WTO-Regeln müssen weiter
2338 ausgebaut werden. In diesem Zusammenhang ist auch eine Effektivierung des
2339 Streitschlichtungsmechanismus unter Beteiligung des WTO-Generalsekretärs an-
2340 zustreben.
2341
2342 Ergänzend hierzu setzen wir uns für bilaterale Freihandelsabkommen mit den dy-
2343 namischen Ländern und Regionen ein, die als sog. WTO-plus-Abkommen insbe-
2344 sondere auch den Abbau nicht-tarifärer Handelshemmnisse und die Einbeziehung
2345 weiterer handelsbezogener Themen wie Wettbewerb und öffentliches Beschaf-
2346 fungswesen zum Ziel haben und die - WTO-konform - als Wegbereiter möglicher
2347 späterer Erweiterungen des Welthandelssystems ausgestaltet werden.
2348
2349 Außenwirtschaft und Entwicklungszusammenarbeit müssen besser aufeinander
2350 aufbauen und optimal ineinander greifen. Entwicklungspolitische Entscheidungen
2351 müssen die Interessen der deutschen Wirtschaft, insbesondere des Mittelstandes,
2352 angemessen berücksichtigen. Bei Auftragsvergabe sollen die Auslandshandels-
2353 kammern über die Aufträge der Entwicklungsorganisationen rechtzeitig informiert
2354 werden.
2355
2356 Deutschland ist auf Investitionen aus dem Ausland angewiesen. Investoren aus
2357 aller Welt sind uns sehr willkommen. Darum werden wir unser Investitionsmarke-
2358 ting verstärken. Die zuletzt geschaffene Änderung des AWG wird nur im Ausnah-
2359 mefall angewandt und insgesamt nach einem Jahr im Hinblick auf seine Wirkung
2360 überprüft.
2361
2362 Die Entscheidungsverfahren für die Garantien für Exportkredite, Investitionen und
2363 ungebundene Finanzkredite werden beschleunigt und vorrangig an der Sicherung
2364 des Standortes Deutschland und der Förderung von Wirtschaft und Beschäftigung
2365 im Inland ausgerichtet. Einzelentscheidungen und Deckungspolitik werden an den
2366 international vereinbarten Regeln und Leitlinien ausgerichtet. Diese werden zur
2367 Sicherung fairer Bedingungen im internationalen Wettbewerb weiterentwickelt. Für
2368 den Umweltbereich sind die OECD-Umweltleitlinien alleiniger Maßstab bei der
2369 Prüfung von Anträgen auf Exportkreditgarantien.
2370
2371 Das Außenwirtschaftsrecht (Außenwirtschaftsgesetz [AWG] und Außenwirt-
2372 schaftsverordnung [AWV]) wird entschlackt und übersichtlicher ausgestaltet. Es
2373 werden Vorschriften gestrichen, die deutsche Exporteure gegenüber ihren europä-
2374 ischen Konkurrenten benachteiligen. Bei der Anwendung des Außenwirtschafts-
2375 rechts muss der internationalen Wettbewerbssituation der deutschen Wirtschaft
2376 mehr als bisher Rechnung getragen werden. Es wird hier ein "level-playing-field"
2377 geschaffen.
2378
2379 Es bleibt bei der verantwortungsbewussten Genehmigungspolitik für die Ausfuhr
2380 von Rüstungsgütern. Um faire Wettbewerbsbedingungen für die deutsche Wirt-
2381 schaft zu gewährleisten, wird eine Harmonisierung mit der Genehmigungspolitik
2382 der anderen EU-Staaten auf hohem Niveau angestrebt. Auch beim Export von
2383 Dual Use-Gütern wird die deutsche Genehmigungspraxis in diesem Sinne ange-
2384 glichen. Bürokratische Hemmnisse werden abgebaut und die Verfahren beschleu-
2385 nigt. Steht eine zivile Verwendung mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlich-
2386 keit fest, ist eine Genehmigung zu erteilen.
2387
2388 Die im März 2005 auf nachhaltiges Wachstum und Beschäftigung konzentrierte
2389 Lissabon-Strategie sollte zur Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit unserer Unter-
2390 nehmen auch in der Zeit nach 2010 mit gleicher Fokussierung fortgesetzt werden.
2391 Angesichts der Wirtschaftskrise besteht die Notwendigkeit langfristig angelegter
2392 struktureller Reformen fort. Im Einzelnen heißt dies: Wir setzen uns für die Beibe-
2393 haltung der vier prioritären Bereiche (Forschung und Entwicklung, Stärkung des
2394 Unternehmenspotentials, insbesondere für KMU, mehr Beschäftigung schaffen,
2395 Klima und Energie) ein.
2396
2397 Der Zugang zu Rohstoffen und deren verlässliche Verfügbarkeit sind für die deut-
2398 sche Industrie mit ihren Produkten der Hoch- und Spitzentechnologie von beson-
2399 derer Bedeutung und unverzichtbare Ziele der Außenwirtschaftspolitik.
2400
24016. Deutsche Einheit
2402
2403 Die Koalition wird die Deutsche Einheit weiterhin voranbringen. Wir halten an der
2404 Zielsetzung fest, die Lebensverhältnisse in Deutschland bis 2019 bundesweit
2405 weitgehend anzugleichen. Unser Ziel ist das schnelle Erreichen einer möglichst
2406 hohen Steuerdeckungsquote der ostdeutschen Länder. Die Steigerung der Wirt-
2407 schaftskraft und die Reduzierung der Arbeitslosigkeit bleiben die zentralen Ziele.
2408 Die Koalition bekennt sich zur Einhaltung der Mittelzusagen aus dem Solidarpakt II
2409 und erwartet ihre bestimmungsgemäße Verwendung.
2410
2411 Um die Wirksamkeit der Förderung insbesondere für Wachstum und Beschäfti-
2412 gung in den ostdeutschen Ländern zu erhöhen, werden wir die Förderinstrumente
2413 für den Aufbau Ost evaluieren.
2414 Darüber hinaus benötigen die Bundesländer den Spielraum, um den regionalen
2415 Besonderheiten gerecht zu werden. Die Koalition vereinbart, eine Expertenkom-
2416 mission einzurichten, deren Vorschläge in Modellregionen umgesetzt werden sol-
2417 len.
2418 Die Koalition setzt sich dafür ein, angemessene Übergangsregelungen für die Re-
2419 gionen zu finden, die ab 2014 aus der Höchstförderung der Strukturfonds heraus-
2420 fallen.
2421
2422 Das Fördergefälle zwischen vergleichbaren Regionen mit Wettbewerbsnachteilen
2423 ist in der EU und innerhalb Deutschlands zu mindern.
2424
2425 20 Jahre nach der Wiedervereinigung wollen wir die Aufteilung des Finanzvermö-
2426 gens gemäß Art. 22 des Einigungsvertrages im Einvernehmen mit den Neuen
2427 Ländern regeln.
2428
2429Innovationsstandort
2430
2431 Zur Stärkung der Innovationsfähigkeit der Wirtschaft und zur Vernetzung von Wirt-
2432 schaft und Wissenschaft wird die Koalition die Unterstützung aus den Förderpro-
2433 grammen "Unternehmen Region" und "Zentrales Innovationsprogramm Mit-
2434 telstand" auf hohem Niveau stabilisieren und fortführen. Die Innovationsförderung
2435 ist stärker auf den Wissenstransfer auszurichten und anwendungsbezogener zu
2436 gestalten. Zum Ausbau des Hochschul- und Forschungsstandortes wird das Pro-
2437 gramm "Spitzenforschung und Innovation" fortgeführt.
2438
2439 Die Koalition verständigt sich darauf, im Jahr 2011 die Ausgestaltung der Degres-
2440 sion der Investitionszulage zu prüfen.
2441
2442 Wir werden die außeruniversitären, gemeinnützigen Forschungseinrichtungen in
2443 den ostdeutschen Ländern evaluieren und auf dieser Grundlage in Abstimmung
2444 mit den Ländern entscheiden, welche Institute in die von Bund und Länder geför-
2445 derten Forschungsorganisationen eingegliedert werden sollen.
2446
2447 Bei der Einrichtung neuer Forschungseinrichtungen werden wir die ostdeutschen
2448 Länder angemessen berücksichtigen.
2449
2450 Wir setzen uns mit besonderer Priorität für die Ansiedlung eines Forschungsinsti-
2451 tuts zur nachhaltigen und sicheren Rohstoffversorgung mit Standort in den Neuen
2452 Ländern ein, das der gesamten Wertschöpfungskette von der Erkundung und Ge-
2453 winnung der Rohstoffe über ihre Aufbereitung und Veredelung bis hin zum Recyc-
2454 ling gewidmet ist.
2455
2456Fachkräfte und Qualifizierung
2457
2458 Vor dem Hintergrund der schon bestehenden Probleme bei der Besetzung von
2459 Ausbildungsplätzen und Stellen für Hochqualifizierte und der demographischen
2460 Perspektiven wird die Bundesregierung im Rahmen einer "Zukunftsinitiative Fach-
2461 kräftesicherung" vorrangig zusammen mit den ostdeutschen Ländern, Kammern
2462 und Sozialpartnern regionsspezifische Handlungsansätze zur Verbesserung des
2463 Fachkräfteangebot entwickeln.
2464
2465Investitionsförderung und Wettbewerbsfähigkeit
2466
2467 Damit die Wirtschaft, insbesondere die Industrie, wieder an die hohe Wachstums-
2468 dynamik vor der Krise anknüpfen kann, wird die Bundesregierung die Investitions-
2469 förderung aus der Gemeinschaftsaufgabe "Regionale Wirtschaft" in Regionen mit
2470 Wettbewerbsnachteilen - unbeschadet der konjunkturbedingten Aufstockung bis
2471 2011 - mittelfristig auf dem Niveau des Jahres 2008 fortführen.
2472
2473 Die Koalition wird zusammen mit den jeweiligen ostdeutschen Ländern Zukunfts-
2474 konzepte für Regionen mit industriellen Kernen erarbeiten, die von der aktuellen
2475 Wirtschaftskrise besonders betroffen sind. Das Instrument der Branchenkonferen-
2476 zen wird fortgeführt, um gemeinsam mit der Wirtschaft das Profil des Wirtschafts-
2477 und Technologiestandortes Ostdeutschland weiter zu schärfen.
2478
2479Überregionale Verkehrsinfrastruktur
2480
2481 Die Verkehrsprojekte Deutsche Einheit (VDE) sind für den wirtschaftlichen Auf-
2482 schwung in den neuen Ländern von besonderer Bedeutung. Die Koalition strebt
2483 an, die VDE der Straße bis 2010 und der Schiene bis 2017 fertig zu stellen.
2484 Für eine konkurrenzfähige Anbindung der Seehäfen an die Staaten Südosteuro-
2485 pas werden wir das Ziel verfolgen, eine leistungsfähige Schienenverkehrsverbin-
2486 dung von der Ostsee unter Einbeziehung der Bundeshauptstadt nach Südosteu-
2487 ropa zu errichten.
2488
2489Aktive Arbeitsmarktpolitik
2490
2491 Die Koalition wird zum Abbau der in strukturschwachen Regionen - vor allem Ost-
2492 deutschlands - überproportionalen Langzeitarbeitslosigkeit die Voraussetzungen
2493 dafür schaffen, dass neue Lösungsansätze des "Förderns und Forderns" in größe-
2494 ren Kommunen erprobt werden können. Das Prinzip wird konsequent und für die
2495 öffentliche Hand kostenneutral umgesetzt.
2496
2497Übergreifende Demographiepolitik - Daseinsvorsorge
2498
2499 Die demographischen Entwicklungen wirken sich in den neuen Ländern früher und
2500 schneller aus als in Westdeutschland, sind jedoch heute schon auch für Deutsch-
2501 land insgesamt von grundlegender Bedeutung. Die Koalition wird dazu bis 2012
2502 eine ressortübergreifende Demographiestrategie erarbeiten.
2503
2504 Die Koalition wird ein Handlungskonzept mit den Ländern zur Verringerung von
2505 Abwanderung und Sicherung der privaten und öffentlichen Infrastruktur in vom
2506 demographischen Wandel besonders betroffenen ländlichen Räumen entwickeln
2507 und abstimmen, insbesondere zu den Bereichen Gesundheitsversorgung, wohn-
2508 ortnahe Bildungsangebote, Sicherung von Mobilität, leistungsfähiger Internetzu-
2509 gang und Stärkung der interkommunalen Zusammenarbeit. Dabei unterliegen die
2510 nichthoheitlichen Aufgaben dem Vergaberecht.
2511
2512 Die Aufarbeitung der Umweltlasten der ehemaligen DDR ist eine Generationen-
2513 aufgabe. Die Sanierung der ehemaligen Braunkohleabbaugebiete und der Wis-
2514 mut-Altstandorte wird über das Jahr 2012 hinaus haushalterisch gesichert und
2515 fortgeführt.
2516
2517 Neue Bundeseinrichtungen sollen in den neuen Ländern angesiedelt werden. Die
2518 Beschlüsse der unabhängigen Föderalismuskommission gelten fort. Der Beauf-
2519 tragte der Bundesregierung für die neuen Länder ist frühzeitig in die Standort-
2520 entscheidungen einzubeziehen.
2521
2522Freiheits- und Einheitsdenkmal
2523
2524 Zur Erinnerung an den 17. Juni 1953 und den Herbst 1989 werden wir auf der Ber-
2525 liner Schlossfreiheit ein Nationales Freiheits- und Einheitsdenkmal errichten und
2526 die Errichtung eines Freiheits- und Einheitsdenkmals in Leipzig unterstützen.
2527
2528Opferrente für erlittenes SED-Unrecht
2529
2530 Mit dem Ende der DDR hat sich das vereinte Deutschland der Aufgabe gestellt,
2531 das von SED und Staatssicherheit begangene Unrecht auszugleichen. Wir werden
2532 das System der Rehabilitierung und Entschädigung laufend überprüfen und offen-
2533 barem Regelungsbedarf mit dem Ziel, die rehabilitierungsrechtliche Situation von
2534 Betroffenen zu verbessern, Rechnung tragen.
2535
2536

II. BILDUNGSREPUBLIK DEUTSCHLAND

2537Durch gute Bildung und starke Forschung
2538
2539 Bildung ist Bedingung für die innere und äußere Freiheit des Menschen. Sie
2540 schafft geistige Selbständigkeit, Urteilsvermögen und Wertebewusstsein. Bildung
2541 und Forschung sind Grundlagen des wirtschaftlichen und sozialen Fortschritts.
2542 Bildung ist Voraussetzung für umfassende Teilhabe des Einzelnen in der moder-
2543 nen Wissensgesellschaft. Bildung ist daher für uns Bürgerrecht. Deswegen sagen
2544 wir der Bildungsarmut den Kampf an.
2545
2546 Dazu bedarf es einer nationalen Anstrengung. Wir wollen mehr Chancengerech-
2547 tigkeit am Start, Durchlässigkeit und faire Aufstiegschancen für alle ermöglichen.
2548 Wir wollen Deutschland zur Bildungsrepublik machen, mit den besten Kinderta-
2549 gesstätten, den besten Schulen und Berufsschulen sowie den besten Hochschu-
2550 len und Forschungseinrichtungen.
2551
2552 Bildung ist eine gesamtstaatliche Aufgabe und bedarf einer engen Partnerschaft
2553 aller Verantwortlichen entlang der gesamten Bildungskette. Wir streben daher eine
2554 Bildungspartnerschaft von Bund, Ländern und Kommunen unter Wahrung der je-
2555 weiligen staatlichen Zuständigkeit an. Wir erhöhen die Ausgaben des Bundes für
2556 Bildung und Forschung bis 2013 um insgesamt 12 Mrd. Euro. Wir werden Maß-
2557 nahmen ergreifen, die es zudem Ländern, Wirtschaft und Privaten erleichtern, ihre
2558 jeweiligen Beiträge bis spätestens 2015 ebenfalls auf das 10 Prozent-Niveau an-
2559 zuheben. Im Gegenzug streben wir mit den Ländern verbindliche Vereinbarungen
2560 zur Umsetzung der Qualifizierungsinitiative wie zur Bildungsmobilität, insbesonde-
2561 re zu Fragen von Zulassung und Anerkennung von Abschlüssen und Teilleistun-
2562 gen an.
2563
25641. Bildung
2565
25661.1 Bildungsbündnisse vor Ort
2567
2568 Jeder fünfte Jugendliche in Deutschland hat so geringe Kompetenzen in Lesen
2569 und Mathematik, dass er Gefahr läuft, auf dem Ausbildungs- und Arbeitsmarkt
2570 kaum Chancen zu haben. Deshalb müssen wir präventiv und möglichst früh in der
2571 Bildungsbiografie ansetzen.
2572
2573 Wir werden vor Ort Bildungsbündnisse aller relevanten Akteure - Kinder- und Ju-
2574 gendhilfe, Eltern, Schulen, Arbeitsförderung sowie Zivilgesellschaft - fördern, die
2575 sich mit diesem Ziel zusammenschließen.
2576
2577 Wir werden ihre Arbeit unterstützen, indem jedes Bündnis ein Kontingent z. B. von
2578 Bildungsschecks zur Weitergabe an benachteiligte Kinder und Jugendliche erhält.
2579
25801.2 Sprache als Schlüssel für den Bildungsaufstieg
2581
2582 Jedes Kind muss vor Schuleintritt die deutsche Sprache beherrschen. Deshalb
2583 unterstützen wir verbindliche bundesweit vergleichbare Sprachstandstests für alle
2584 Kinder im Alter von vier Jahren und bei Bedarf eine verpflichtende gezielte
2585 Sprachförderung vor der Schule sowie darüber hinausgehende unterrichtsbeglei-
2586 tende Sprachprogramme.
2587
25881.3 Bildungsfinanzierung
2589
2590 Heute für die Zukunft finanziell vorsorgen; das möchten viele Eltern - und auch
2591 Großeltern oder Paten - mit Blick auf die Kinder. Am besten ist das Geld angelegt,
2592 wenn es der Bildung der Kinder zu Gute kommt.
2593
2594 Deshalb werden wir jedem neu geborenen Kind beispielsweise ein Zukunftskonto
2595 mit einem Startguthaben von 150 Euro einrichten und Einzahlungen bis zur Voll-
2596 jährigkeit mit einer Prämie unterstützen.
2597
2598 Der Bildungsaufstieg darf an finanziellen Hürden nicht scheitern. Deshalb wollen
2599 wir mit dem Dreiklang aus BAföG, Bildungsdarlehen und Stipendien jungen Men-
2600 schen ein Studium ermöglichen.
2601 Wir wollen den Anteil der Stipendiaten mittelfristig von heute zwei auf zehn Pro-
2602 zent der Studierenden erhöhen. Die Stipendien sollen ausschließlich nach Bega-
2603 bung einkommensunabhängig vergeben werden. Hierzu werden wir gemeinsam
2604 mit den Ländern ein nationales Stipendienprogramm ins Leben rufen, mit dem wir
2605 von Universitäten und Fachhochschulen bei Wirtschaft und Privaten eingeworbene
2606 Stipendien in Höhe von 300 Euro im Monat von der BAföG-Anrechnung freistellen
2607 und bis zur Hälfte öffentlich bezuschussen. Die öffentliche Finanzierung soll dabei
2608 je zur Hälfte durch den Bund und die Länder erfolgen.
2609
2610 Das bisherige Büchergeld der Begabtenförderungswerke wird auf 300 Euro ange-
2611 hoben und bleibt von der BAföG-Anrechnung befreit.
2612
2613 Die erfolgreichen Aufstiegsstipendien werden wir ausbauen, um mehr beruflich
2614 Qualifizierte für ein Studium zu gewinnen.
2615 Wir erwarten von den Begabtenförderwerken, dass sie sich bislang unterrepräsen-
2616 tierten Gruppen stärker öffnen und unterstützen sie bei ihrem Engagement.
2617
2618 Wir wollen das BAföG sichern und weiterentwickeln. Die Möglichkeit, Bildungskre-
2619 dite über das 30. Lebensjahr hinaus zu verlässlichen Konditionen zu erhalten,
2620 werden wir ausbauen. Wir setzen uns ein für eine frühzeitige Berufsorientierung
2621 und Studienberatung in der Schule, die auch die vielfältigen Möglichkeiten der
2622 Studienfinanzierung umfasst.
2623
26241.4 Qualität für Bildung und Erziehung
2625
2626 Qualität in Bildung und Erziehung erfordert besonders gut ausgebildete Fachkräf-
2627 te. Wir werden deshalb verstärkt in die Weiterbildung von Erzieherinnen und Er-
2628 ziehern investieren und unterstützen die Länder bei der Ausweitung entsprechen-
2629 der Qualifizierungsangebote, auch auf akademischem Niveau. Wir werden dazu
2630 beitragen, die Lehrerausbildung an deutschen Hochschulen zu stärken. Der Erhö-
2631 hung der Medienkompetenz kommt dabei eine besondere Rolle zu.
2632
2633 Von den Ländern erwarten wir, dass sie die Betreuungsrelationen in Schulen und
2634 Kindertagesstätten weiter verbessern, den vorgesehenen Unterricht garantieren,
2635 einheitliche Bildungs- und Leistungsstandards und die problemlose gegenseitige
2636 Anerkennung von Schul- und Bildungsabschlüssen gewährleisten sowie die Wei-
2637 terbildung des pädagogischen Personals ausbauen.
2638
2639 Wir wollen die Beratung von Eltern sowie von Lehrerinnen und Lehrern hochbe-
2640 gabter Kinder besonders fördern. Hochbegabtenförderung muss früher beginnen.
2641 Von den Ländern erwarten wir, dass sie Instrumente der Diagnostik und Förde-
2642 rung in einem ganzheitlichen Sinn ausbauen. Insbesondere wollen wir die MINT-
2643 Kompetenzen (Mathematik, Ingenieurwesen, Naturwissenschaften, Technik) stär-
2644 ken.
2645
26461.5 Qualität für Studium und Hochschule
2647
2648 Wir setzen uns zum Ziel, die Studienanfängerquote weiter zu steigern. Künftig sol-
2649 len mehr Studienanfänger über die berufliche Bildung an die Hochschule kommen.
2650 Insbesondere müssen wir dafür Sorge tragen, dass mehr Studierende ihr Studium
2651 auch erfolgreich abschließen.
2652
2653 Die Umsetzung des Bologna-Prozesses ist in Deutschland sehr weit vorange-
2654 kommen, die wesentlichen Ziele sind in weiten Teilen erreicht. Die Umsetzung des
2655 Bologna-Prozesses ist zu evaluieren, um mit den Hochschulen ggf. notwendige
2656 Anpassungen zum Wohl der Studierenden vorzunehmen. Gemeinsam mit den
2657 Ländern und den Hochschulen werden wir ein "Bologna-Qualitäts- und Mobilitäts-
2658 paket" schnüren, das die Studienreform zügig voranbringt und die Qualität des
2659 Studiums und die Mobilität der Studierenden weiter verbessert. Kernelemente des
2660 Pakets sind die Weiterentwicklung der Studieninhalte, die Verbesserung der Lehre
2661 sowie der Betreuung und der Beratung der Studierenden; die Anerkennung von
2662 Studienleistungen und Hochschulabschlüssen muss national wie international ver-
2663 bessert werden.
2664
2665 Wir verstärken unsere Anstrengungen, die Besten für ein Studium in Deutschland
2666 zu gewinnen. Wir werden die Länder bei der Umgestaltung der Zentralstelle für die
2667 Vergabe von Studienplätzen (ZVS) zu einer leistungsfähigen Servicestelle unter-
2668 stützen. Wir werden Hochschulen als Orte der Weiterbildung stärken und die Ein-
2669 richtung von Offenen Hochschulen prüfen.
2670
2671 Wir unterstützen die Länder in dem Ziel, Freiheit und Autonomie der Hochschulen
2672 zu stärken. Deshalb werden wir das Hochschulrahmengesetz (HRG) aufheben.
2673
26741.6 Modernes Berufsbildungssystem
2675
2676 Die berufliche Bildung in Deutschland wird weltweit hoch geschätzt. Das duale
2677 Ausbildungssystem ist ihr Herzstück. Es ist Garant für gute Übergänge in den Ar-
2678 beitsmarkt und eine im internationalen Vergleich geringe Jugendarbeitslosigkeit.
2679 "Training made in Germany" ist ein Markenzeichen, mit dem wir auf dem ökono-
2680 misch hoch attraktiven weltweiten Bildungsmarkt erfolgreich sein wollen.
2681
2682 Die Berufsbilder müssen schneller an die Erfordernisse der Wirtschaft angepasst
2683 und klarer formuliert werden. Für die im Ausland erworbenen Qualifikationen im
2684 Bereich der beruflichen Bildung sollen möglichst transparente und einheitliche Ver-
2685 fahren geschaffen werden. Die Initiative "Unternehmergeist in die Schulen" wird
2686 weitergeführt und ausgebaut.
26871.7 Duales System
2688
2689 Das duale System der beruflichen Bildung ist ein Erfolgsmodell. Damit es auch
2690 künftig den hohen Anforderungen gerecht werden kann, werden wir die Rahmen-
2691 bedingungen weiterentwickeln, um es für künftige demographische, technologi-
2692 sche und wirtschaftliche Herausforderungen fit zu machen. Hierzu gehören die
2693 Flexibilisierung und Modularisierung unter Wahrung des Berufsprinzips. Gemein-
2694 sam mit der Wirtschaft werden wir dafür Sorge tragen, dass in den Überbetriebli-
2695 chen Berufsbildungsstätten (ÜBS) modernste Technologien für die Ausbildung zur
2696 Verfügung stehen und über Kompetenzzentren wissenschaftliche und technologi-
2697 sche Entwicklungen in die Betriebe transportiert werden.
2698
2699 Das deutsche Berufsbildungssystem muss sich dem internationalen Vergleich stel-
2700 len. Daher werden wir den internationalen Systemvergleich intensivieren und For-
2701 schung zur Kompetenzmessung forcieren.
2702
27031.8 Ausbildung für alle
2704
2705 Wir wollen den erfolgreichen Ausbildungspakt mit der Wirtschaft fortführen, wei-
2706 terentwickeln und laden Gewerkschaften und Länder ein, als neue Partner mitzu-
2707 wirken.
2708
2709 Im Zusammenwirken mit Sozialpartnern und Ländern geben wir jedem Jugendli-
2710 chen, der ausbildungsfähig und -willig ist, die Zusage, dass er ein Ausbildungsan-
2711 gebot erhält, das zu einem anerkannten Berufsabschluss führt. Jugendliche mit
2712 Ausbildungsrisiken müssen frühzeitig erkannt und gefördert werden. Deshalb bau-
2713 en wir die frühe Berufsorientierung in den Schulen aus. Unser besonderes Au-
2714 genmerk gilt Jugendlichen mit Migrationshintergrund sowie denjenigen, die sich
2715 bereits längere Zeit vergeblich um eine Lehrstelle bemüht haben.
2716
2717 Wir werden das Übergangssystem neu strukturieren und effizienter gestalten.
2718 Maßnahmen sollen grundsätzlich - auch mit Hilfe von Ausbildungsbausteinen -
2719 auf Ausbildung und Berufsabschluss ausgerichtet werden. Es ist unser Ziel, die
2720 passgenaue Vermittlung von Ausbildungsplatzsuchenden und Langzeitbewerbern
2721 zu stärken.
2722
2723 Wir setzen uns für eine angemessene Einstufung der im dualen System erworbe-
2724 nen Ausbildungsabschlüsse in den deutschen und europäischen Qualifikations-
2725 rahmen ein. Ziel ist es, die Attraktivität der beruflichen Bildung für alle Jugendli-
2726 chen unabhängig vom Schulabschluss zu stärken.
2727
27281.9 Lebensbegleitendes Lernen
2729
2730 Lebensbegleitendes Lernen zu stärken ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe.
2731 Deshalb wollen wir gemeinsam mit den Sozialpartnern, den Ländern, der Bundes-
2732 agentur für Arbeit und den Weiterbildungsverbänden eine Weiterbildungsallianz
2733 schmieden. Insbesondere kleine und mittlere Unternehmen müssen in die Lage
2734 versetzt werden, die Weiterbildung ihrer Mitarbeiter auszubauen. Darüber hinaus
2735 werden wir die Bildungs- und Qualifizierungsberatung für alle leicht zugänglich
2736 machen und für mehr Transparenz sorgen.
2737
2738 Eine besondere Bedeutung haben tarifvertraglich vereinbarte Lernzeitkonten. Die
2739 Sozialpartner müssen hier ihrer besonderen Verantwortung gerecht werden.
2740
2741 Wir werden die Entwicklung eines Deutschen Qualifikationsrahmens dazu nutzen,
2742 um Gleichwertigkeit, Mobilität und Durchlässigkeit im deutschen und europäischen
2743 Bildungsraum zu stärken. Dabei werden wir im europäischen Prozess darauf ach-
2744 ten, dass das deutsche Bildungssystem sein eigenes Profil wahrt und seine Quali-
2745 tät innerhalb der EU zur Geltung bringt.
2746
2747 Gemeinsam mit starken Partnern aus Bund und Ländern, Wirtschaft und Wissen-
2748 schaft, Kirchen, Wohlfahrtsverbänden und Stiftungen sowie den Seniorenorgani-
2749 sationen werden wir neue Bildungschancen und -Anreize für Ältere schaffen. Wir
2750 wollen zusammen mit den Senioren in Kooperation mit Internetanbietern, Medien
2751 und Verbänden mehr Medienkompetenz vermitteln und Risiken minimieren.
2752
27532. Wissenschaft und Forschung
2754
2755Forschung und Innovationen für künftigen Wohlstand
2756
2757 Forschung, Innovationen und neue Technologien sind die Grundlage für künftigen
2758 Wohlstand. Sie sind die Quellen von wirtschaftlichem Erfolg, von Wachstum und
2759 Beschäftigung. Zugleich helfen sie, den großen Herausforderungen unserer Zeit,
2760 dem Klima- und Umweltschutz, dem Kampf gegen Armut und Krankheiten wirk-
2761 sam zu begegnen. So sind Forschung und neue Technologien entscheidend für
2762 nachhaltige Produktion und nachhaltigen Konsum, für Ressourceneffizienz und
2763 Sicherung der Welternährung. Deshalb geht es uns darum, dass in Deutschland,
2764 dem Land der Ideen, neue Technologien nicht nur entwickelt, sondern auch an-
2765 gewandt werden.
2766
2767 Dazu brauchen wir auch einen umfassenden Dialog über Zukunftstechnologien mit
2768 und unter den Bürgerinnen und Bürgern. Wir stehen für eine zukunftsorientierte
2769 Kultur der Chancen. Wir wollen wieder eine optimistische und technik- und innova-
2770 tionsfreundliche Gesellschaft werden.
2771
2772Weiterentwicklung der Hightech-Strategie
2773
2774 Wir werden die Hightech-Strategie weiterentwickeln. Wir werden sie auf die An-
2775 wendungsfelder Klimaschutz/Energie, Gesundheit, Mobilität, Kommunikation und
2776 Sicherheit konzentrieren. Dabei werden wir die Förderung der Schlüsseltechnolo-
2777 gien noch stärker auf diese gesellschaftlich relevanten Felder ausrichten. Wir wer-
2778 den die rechtlichen Rahmenbedingungen innovationsfreundlich gestalten.
2779
2780 Die Instrumente der Hightech-Strategie werden wir prüfen und weiterentwickeln
2781 und dabei einen besonderen Schwerpunkt auf kleine und mittlere Unternehmen
2782 legen. Wir werden neue Impulse für den Wissens- und Technologietransfer und
2783 die Validierung von Forschungsergebnissen geben. Im Sinne der Lissabon-
2784 Strategie wollen wir die Hightech-Strategie auch nach Europa tragen.
2785
2786Werkstoff- und Materialforschung
2787
2788 Die Werkstoff- und Materialforschung ist ein Innovationsmotor. Deshalb werden
2789 wir sie gezielt ausbauen und Ergebnisse möglichst rasch in wettbewerbsfähige
2790 Produkte und Verfahren umsetzen.
2791
2792Biotechnologie
2793
2794 Wir sehen in Forschung, Entwicklung und Anwendung der Biotechnologie eine
2795 große Chance für den Wirtschafts- und Wissenschaftsstandort Deutschland und
2796 seine internationale Wettbewerbsfähigkeit. Wir werden die verantwortbaren Inno-
2797 vationspotentiale der Bio- und Gentechnologie weiterentwickeln, auch um den
2798 Wirtschaftsstandort Deutschland zu sichern und unserer globalen Verantwortung
2799 gerecht zu werden.
2800
2801 Mit der Unterstützung des Bioökonomierates werden wir eine international wett-
2802 bewerbsfähige Strategie zu einer wissensbasierten Bioökonomie erarbeiten und
2803 umsetzen. Wissenschaft, Wirtschaft und Landwirtschaft brauchen klare Signale für
2804 die Forschung an gentechnisch veränderten Pflanzen und deren Einsatz auf der
2805 Grundlage des geltenden Rechts. Die grüne Gentechnik kann einen Beitrag zur
2806 Bekämpfung des Welthungers leisten.
2807
2808Gesundheitsforschung
2809
2810 Vorbeugen ist besser als heilen. Wir werden die Präventionsforschung stärken.
2811 Neue Erkenntnisse der Forschung müssen den Menschen schneller zugute kom-
2812 men. Wir ebnen den Weg für eine individualisierte Medizin und damit für Thera-
2813 pien, die wirksamer und verträglicher sind. Dies muss einhergehen mit neuen
2814 Konzepten der Versorgungs- und Gesundheitssystemforschung. Mit "Deutschen
2815 Zentren der Gesundheitsforschung" als langfristig angelegten, gleichberechtigten
2816 Partnerschaften von Forschungseinrichtungen, Universitäten, Universitätskliniken
2817 und Kliniken schaffen wir die Voraussetzungen, um rasch zunehmende Volks-
2818 krankheiten wirksamer bekämpfen zu können.
2819
2820Stammzellforschung
2821
2822 Die Stammzellforschung bietet besonders im Bereich der Gesundheit große
2823 Chancen. Wir wollen sicherstellen, dass in Deutschland diese Chancen wahrge-
2824 nommen werden können. Zugleich erfolgt diese ethisch sensible Forschung auf
2825 dem Boden des geltenden Rechts und im Dialog mit allen gesellschaftlichen Ak-
2826 teuren. Wir prüfen die Einrichtung einer Dialogplattform "Deutsches Stammzell-
2827 netzwerk".
2828
2829Bürgerdialog
2830
2831 Forschung braucht den Dialog mit der Gesellschaft. Deshalb werden wir neue Dia-
2832 logplattformen einrichten, auf denen mit den Bürgerinnen und Bürgern Zukunfts-
2833 technologien und Forschungsergebnisse zur Lösung der großen globalen und ge-
2834 sellschaftlichen Herausforderungen intensiver diskutiert werden. Insbesondere bei
2835 gesellschaftlich kontroversen Zukunftstechnologien wollen wir einen sachlichen
2836 Diskurs, der auf Toleranz aufbaut, eine realistische Abschätzung der Chancen und
2837 Risiken für den Einzelnen und die Gesellschaft ermöglicht und den erreichbaren
2838 Konsens auslotet.
2839
2840 Wir wollen unter wissenschaftlicher Leitung und mit Unterstützung der Wirtschaft
2841 in der Hauptstadt ein "Haus der Zukunft" schaffen, in dem sich Deutschland als
2842 Wissensgesellschaft und Innovationstreiber präsentiert, und die Forschungsmuse-
2843 en stärken.
2844
2845Die Wissenschaft stärken
2846
2847 Hochschulpakt, Pakt für Forschung und Innovation und Exzellenzinitiative werden
2848 fortgeführt. So haben es die Regierungschefs von Bund und Ländern beschlos-
2849 sen.
2850
2851 Wir stärken die angewandte Fachhochschulforschung und bekräftigen die Bedeu-
2852 tung kooperativer Graduiertenschulen von Fachhochschulen und Universitäten,
2853 wie sie von der DFG gefördert werden können. Wir führen die Programmpauscha-
2854 le im Rahmen des Hochschulpaktes fort und prüfen ihre Einführung in die Projekt-
2855 förderung des Bundes. Wir erwarten von den Hochschulen die Einführung einer
2856 Kostentrennungsrechnung.
2857
2858 Zur finanziellen Verlässlichkeit muss die Gestaltungsfreiheit treten. Wissenschaft
2859 und Forschung brauchen mehr Flexibilität und Gestaltungsspielraum, um exzellen-
2860 tes Personal zu gewinnen und mit starken Partnern national und international zu
2861 kooperieren. Wir bringen weitere Verbünde zwischen Hochschulen und außeruni-
2862 versitären Forschungseinrichtungen voran und unterstützen Modelle wie das des
2863 "Forschungscampus", an denen auch Unternehmen beteiligt sind.
2864
2865 Wir unterstützen die Bereitschaft der Forschungsorganisationen, stärker miteinan-
2866 der und mit den Hochschulen, etwa bei gemeinsamen Berufungsverfahren, zu ko-
2867 operieren.
2868
2869Wissenschaftsfreiheit
2870
2871 Die Wissenschaftsfreiheitsinitiative werden wir fortsetzen - insbesondere mit dem
2872 Ziel, Globalhaushalte einzuführen und die Möglichkeiten für Unternehmensbeteili-
2873 gungen und Ausgründungen zu verbessern. Wir werden hierzu ein Wissenschafts-
2874 freiheitsgesetz vorlegen und dieses durch notwendige untergesetzliche Maßnah-
2875 men ergänzen.
2876
2877 Die Wissenschaft ist dringend auf die Gewinnung und Sicherung von hochqualifi-
2878 ziertem Personal angewiesen. Die Bundesregierung prüft daher die Möglichkeit
2879 von außertariflichen Vergütungselementen und Tarifhoheit für die Forschungsor-
2880 ganisationen.
2881
2882Wissenschaftlicher Nachwuchs
2883
2884 Wir setzen uns für eine stärkere Durchlässigkeit der Karrierepfade in Wissenschaft
2885 und Wirtschaft ein. Dies fördert auch den Wissens- und Technologietransfer. Wir
2886 werden unseren Beitrag für bessere Karrierechancen von Frauen in Wissenschaft
2887 und Forschung leisten. Die internationale Anziehungskraft deutscher Hochschulen
2888 wollen wir für Studierende wie für Wissenschaftler steigern. Deshalb werden wir
2889 internationale strategische Partnerschaften unterstützen und Mobilitätshindernis-
2890 se, auch im Bereich der sozialen Sicherungssysteme, abbauen.
2891
2892Geistes- und Sozialwissenschaften
2893
2894 Wir werden die Geistes- und Sozialwissenschaften stärken, die von großer Bedeu-
2895 tung für unser kulturelles Gedächtnis und die Gestaltung unserer Zukunft sind.
2896
2897Ressortforschung
2898
2899 Nach Abschluss der laufenden Evaluierung der Ressortforschungseinrichtungen
2900 im Jahr 2010 werden wir die Strukturen der Ressortforschung ergebnisoffen prü-
2901 fen.
2902
2903Roadmap für Forschungsinfrastrukturen
2904
2905 Für die großen Forschungsinfrastrukturen werden wir einen Roadmap-Prozess
2906 starten, in dem wir unsere Prioritäten künftiger Forschungsinfrastruktur-Vorhaben
2907 festlegen und in den europäischen Prozess für Forschungsinfrastrukturen (ESFRI)
2908 einbringen.
2909
2910Internationalisierung
2911
2912 Exzellenz in der Wissenschaft und zukunftsfähige Antworten durch Forschung
2913 brauchen Internationalität. Wir streben daher eine intensivere europäische und
2914 internationale Zusammenarbeit in Bildung und Forschung an. Wir bekräftigen die
2915 Ziele der UN-Dekade für "Bildung für nachhaltige Entwicklung" (BNE). Sie ist eine
2916 wichtige und zukunftsweisende Aufgabe aller Bildungsträger. Neben der Veranke-
2917 rung im Schulunterricht ist ihre Umsetzung in Zusammenarbeit mit außerschuli-
2918 schen Partnern wie Bildungseinrichtungen, wirtschaftlichen Institutionen und Ver-
2919 bänden von großer Wichtigkeit.
2920
2921 Wir werden den europäischen Forschungsraum, die Vorbereitung des achten For-
2922 schungsrahmenprogramms und den Umbau des EU-Haushalts aktiv mitgestalten
2923 und treten dabei für eine stärkere Rolle der Mitgliedstaaten ein. Wir wollen, dass
2924 die Wissenschaftler in Deutschland in größtmöglichem Umfang an allen Program-
2925 men des europäischen Forschungs- und Innovationsraums teilhaben können. Die
2926 Internationalisierungsstrategie werden wir ausbauen. Wir wollen Deutschland zum
2927 Exportweltmeister von Bildungsangeboten machen und die Vermarktung gezielt
2928 fördern. Bildung und Forschung werden zu einem Schwerpunkt in der Zusammen-
2929 arbeit mit den Schwellen- und Entwicklungsländern.
2930

III. SOZIALER FORTSCHRITT

2931Durch Zusammenhalt und Solidarität
2932
29331. Ehe, Familie und Kinder
2934
2935 Eine moderne Familienpolitik für alle Generationen hat die Aufgabe, die grundle-
2936 genden Strukturen unseres Zusammenlebens vor dem Hintergrund des demogra-
2937 phischen Wandels und einer globalisierten Welt zu stärken und zukunftsfest zu
2938 machen. Wir wollen, dass durch mehr Kinder- und Familienfreundlichkeit und
2939 durch günstigere Rahmenbedingungen für Familien mehr Kinder in Deutschland
2940 geboren werden.
2941
2942 Familien übernehmen generationenübergreifend Verantwortung füreinander. Es
2943 sind die Familien, die als Leistungsträger für die Gesellschaft unser Land, aber
2944 auch unsere Zukunft tragen. In Lebensgemeinschaften, in denen Menschen
2945 dauerhaft füreinander Verantwortung übernehmen, werden ebenso Werte gelebt,
2946 die grundlegend für unsere Gesellschaft sind. Es ist Ziel dieser Koalition, die
2947 wirtschaftliche und soziale Leistungsfähigkeit von Familien weiter zu stärken. Fa-
2948 milienfreundlichkeit soll aber auch zu einem Markenzeichen unserer Städte, Ge-
2949 meinden und Unternehmen werden.
2950
2951 Das Grundgesetz berechtigt und verpflichtet vorrangig Mütter und Väter, für ihre
2952 Kinder zu sorgen und legt zudem dem Staat die Pflicht auf, Ehe und Familie zu
2953 schützen und über die Ausübung von Elternrecht und Elternpflicht zu wachen.
2954 Dabei wollen wir einen Schwerpunkt auf Prävention setzen.
2955
2956 Eltern sollen die Wahlfreiheit haben, Familienleben und Erwerbstätigkeit nach ih-
2957 ren Wünschen zu gestalten. Alle, die Kinder erziehen, erbringen eine Leistung für
2958 die ganze Gesellschaft und verdienen daher deren besondere Anerkennung. För-
2959 derinstrumente sollen direkt in der Lebenswirklichkeit von Familien ansetzen.
2960
2961 Wir wollen geeignete Rahmenbedingungen schaffen und positive Anreize dafür
2962 setzen, damit mehr Menschen Verantwortung für andere übernehmen - auch au-
2963 ßerhalb der eigenen Familie. Bürgerschaftliches Engagement bietet Antworten auf
2964 viele Fragen nach dem Zusammenhalt der Generationen wie der gesamten Ge-
2965 sellschaft.
2966
2967 Diese Koalition will gleiche Chancen für Frauen und Männer im Beruf wie im Fami-
2968 lienleben verwirklichen. Immer mehr Männer wünschen sich neben dem Beruf
2969 mehr Zeit für die Familie. Junge Menschen haben ein Recht auf Teilhabe an der
2970 Gesellschaft, Stärkung und Förderung. Ziel ist auch, jeden Jugendlichen dabei zu
2971 unterstützen, einen Schulabschluss zu erreichen und eine Ausbildungsstätte zu
2972 finden. Eine wachsende Zahl älterer Menschen will bei guter Gesundheit bis ins
2973 hohe Alter aktiv bleiben. Ziel dieser Regierung ist, ihr hohes Engagement im Eh-
2974 renamt weiter zu unterstützen und in allen Bereichen generationenübergreifendes
2975 Zusammenwirken zu stärken.
2976
2977 Eltern tragen vor allen anderen die Erziehungsverantwortung für ihre Kinder. Sie
2978 zu stärken ist unser Ziel; denn starke Kinder brauchen starke Eltern.
2979
2980 Wir wollen Kinder von Anfang an unterstützen, ihre Stärken erkennen, ihre Chan-
2981 cen fördern, Benachteiligungen verhindern sowie Kinderarmut bekämpfen.
2982
2983Kinderbetreuung
2984
2985 Wir wollen in der Kinderbetreuung weitere Maßnahmen für einen verbesserten
2986 qualitativen und quantitativen flexiblen Ausbau bei Trägervielfalt auch unter Einbe-
2987 ziehung von Tagespflege ergreifen und die Vernetzung mit anderen familienunter-
2988 stützenden Angeboten im Sinne von Familienzentren und Mehrgenerationenhäu-
2989 sern intensivieren. Dazu gehört die Qualifikation von Tagespflegepersonen sowie
2990 Erzieherinnen und Erziehern und bessere Rahmenbedingungen für Ausbildung
2991 und Beruf in Kooperation mit Ländern, Kommunen und Verbänden. Wir werden
2992 darauf hinwirken, dass sich Bund und Länder auf gemeinsame Eckpunkte der
2993 frühkindlichen Bildung, insbesondere auch der Sprachförderung, einigen. Wir be-
2994 grüßen eine freiwillige Zertifizierung der Einrichtungen bei wissenschaftlicher Be-
2995 gleitung. Um qualifiziertes Personal zu gewinnen, wird eine Verbesserung der
2996 Rahmenbedingungen angestrebt.
2997
2998 Kinderlärm darf keinen Anlass für gerichtliche Auseinandersetzungen geben. Wir
2999 werden die Gesetzeslage entsprechend ändern.
3000
3001 Um Wahlfreiheit zu anderen öffentlichen Angeboten und Leistungen zu ermögli-
3002 chen, soll ab dem Jahr 2013 ein Betreuungsgeld in Höhe von 150,- Euro, gegebe-
3003 nenfalls als Gutschein, für Kinder unter drei Jahren als Bundesleistung eingeführt
3004 werden.
3005
3006Kindertagespflege
3007
3008 Um die Attraktivität der Kindertagespflege zu erhöhen, wollen wir die Qualifikation
3009 der Tagespflegepersonen weiterentwickeln und schärfen. Die Anrechenbarkeit der
3010 erworbenen Qualifikation auf die Ausbildung in pädagogischen Berufen soll er-
3011 reicht werden.
3012
3013Au-Pair-Beschäftigung
3014
3015 Wir wollen Au-Pair-Beschäftigung attraktiver gestalten. Wir werden die Anhebung
3016 der Altersgrenzen und die Möglichkeit einer Verlängerung des Aufenthalts prüfen.
3017
3018Familienbewusste Arbeitszeit
3019
3020 Wir wollen familien- und kinderfreundliche Rahmenbedingungen durch eine famili-
3021 enfreundliche Kultur und Infrastruktur sowie eine familiengerechte Arbeitswelt
3022 schaffen, die eine Entscheidung für Kinder durch echte Wahlfreiheit ermöglicht.
3023 Wir setzen uns für familienfreundliche und flexible Arbeitszeitmodelle und "Sabba-
3024 ticals", d. h. eine Auszeit vom Beruf ein, damit sich Menschen Zeit für wichtige
3025 persönliche Dinge wie die Familie nehmen können. Um die Vereinbarkeit von Fa-
3026 milie und Beruf zu einem festen Bestandteil einer modernen und nachhaltigen
3027 Personalpolitik in den Unternehmen zu machen, werden wir die bisherige Initiative
3028 zu einer großen Kampagne erweitern. Genauso wollen wir auch die bessere Ver-
3029 einbarkeit von Familie und Ausbildung erreichen.
3030
3031Weiterentwicklung des Elterngeldes
3032
3033 Wir wollen eine Weiterentwicklung, Flexibilität und Entbürokratisierung des Eltern-
3034 geldes, gerade auch in Hinblick auf die Einkommensermittlung. Die Partnermonate
3035 sollen gestärkt und ein Teilelterngeld bis zu 28 Monaten eingeführt werden. Wir
3036 werden dafür sorgen, dass die gleichzeitige Teilzeit bei gleichzeitiger Elternzeit
3037 nicht zu einem doppelten Anspruchsverbrauch führt. Die Lebenssituation von
3038 Selbständigen wollen wir stärker berücksichtigen.
3039
3040Unterhaltsvorschussrecht
3041
3042 Wir werden das Unterhaltsvorschussgesetz dahingehend ändern, dass der Unter-
3043 haltsvorschuss entbürokratisiert und bis zur Vollendung des vierzehnten Lebens-
3044 jahres eines Kindes gewährt wird.
3045
3046Alleinerziehende
3047
3048 Wir wollen die Rahmenbedingungen für Alleinerziehende durch ein Maßnahmen-
3049 paket verbessern. Dieses soll insbesondere in verlässlichen Netzwerkstrukturen
3050 für Alleinerziehende lückenlos, flexibel und niedrigschwellig bereitgestellt werden.
3051
3052 Wir werden prüfen, inwieweit die Umgestaltung des bisherigen steuerlichen Ent-
3053 lastungsbetrages in einen Abzug von der Steuerschuld möglich und interessenge-
3054 recht ist.
3055
3056Gesamtevaluation ehe- und familienbezogener Leistungen
3057
3058 Wir wollen die umfassende wissenschaftliche Evaluation der familienbezogenen
3059 Leistungen konsequent fortsetzen und entsprechende Vorschläge vorlegen. Ziel
3060 sind konkrete Handlungsempfehlungen, um Leistungen wirksamer und effizienter
3061 zu gestalten und zu bündeln. Weiterhin werden wir prüfen, wie die Leistungen im
3062 Unterhaltsrecht, Steuerrecht, Sozialrecht und Familienrecht harmonisiert werden
3063 können und entsprechende Schritte einleiten.
3064
3065Kinderschutz und Frühe Hilfen
3066
3067 Wir wollen einen aktiven und wirksamen Kinderschutz. Hierzu werden wir ein Kin-
3068 derschutzgesetz, unter Berücksichtigung eines wirksamen Schutzauftrages und
3069 insbesondere präventiver Maßnahmen (z. B. Elternbildung, Familienhebammen,
3070 Kinderschwestern und sonstiger niedrigschwelliger Angebote) auch im Bereich der
3071 Schnittstelle zum Gesundheitssystem unter Klarstellung der ärztlichen Schweige-
3072 pflicht auf den Weg bringen.
3073
3074 Mit dem Nationalen Zentrum Frühe Hilfen soll der Aus- und Aufbau Früher Hilfen
3075 und die Initiativen für einen aktiven Kinderschutz in Deutschland intensiviert wer-
3076 den.
3077
3078Forschung
3079
3080 Zur Verbesserung einer gesunden motorischen, kognitiven und emotionalen Ent-
3081 wicklung von Kindern werden wir die Bindungs- und die Bildungsforschung aus-
3082 bauen.
3083
3084Kinderrechte
3085
3086 Wir setzen uns für eine Stärkung der Kinderrechte ein. Diese Rechte müssen im
3087 Bewusstsein der Erwachsenen stärker verankert werden. Wir wollen in allen Be-
3088 reichen, insbesondere bei den Schutz-, Förder- und Partizipationsrechten, kindge-
3089 rechte Lebensverhältnisse schaffen. Wir wollen die Vorbehaltserklärung zur UN-
3090 Kinderrechtskonvention zurücknehmen. An der Ausgestaltung eines Individualbe-
3091 schwerdeverfahrens zur UN-Kinderrechtskonvention werden wir aktiv mitwirken.
3092
3093 Wir werden die Partizipation von Kindern und Jugendlichen von Beginn an fördern
3094 und uns dafür einsetzen, dass Kinder und Jugendliche ihre Lebenswelten und die
3095 Gesellschaft ihrem Alter gemäß mitgestalten können.
3096
3097Hilfe für Schwangere in Notlagen
3098
3099 Frauen können bei einer Schwangerschaft aus unterschiedlichen Gründen in eine
3100 Notlage geraten. Das Angebot der vertraulichen Geburt sowie mögliche Rechts-
3101 grundlagen sind zu prüfen. Die Entscheidung für ein Kind darf nicht an finanziellen
3102 Notlagen scheitern. Die Bundesmittel für Schwangerenberatung werden zur Un-
3103 terstützung eines pluralen Trägerangebotes gleichmäßig vergeben.
3104
3105Schutz vor sexueller Gewalt und Ausbeutung
3106
3107 Unser Ziel ist es, den Schutz von Kindern und Jugendlichen vor sexueller Gewalt
3108 und Ausbeutung kontinuierlich zu verbessern. Dazu werden wir den Aktionsplan
3109 der Bundesregierung gezielt weiterentwickeln. Wir wollen zusammen mit Kindern,
3110 Jugendlichen und Erwachsenen in Kooperation mit Internetanbietern, Medien,
3111 Verbänden und Institutionen des Kinder- und Jugendschutzes mehr Medienkom-
3112 petenz vermitteln und Risiken für sie minimieren.
3113
3114Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen
3115
3116 Das Hilfesystem im Bereich Gewalt gegen Frauen soll im Bereich der Bundeszu-
3117 ständigkeit weiter gestützt werden. Dazu gehören auch die Einrichtung einer bun-
3118 desweiten Notrufnummer und ein Bericht zur Lage der Frauen- und Kinderschutz-
3119 häuser und der darüber hinausgehenden Hilfeinfrastruktur.
3120
3121Mehrgenerationenhäuser
3122
3123 Wir werden die erfolgreiche generationenübergreifende Arbeit der bundesweit 500
3124 Mehrgenerationenhäuser weiter in die Zukunft tragen. Hierbei werden wir die
3125 Mehrgenerationenhäuser auch in die Verbesserung der Versorgungssituation von
3126 Demenzkranken und ihren pflegenden Angehörigen stärken einbinden.
3127
31282. Jugendliche
3129
3130Moderne Erziehung braucht Werte
3131
3132 Wir wollen Eltern, Betreuungseinrichtungen, Schulen und Einrichtungen der Ju-
3133 gendarbeit in ihrer werteorientierten Erziehungsverantwortung bestärken.
3134
3135Eigenständige Jugendpolitik
3136
3137 Wir stehen für eine eigenständige Jugendpolitik, eine starke Jugendhilfe und eine
3138 starke Jugendarbeit, die junge Menschen teilhaben lässt und ihre Potentiale för-
3139 dert und ausbaut. Wir wollen Jugendliche beim Übergang von Ausbildung in den
3140 Beruf besser unterstützen. Wir betonen die zentrale Bedeutung der kulturellen
3141 Kinder- und Jugendbildung für die Persönlichkeitsentwicklung der jungen Men-
3142 schen. Es gilt die neuen Möglichkeiten im Schnittfeld Jugend, Kultur und Schule
3143 zu nutzen und qualitativ und quantitativ auszubauen.
3144
3145Jugendschutz
3146
3147 Wir werden gemeinsam mit Ländern, Kommunen, Verbänden und Wirtschaft einen
3148 Nationalen Aktionsplan initiieren, der sowohl ein umfassendes Konzept zur Ver-
3149 besserung des Jugendschutzes beinhaltet als auch Maßnahmen zur Verbesse-
3150 rung der Partizipation, der Medienkompetenz und der Gewalt- sowie Suchtpräven-
3151 tion vorsieht.
3152
3153Jugend für Vielfalt, Toleranz und Demokratie
3154
3155 Die Entwicklung und Stärkung von Toleranz und Demokratie ist ein zentrales Ziel
3156 der Kinder- und Jugendpolitik. Durch ein umfassendes Unterstützungsprogramm,
3157 das stets evaluiert wird, wollen wir Kinder und Jugendliche und alle anderen Ak-
3158 teure vor Ort in ihrem Engagement für Vielfalt, Toleranz und Demokratie, Men-
3159 schenwürde und Gewaltfreiheit gegen Rechts- und Linksextremismus, Fremden-
3160 feindlichkeit und Antisemitismus motivieren und unterstützen. Eine besondere Ver-
3161 antwortung tragen hier Eltern, Kindertagesstätten, Schulen, die Einrichtungen der
3162 Jugendarbeit und die demokratischen politischen Nachwuchsverbände im Ring
3163 Politischer Jugend.
3164
3165Reform Kinder- und Jugendhilfe
3166
3167 Wir werden das Kinder- und Jugendhilfesystem und seine Rechtsgrundlagen im
3168 SGB VIII auf Zielgenauigkeit und Effektivität hin überprüfen. Wir wollen frühe,
3169 schnelle und unbürokratische Hilfezugänge durch hoch qualifizierte Leistungsan-
3170 gebote und den Abbau von Schnittstellenproblemen zwischen der Jugendhilfe und
3171 anderen Hilfesystemen erreichen. Dies gilt insbesondere bei Frühen Hilfen und bei
3172 Hilfen für junge Menschen mit Behinderungen. Wir werden die Qualität der Kinder-
3173 und Jugendhilfe evaluieren und gegebenenfalls Standards weiterentwickeln.
3174
3175Jugend und Medien
3176
3177 Wir wollen die enormen gesellschaftlichen und individuellen Chancen der Neuen Me-
3178 dien umfassend nutzen; den Risiken im Umgang mit diesen werden wir entgegenwir-
3179 ken. Wir wollen die Medienkompetenz insbesondere von Kindern und Jugendlichen
3180 stärken. Dazu gehören die Fortsetzung der erfolgreichen Projekte "Vision Kino", "Na-
3181 tionale Initiative Printmedien" und das Netz für Kinder "Frag Finn". Computerspiele
3182 sind ein selbstverständlicher Teil unserer Alltagskultur geworden. Deswegen soll die
3183 Entwicklung hochwertiger, kulturell und pädagogisch wertvoller Unterhaltungsmedien
3184 gefördert und der Deutsche Computerspielpreis aufgewertet werden.
3185
3186Sexualstrafrecht
3187
3188 CDU, CSU und FDP haben 1994 den strafrechtlichen Jugendschutz grundlegend
3189 neu geregelt. Wir wollen an den differenzierten Schutz für Kinder und Jugendliche
3190 unter Beachtung der neueren europarechtlichen Vorgaben wieder anknüpfen. Än-
3191 derungen im Strafrecht, die nach europäischem Recht nicht geboten sind, werden
3192 wir rückgängig machen. Entsprechend lehnen wir aktuelle Überlegungen zu wei-
3193 tergehenden europäischen Vorgaben ab.
3194
3195Jugendgewalt und Jugendkriminalität
3196
3197 Wir wollen Jugendkriminalität mit wirksamen Maßnahmen begegnen und alle An-
3198 strengungen unternehmen, um ihren Ursachen entgegenzuwirken. Dazu wollen
3199 wir Präventionskonzepte stärken und ausbauen, unter Einbeziehung aller Verant-
3200 wortlichen erzieherische Ansätze verbessern sowie Vollzugsdefizite bei der kon-
3201 sequenten Durchsetzung des geltenden Jugendstrafrechts abbauen. Wir erkennen
3202 den Erziehungsgedanken des Jugendstrafrechts als besonders wichtig an. Zur
3203 Erweiterung und Verbesserung der pädagogischen Reaktionsmöglichkeiten bei
3204 Straftaten Jugendlicher und Heranwachsender werden wir den Warnschussarrest
3205 neben der Aussetzung der Verhängung oder der Vollstreckung der Jugendstrafe
3206 zur Bewährung einführen. Junge Straftäter erhalten damit bereits zu Beginn der
3207 Bewährungszeit deutlich die Konsequenzen weiterer Gesetzesverstöße vor Augen
3208 geführt und zugleich eine nachdrücklichere erzieherische Einwirkung. Im Jugend-
3209 strafrecht erhöhen wir die Höchststrafe für Mord auf 15 Jahre Jugendstrafe.
3210
32113. Senioren
3212
3213 Wir möchten eine erfolgreiche Generationenpolitik voranbringen, die es älteren
3214 Menschen möglichst lange erlaubt, ein unabhängiges und eigenverantwortliches
3215 Leben zu führen.
3216
3217 Der Übergang vom Erwerbsleben in den Ruhestand für Mitarbeiterinnen und Mit-
3218 arbeiter soll von Betrieben, Unternehmen und dem öffentlichen Dienst besser vor-
3219 bereitet und unterstützt sowie fließender werden.
3220
3221Altersbilder und Altersgrenzen
3222
3223 Aktive Teilhabe älterer Menschen ist auf zeitgerechte und moderne Altersbilder
3224 angewiesen. Wir wollen eine breit angelegte Initiative zum Thema "Alter neu den-
3225 ken" starten. Es ist erforderlich, bestehende und ggf. diskriminierende Altersgren-
3226 zen zu überprüfen.
3227
3228Soziales vernetztes Wohnen für ältere Menschen
3229
3230 Wir wollen Wohnraum und Infrastruktur alten-, generationengerecht und wo sach-
3231 gerecht integrativ gestalten und die erforderlichen Service- und Hilfestrukturen
3232 auch in Zusammenarbeit mit der Zivilgesellschaft ausbauen und weiterentwickeln.
3233 Eine entsprechende Aufnahme dieser Zusammenhänge in die Ausbildung von
3234 Architekten und Ingenieuren sowie Stadtplanern streben wir an.
3235
3236Forschung für ein selbst bestimmtes Leben im Alter
3237
3238 Selbst bestimmtes Leben im Alter ist für viele Familien in Deutschland ein existen-
3239 tielles Thema. Mit Unterstützung der Medizintechnik ist hier schon heute sehr viel
3240 möglich. Deshalb fördern wir die Entwicklung von altersgerechten Assistenzsys-
3241 temen und altersgerechten innovativen Wohnmodellen. Wir bauen die medizini-
3242 sche, technische und sozialwissenschaftliche Forschung für ein selbst bestimmtes
3243 Leben im Alter aus, auch im europäischen Rahmen. Wir starten eine Innovations-
3244 partnerschaft "Gesundheit im Alter".
3245
3246Demographischer Wandel
3247
3248 Die demographischen Veränderungen in Deutschland werden sich bald sehr stark
3249 im Alltagsleben bemerkbar machen. Staat und Politik müssen hierauf in vielfältiger
3250 Weise vorbereitet sein. Wir streben daher eine Koordination der Beschäftigung mit
3251 demographischen Fragen an. Zur besseren Abstimmung zwischen den Bundes-
3252 ressorts werden wir einen interministeriellen Ausschuss einsetzen. Die Chancen
3253 des demographischen Wandels sollen verstärkt in der Öffentlichkeitsarbeit der
3254 Bundesregierung mit der Veröffentlichung eines "Berichts der Bundesregierung
3255 zur demographischen Lage und künftigen Entwicklung des Landes" im Jahre 2011
3256 berücksichtigt werden.
3257
32584. Gleichstellung
3259
3260 Wir wollen bestehende Benachteiligungen in Arbeitswelt, Politik und Gesellschaft
3261 beseitigen. Wir werden uns für eine Kultur der Vielfalt einsetzen und begrüßen
3262 daher "Diversity-Strategien". Insbesondere wollen wir auch Existenzgründerinnen
3263 und Selbständige in den Blick nehmen.
3264
3265 Wir erarbeiten einen Rahmenplan zur gleichberechtigten Teilhabe von Frauen und
3266 Männern in allen Phasen des Lebensverlaufs. Die Bundesinitiative zur Gleichstel-
3267 lung von Frauen in der Wirtschaft wird einbezogen.
3268
3269Erleichterung des Wiedereinstiegs ins Berufsleben
3270
3271 Frauen sind heute besser qualifiziert als jemals zuvor. Viele wollen ihre Fähigkei-
3272 ten im Erwerbsleben umsetzen. Das Aktionsprogramm "Perspektive Wiederein-
3273 stieg" wird in Partnerschaft mit der Bundesagentur für Arbeit fortgeführt und aus-
3274 gebaut. Es wird geprüft, inwieweit sich die lokalen Modelle des Programms, die
3275 sich als zielführend erwiesen haben, in die Fläche übertragen und verstetigt wer-
3276 den können. Dabei ist die Situation Alleinerziehender in besonderer Weise zu be-
3277 rücksichtigen.
3278
3279Überwindung der Entgeltungleichheit
3280
3281 Wir wollen das Prinzip "gleicher Lohn für gleiche Arbeit" für Frauen und Männern
3282 umsetzen und damit die Entgeltungleichheit überwinden. Wir werden in der Wirt-
3283 schaft dafür werben, das beratungsunterstützte Lohntestverfahren Logib-D einzu-
3284 setzen. Hiermit sollen Entgeltunterschiede und deren Ursachen festgestellt wer-
3285 den. Die gemeinsamen Anstrengungen zur Überwindung der Entgeltungleichheit
3286 sind zu bilanzieren. Der öffentliche Dienst muss seine Potentiale ausschöpfen,
3287 frauen- und familienfreundlicher zu werden.
3288
3289Mehr Frauen in Führungspositionen
3290
3291 Die Ziele des Bundesgleichstellungsgesetzes und des Bundesgremienbeset-
3292 zungsgesetzes werden mit Nachdruck verfolgt. Wir werden prüfen, ob und inwie-
3293 weit die Gesetze geändert und effektiver gestaltet werden müssen. Der Anteil von
3294 Frauen in Führungspositionen in der Wirtschaft und im öffentlichen Dienst soll
3295 maßgeblich erhöht werden. Dazu wird ein Stufenplan, insbesondere zur Erhöhung
3296 des Anteils von Frauen in Vorständen und Aufsichtsräten vorgelegt. Der Stufen-
3297 plan setzt in einer ersten Stufe auf verbindliche Berichtspflichten und transparente
3298 Selbstverpflichtungen.
3299
3300Jungen und Männerpolitik
3301
3302 Wir wollen eine eigenständige Jungen- und Männerpolitik entwickeln und bereits
3303 bestehende Projekte für Jungen und junge Männer fortführen und intensivieren.
3304 Damit eröffnen wir ihnen auch in erzieherischen und pflegerischen Berufen erwei-
3305 terte Perspektiven. Die Zusammenarbeit mit Väterorganisationen und anderen
3306 gleichstellungsorientierten Männerorganisationen soll intensiviert werden.
3307
33085. Integration und Zuwanderung
3309
3310Integration fördern, Chancen nutzen
3311
3312 Die Integration der Menschen mit Migrationshintergrund ist für Deutschland eine
3313 Schlüsselaufgabe. Unser Zusammenleben soll von Respekt, gegenseitigem Ver-
3314 trauen, von Zusammengehörigkeitsgefühl und gemeinsamer Verantwortung ge-
3315 prägt sein. Wir wollen Mitbürgerinnen und Mitbürger aus Zuwandererfamilien alle
3316 Chancen eines weltoffenen Landes eröffnen und ihre gesellschaftliche, wirtschaft-
3317 liche und kulturelle Teilhabe ermöglichen. Wir erwarten in gleicher Weise die Auf-
3318 nahmebereitschaft der deutschen Gesellschaft und die Integrationsbereitschaft der
3319 Zuwanderer.
3320
3321 Wir werden den Nationalen Integrationsplan (NIP) von einem integrationspoliti-
3322 schen Gesamtkonzept zu einem Aktionsplan mit klar definierten und zu überprü-
3323 fenden Zielen weiterentwickeln. Dazu setzen wir den vertrauensvollen Dialog zwi-
3324 schen Staat und Gesellschaft, insbesondere den Migranten, in institutionalisierter
3325 Form - auch unter Einbeziehung des Deutschen Bundestages - fort. Wir streben
3326 die Gründung eines Bundesbeirates für Integration an. Stand und Verlauf der In-
3327 tegration können nur auf der Basis objektiver Daten ermittelt werden. Die erforder-
3328 lichen Datengrundlagen werden wir schaffen.
3329
3330 Der Bund einerseits und die Länder mit den Kommunen andererseits sind in der
3331 Integrationspolitik Partner. Diese Zusammenarbeit wollen wir unter Wahrung der
3332 jeweiligen staatlichen Zuständigkeiten zu verbindlichen Nationalen Integrations-
3333 partnerschaften weiterentwickeln. Integration vollzieht sich in erster Linie in den
3334 Kommunen. Es gilt, die hervorragenden, aber oft zeitlich befristeten Projekte zur
3335 Integration zu Regelangeboten weiterzuentwickeln. Unser Ziel ist die bestmögliche
3336 Vernetzung der verschiedenen Integrationsfördermaßnahmen vor Ort. Staatliche
3337 und kommunale Stellen sowie öffentlich geförderte Träger sollen passgenau auf-
3338 einander abgestimmt zusammenarbeiten. Einbeziehen wollen wir dabei insbeson-
3339 dere die Integrationskursträger und die Arbeitsagenturen. In Modellregionen wol-
3340 len wir die Integrationspartnerschaften erproben.
3341
3342 Die integrationspolitischen Defizite der letzten Jahrzehnte wollen wir konsequent
3343 beheben. In unserem Land leben viele Menschen, die auch nach jahrelangem
3344 Aufenthalt in Deutschland gesellschaftlich nicht integriert sind und unsere Sprache
3345 nicht beherrschen. Wir werden deshalb die Instrumente der nachholenden Integra-
3346 tion fördern. Wir wollen die Integrationsberatung optimieren.
3347
3348 Um die Verbindlichkeit der individuellen Integrationsförderung zu erhöhen, werden
3349 wir das Instrument eines Integrationsvertrages schaffen, mit dem wir sowohl Neu-
3350 zuwanderer als auch länger im Land lebende Migranten erreichen wollen. Vor al-
3351 lem Menschen, die zu ihren Ehegatten nach Deutschland nachziehen und dazu
3352 erste Deutschkenntnisse schon im Herkunftsland erworben haben, möchten wir
3353 möglichst schnell mit der Vielfalt der Integrationsmaßnahmen vertraut machen.
3354
3355 Mit Integrationsverträgen werden die notwendigen Integrationsmaßnahmen für
3356 eine erfolgreiche Eingliederung in die deutsche Gesellschaft und den deutschen
3357 Arbeitsmarkt vereinbart und später kontinuierlich überprüft. Information und Bera-
3358 tung über staatliche und bürgerschaftliche Angebote stehen dabei im Vordergrund.
3359 Modelle der individuellen Begleitung, wie etwa die Integrationslotsen, beziehen wir
3360 dabei ein. Die Schnittstellen der Beratungsdienste zu den Bildungsträgern werden
3361 überprüfbar verbessert.
3362
3363 Den Dienstleistungscharakter der bisherigen Ausländerbehörden wollen wir stär-
3364 ken.
3365
3366 Die Koalitionäre sprechen sich für einen breit angelegten parlamentarischen und
3367 gesellschaftlichen Diskurs der Integrationsthematik aus.
3368
3369 Das Beherrschen der deutschen Sprache ist Grundvoraussetzung für Bildung und
3370 Ausbildung, für Integration in den Beruf, für Partizipation und sozialen Aufstieg.
3371 Wirksamstes Instrument der Sprachförderung des Bundes sind die Integrations-
3372 kurse. Durch stärkeres Fördern und Fordern wollen wir die Erfolgschancen der
3373 Teilnehmer weiter erhöhen.
3374
3375 Dazu werden wird wir die Integrationskurse flexibilisieren und quantitativ und quali-
3376 tativ aufwerten. Die Zahl der Orientierungskursstunden wird von 45 auf 60 ange-
3377 hoben - damit geben wir den Teilnehmern die Chance, mehr über die Funktions-
3378 weise unseres demokratischen Rechtsstaates zu erfahren.
3379
3380 Schnelle Lernerfolge werden wir mit Anreizen fördern. Wir wollen das Integrati-
3381 onskursmanagement verbessern, um insbesondere Menschen, die vor dem Ehe-
3382 gattennachzug erste Deutschkenntnisse im Herkunftsland erworben haben, einen
3383 möglichst schnellen Übergang in den Integrationskurs zu ermöglichen.
3384
3385 Die Kurse werden auf das primäre Ziel ausgerichtet, die Teilnehmer in den Ar-
3386 beitsmarkt zu integrieren. Dazu kann das Niveau der Sprachkurse auch über das
3387 Niveau B 1 hinausgehen. Darüber hinaus streben wir eine stärkere Vernetzung mit
3388 den für die Arbeitsvermittlung zuständigen Stellen an.
3389
3390 Die Integrationskraft von Kindergärten und Schulen werden wir verstärken. Wer
3391 früh gefördert wird, hat bessere Chancen. Wir stehen zum bedarfsgerechten Aus-
3392 bau der frühkindlichen Bildungseinrichtungen und der Ganztagsschule. Wir unter-
3393 stützen verbindliche bundesweit vergleichbare Sprachstandstests für alle Kinder
3394 im Alter von vier Jahren und bei Bedarf eine verpflichtende gezielte Sprachförde-
3395 rung vor der Schule. Alle Kinder, die eingeschult werden, sollen Deutsch sprechen
3396 können. Wir unterstützen darüber hinaus unterrichtsbegleitende Sprachprogram-
3397 me.
3398
3399 Eltern in Erziehungsverantwortung müssen unsere Sprache beherrschen, damit
3400 ihre Kinder die besten Voraussetzungen für schulischen Erfolg haben. Wir wollen
3401 verstärkt Integrationskurse für Eltern an Kindergärten und Schulen einrichten und
3402 u. a. mit der Kampagne "Deutsch lernen - Deutschland kennen lernen" intensiv für
3403 das Angebot der Elternintegrationskurse werben. Droht wegen mangelnder
3404 Deutschkenntnisse der Eltern eine Beeinträchtigung des Kindeswohls, soll zukünf-
3405 tig schon aus diesem Grund eine Verpflichtung zur Teilnahme am Integrationskurs
3406 möglich sein.
3407
3408 Zu viele junge Migranten scheitern in Schule und Berufsausbildung. Die Länder
3409 haben sich im Nationalen Integrationsplan und der gemeinsamen Qualifizierungs-
3410 initiative verpflichtet die Zahl der Schulabbrecher mit Migrationshintergrund bis
3411 zum Schuljahr 2012/2013 auf den Gesamtschnitt aller Schüler zu reduzieren.
3412
3413 Im Rahmen ihrer Zuständigkeit leistet die Bundesregierung in vielfältiger Weise
3414 Unterstützung auf dem Weg zum Bildungserfolg. Gerade in wirtschaftlich schwie-
3415 riger Zeit werden wir die erfolgreichen Förderprogramme (z. B. Einstiegsqualifizie-
3416 rung und JobstarterConnect) fortsetzen. Sie kommen insbesondere jungen
3417 Migrantinnen und Migranten zugute. Begleitung und Beratung können jungen
3418 Menschen eine unverzichtbare Unterstützung beim Ausbildungserfolg sein. Ein
3419 neues Instrument des ganzheitlichen Integrationscoachings (GINCO) dient der
3420 Integration in Ausbildung bzw. in den ersten Arbeitsmarkt und zur Stabilisierung
3421 dieser Integration.
3422
3423 Wir wollen die Erwerbsbeteiligung von Menschen mit Migrationshintergrund weiter
3424 verbessern. Wirksame Instrumentarien sollen - so wie die Förderung berufsbezo-
3425 gener Sprachkenntnisse - künftig als Regelinstrumente im SGB II und III zur Ver-
3426 fügung stehen. Damit wird den besonderen Unterstützungsbelangen dieser Per-
3427 sonengruppe Rechnung getragen.
3428
3429 Wir wollen bestehende Migrantenunternehmen stärken und neue Existenzgründer
3430 gewinnen. Dazu ist eine gezielte individuelle und bedarfsgerechte Gründungsun-
3431 terstützung im Gründungsprozess erforderlich. In einer gezielten Beratungs- und
3432 Qualifizierungsinitiative sollen neben betriebswirtschaftlichen Kompetenzen fach-
3433 spezifisches Know-how sowie Sprachkenntnisse vermittelt werden.
3434
3435 Wir stärken die "Charta der Vielfalt". Sie ist ein grundlegendes Bekenntnis zu Fair-
3436 ness und Wertschätzung von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern in Unternehmen.
3437 Die Potentiale und Talente von Mitarbeitern mit Migrationshintergrund werden ge-
3438 fördert. Die "Charta der Vielfalt" ist nach kurzer Zeit ein sehr erfolgreiches Unter-
3439 nehmensnetzwerk geworden, zu dessen weiterer Entwicklung wir unseren Beitrag
3440 leisten werden.
3441
3442 Auch der Bund ist sich seiner Rolle als Arbeitgeber bewusst. Er wird im Rahmen
3443 seiner Möglichkeiten mehr geeignete, befähigte und leistungsbereite Migranten
3444 beschäftigen.
3445
3446 Das Bürgerschaftliche Engagement von Migranten wird weiter gefördert und ge-
3447 stärkt. Hierzu wird der beabsichtigte qualitative und quantitative Ausbau der Ju-
3448 gendfreiwilligendienste beitragen. Wir wollen sowohl die vermehrte Teilhabe von
3449 Jugendlichen mit Migrationshintergrund an den Jugendfreiwilligendiensten errei-
3450 chen als auch das Ziel der Einbindung des Freiwilligen Sozialen Jahres zur Forcie-
3451 rung der Belange der Integration verfolgen.
3452
3453 Mit dem Programm "Integration durch Sport" wollen wir besonders Frauen und
3454 Mädchen mit Migrationshintergrund ansprechen, um sie als Teilnehmer und auch
3455 Übungsleiter zu gewinnen.
3456
3457 Wir wollen die Teilnahme zugewanderten Frauen und Mädchen aus allen Kultur-
3458 kreisen am öffentlichen und gesellschaftlichen Leben fördern. Dafür brauchen wir
3459 eine Bildungs- und Ausbildungsoffensive für Migrantinnen. Auch auf die Aufklä-
3460 rung über Menschenrechte, Bürgerrechte und Sozialrechte und auf die Sensibili-
3461 sierung für die Gleichberechtigung von Frauen und Männern muss großes Au-
3462 genmerk gelegt werden.
3463
3464Optionsregelung
3465
3466 Mit dem Staatsangehörigkeitsreformgesetz aus dem Jahr 1999 wurde der ius-soli-
3467 Erwerb für in Deutschland geborene Kinder ausländischer Eltern neu in das
3468 Staatsangehörigkeitsrecht eingeführt. Im Rahmen einer Übergangsregelung konn-
3469 ten Kinder, die zwischen 1990 und 2000 geboren worden sind, auf Antrag die
3470 deutsche Staatsangehörigkeit erwerben. Hiervon haben ca. 50.000 Kinder
3471 Gebrauch gemacht. Die ersten dieser Kinder (ca. 3.300) wurden im Jahr 2008
3472 achtzehn Jahre alt und damit optionspflichtig. Bis zur Vollendung ihres 23. Le-
3473 bensjahres müssen sie sich für die deutsche oder die ausländische Staatsangehö-
3474 rigkeit entscheiden. Die Erfahrungen mit diesen ersten Optionsfällen sollen auf
3475 möglichen Verbesserungsbedarf sowohl in verfahrens- als auch materiellrechtli-
3476 cher Hinsicht überprüft und ggf. entsprechende Änderungsvorschläge erarbeitet
3477 werden.
3478
3479 Wir werben dafür, dass möglichst viele Menschen, die die Ein-
3480 bürgerungsvoraussetzungen erfüllen, unsere Staatsbürgerschaft annehmen. Denn
3481 sie ist das stärkste Zeichen der Zugehörigkeit zu unserem Land und zur wechsel-
3482 seitigen Verantwortung seiner Bürger. Unverhältnismäßige Hemmnisse auf dem
3483 Weg zur Einbürgerung werden wir beseitigen.
3484
3485Bildung und Anerkennung
3486
3487 Bildung ist die Basis für gesellschaftliche Integration und persönlichen Erfolg. In-
3488 tegration wird auch befördert, wenn die Menschen ihre im Ausland erworbenen
3489 Qualifikationen hier voll einsetzen können. In Deutschland leben viele tausend
3490 qualifizierte Migranten, deren im Herkunftsland erworbene Bildungs- und Berufs-
3491 abschlüsse nicht oder nicht vollständig anerkannt werden. Gerade mit Blick auf
3492 den Fachkräftemangel sind die Kenntnisse und Fähigkeiten aller Zuwanderer eine
3493 Ressource, auf die wir nicht verzichten können.
3494
3495 Deshalb werden wir in Abstimmung mit den Ländern einen gesetzlichen Anspruch
3496 auf ein Anerkennungsverfahren schaffen, das feststellt, inwieweit im Ausland er-
3497 worbene Qualifikationen deutschen Ausbildungen entsprechen. Wir wollen, dass
3498 das Verfahren einfach, transparent und nutzerfreundlich gestaltet ist und streben
3499 eine Erstanlaufstelle an. Die Möglichkeiten für Anpassungs- bzw. Ergänzungsqua-
3500 lifizierungen werden wir ausbauen. Auch Teilanerkennungen sollen möglich sein,
3501 verbunden mit dem Angebot einer Anpassungsqualifizierung.
3502
3503 Die Datenbank zur Bewertung ausländischer Bildungsabschlüsse wird ausgebaut.
3504
3505Evaluierung Sprachnachweis
3506
3507 Kenntnisse der deutschen Sprache sind wesentliche Voraussetzung für eine er-
3508 folgreiche Integration. Daher sind die Regelungen zum Spracherwerb vor Ehegat-
3509 tennachzug sinnvoll. Es kommt entscheidend darauf an, dass für diese Zuzugswil-
3510 ligen hinreichend Möglichkeiten zum Spracherwerb bestehen. Wir wollen die hier
3511 bereits eingeleitete Überprüfung zügig abschließen.
3512
3513 Das Erbringen der Sprachnachweise soll organisatorisch vereinfacht werden. Die
3514 Durchführung der Kurse und die Prüfungsabnahme werden nicht allein bei den
3515 Goethe-Instituten belassen, sondern auf alle entsprechende Qualität verbürgende
3516 Anbieter ausgeweitet.
3517
3518 Die Koalitionspartner sind sich einig, die Anstrengungen zur Verhinderung von
3519 Scheinehen zu intensivieren und alle Maßnahmen, z. B. die Verlängerung der E-
3520 hebestandszeit zur Erlangung eines eigenständigen Aufenthaltstitels von zwei auf
3521 drei Jahre, zu prüfen. Das Erschleichen von Aufenthaltstiteln muss nachhaltig be-
3522 kämpft werden.
3523
3524 Die EU-Mitgliedstaaten müssen auch künftig die Zuständigkeit behalten, über Zu-
3525 wanderung in nationaler Verantwortung entscheiden zu können. Wir werden bei
3526 den Verhandlungen sorgfältig darauf achten, dass das Subsidiaritätsprinzip beach-
3527 tet wird, und dass die bestehenden nationalen Grundsätze und Standards gewahrt
3528 bleiben.
3529
3530 Auf europäischer Ebene sehen wir hinsichtlich der internationalen Migrationsströ-
3531 me die Verantwortung Deutschlands in Europa und werden an der Sicherstellung
3532 humanitärer Standards initiativ mitwirken.
3533
3534Bleiberechtsregelung
3535
3536 Hinsichtlich der gesetzlichen Altfallregelung sind wir uns einig, dass vor dem Hin-
3537 tergrund der momentanen wirtschaftlichen Rahmenbedingungen Handlungsbedarf
3538 in Bezug auf diejenigen Inhaber einer Aufenthaltserlaubnis "auf Probe" besteht,
3539 die voraussichtlich die gesetzlichen Vorgaben zur Lebensunterhaltssicherung zum
3540 Jahresende verfehlen werden. Zeitgerecht wird eine angemessene Regelung ge-
3541 funden werden.
3542
3543 Die Residenzpflicht soll so ausgestaltet werden, dass eine hinreichende Mobilität
3544 insbesondere im Hinblick auf eine zugelassene Arbeitsaufnahme möglich ist;
3545 Wohnsitzbeschränkungen bleiben unberührt.
3546
3547 Wir werden die aufenthaltsgesetzlichen Übermittlungspflichten öffentlicher Stellen
3548 dahingehend ändern, dass der Schulbesuch von Kindern ermöglicht wird.
3549
3550Visa-Verfahren - Visa-Warndatei
3551
3552 Wir stimmen darin überein, dass Personen, die mit rechtswidrigem Verhalten im
3553 Zusammenhang mit dem Visumverfahren, mit rechtswidrigem Verhalten bei sons-
3554 tigem Auslandsbezug bereits auffällig geworden sind, im Visumverfahren für eine
3555 nähere Überprüfung erkennbar gemacht werden müssen.
3556
3557 Hierzu werden wir eine zentrale Visa-Warndatei schaffen, um so insbesondere die
3558 deutschen Visumbehörden bei ihrer Tätigkeit zu unterstützen und den Prozess der
3559 Visumerteilungen insgesamt zu beschleunigen. Daten zu Einladern, Verpflich-
3560 tungsgebern oder Bestätigenden werden als notwendige Ergänzung der Daten-
3561 sätze zu Personen nur aufgenommen, wenn zu ihnen Warninhalte gespeichert
3562 sind.
3563
3564Evaluierung Abschiebehaftbedingungen
3565
3566 An der Verhängung von Abschiebungshaft als ultima ratio zur Durchsetzung von
3567 Ausreisepflichten halten wir fest. Es kommt darauf an, dieses Mittel maßvoll und
3568 unter strikter Beachtung der Grundrechte anzuwenden. Wir wollen gemeinsam mit
3569 den Ländern überprüfen, ob - auch im Lichte der Vorgaben der EU-
3570 Rückführungsrichtlinie - Anpassungen im praktischen Vollzug von Abschiebung
3571 und Abschiebungshaft sinnvoll sind.
3572
3573Asylbewerberleistungsgesetz
3574
3575 Das Asylbewerberleistungsgesetz werden wir im Hinblick auf das Sachleistungs-
3576 prinzip evaluieren.
3577
35786. Ehrenamt
3579
3580 Die Förderung des Zusammenhalts ist in offenen, demokratischen Gesellschaften
3581 auch Aufgabe von Politik und Staat, denn er trägt maßgeblich zum gesellschaftli-
3582 chen Klima in unserem Land bei. Millionen von Bürger machen mit ihren ehren-
3583 amtlichen Tätigkeiten und ihrem bürgerschaftlichem Engagement Deutschland zu
3584 einem lebenswerten und friedfertigen Land. Gesellschaftliche Integration im Sinne
3585 einer Vermittlung von Werten und Haltungen wie Toleranz, Respekt und Rück-
3586 sichtnahme durch das tägliche Miteinander in Familien, Schulen, Unternehmen,
3587 Vereinen und vielen anderen Zusammenschlüssen gleichgesinnter Menschen
3588 sorgen daneben auch für eine nachhaltige Eindämmung von Extremismus, Anti-
3589 semitismus und Jugendgewalt.
3590
3591 Notwendig ist, dass Menschen nicht von gesellschaftlicher Teilhabe und der ge-
3592 sellschaftlichen Wertegrundlage abgehängt werden. Wir werden mit allen zivilge-
3593 sellschaftlichen Gruppen gemeinsam daran arbeiten, dass gerade Kinder und Ju-
3594 gendliche die Wertgrundlagen unserer Gesellschaft mit auf ihren Lebensweg neh-
3595 men. Insbesondere darf gesellschaftliche Teilhabe nicht von der finanziellen und
3596 wirtschaftlichen Haushaltslage des Einzelnen oder von Familien abhängen.
3597 Zugleich kann der Staat nicht auf die Mitwirkung und Verantwortung der Bürger für
3598 sich und ihre Familien verzichten. Wir erwarten, dass Eltern ihre Rechte und
3599 Pflichten wahrnehmen. Diese gehören untrennbar zusammen.
3600
3601 Die vielfältigen Investitionen im Engagement sind besser zu fördern, stärker zu
3602 vernetzen und vor allem denen zugänglich zu machen, die wir für bürgerschaftli-
3603 ches Engagement begeistern wollen.
3604
3605 Wir wollen eine Nationale Engagementstrategie u. a. zusammen mit dem Nationa-
3606 len Forum für Engagement und Partizipation umsetzen, ein Gesetz zur Förderung
3607 des bürgerschaftlichen Engagements verfolgen, das alle geeigneten Rahmenbe-
3608 dingungen für eine nachhaltige Infrastruktur und Stabilisierung von Engagement
3609 und Partizipation berücksichtigt und zur Bündelung, Abstimmung und Weiterent-
3610 wicklung von Förderprogrammen ein geeignetes bundeseinheitliches Förderin-
3611 strument aufstellen.
3612
3613 Wir werden die Qualität der Jugendfreiwilligendienste "Freiwilliges Soziales Jahr"
3614 und "Freiwilliges Ökologisches Jahr" als Bildungsdienste nachhaltig sichern stär-
3615 ken.
3616
3617 Der Kindergeldbezug in Zeiten geregelter und ungeregelter Jugendfreiwilligen-
3618 dienste wird vereinheitlicht, ein Kindergeldbezug während der Wehr- und Zivil-
3619 dienstzeit wird geprüft.
3620
3621 Durch eine gemeinsame ressortübergreifende Strategie werden einheitliche und
3622 transparente Bedingungen für alle Freiwilligendienstleistenden geschaffen. Einen
3623 einheitlichen Status für Freiwilligendienstleistende im Zuge eines "Freiwilligen-
3624 dienststatusgesetzes" streben wir an.
3625
3626 Wir wollen den vielfältigen ehrenamtlichen Einsatz für kulturelle Angebote und Entfal-
3627 tungsmöglichkeiten nachhaltig unterstützen und für mehr Anerkennung für das Eh-
3628 renamt sorgen. Ehrenamtlich Engagierte sollen von Bürokratie und Haftungsrisiken
3629 entlastet werden. Wir wollen die Angebote für das Freiwillige Soziale Jahr in der Kul-
3630 tur ausweiten.
3631
3632Aktives Alter
3633
3634 Die großen Potentiale und Kompetenzen der älteren Menschen sind eine wertvolle
3635 Ressource im demographischen Wandel. Mittelfristig wird die Entwicklung einer
3636 differenzierten, flächendeckenden Struktur der Förderung des Engagements im
3637 Alter, der Selbstorganisation und Nachbarschaftshilfe angestrebt.
3638
3639Zivildienst
3640
3641 Der Zivildienst entfaltet sozialpolitische Wirkungen. Wir fördern auch künftig die
3642 Möglichkeit, den Zivildienst mit den darin erworbenen Fähigkeiten für die weitere
3643 Ausbildung nutzbar zu machen. Eine mögliche Doppelableistung von Zivildienst
3644 und Freiwilligem Sozialen Jahr soll künftig ausgeschlossen sein. Wir wollen den
3645 Lückenschluss zwischen Ende des Zivildienstes und den Ausbildungsbeginn
3646 durch die Möglichkeit einer abschnittsweisen Ableistung des Zivildienstes prüfen.
3647
3648 Die künftige Struktur der Wehrpflicht wird sich im Zivildienst widerspiegeln, der
3649 Dienstleistungen der sozialen Einrichtungen weiter zu sichern hilft.
3650
36517. Soziale Hilfe und Sozialversicherungen
3652
36537.1. Arbeitslosenversicherung und Bundesagentur für Arbeit
3654
3655Effizienzsteigerung bei den Arbeitsmarktinstrumenten
3656
3657 Wir stehen für eine effektive und effiziente Arbeitsmarktpolitik, die Arbeitslose da-
3658 bei unterstützt, rasch wieder eine sozialversicherungspflichtige Beschäftigung zu
3659 finden. Denn unser Ziel der aktiven Arbeitsmarktpolitik ist es, Arbeitssuchende
3660 erfolgreich in Beschäftigung zu vermitteln. Das gilt insbesondere auch für diejeni-
3661 gen Arbeitssuchenden, die spezifische Schwierigkeiten am Arbeitsmarkt haben
3662 und einen großen Bedarf an Qualifizierung und Weiterbildung aufweisen. Die Ar-
3663 beitsmarktinstrumente der Arbeitsverwaltung müssen mit dieser Maßgabe auf den
3664 Prüfstand gestellt werden. Wir wollen die Vielzahl der bestehenden Arbeitsmarkt-
3665 instrumente deutlich reduzieren. Unser Ziel ist es, vor Ort ein hohes Maß an Er-
3666 messenspielraum - kombiniert mit einem wirksamen Controlling - zu erreichen
3667 und dadurch die Integration in den Arbeitsmarkt entsprechend den regionalen Be-
3668 dingungen deutlich zu verbessern. Die Koalition wird deshalb Voraussetzungen
3669 dafür schaffen, dass neue Lösungsansätze wie z. B. die "Bürgerarbeit" oder markt-
3670 gerecht ausgestaltete Vermittlungsgutscheine ab Beginn der Arbeitslosigkeit er-
3671 probt werden können.
3672
3673 Damit leisten wir einen wichtigen Beitrag zu mehr Wachstum und Beschäftigung
3674 sowie zur Stabilisierung des Beitrages zur Arbeitslosenversicherung. Wir begeg-
3675 nen den Sorgen vieler Menschen vor Abstieg und Überforderung, indem wir
3676 marktgerechte Arbeitsplätze fördern statt Arbeitslosigkeit zu finanzieren. Das Prin-
3677 zip des "Förderns und Forderns" bleibt Maßstab unseres Handelns.
3678
36797.2 Grundsicherung
3680
3681Hinzuverdienst
3682
3683 Arbeit und Leistung müssen sich lohnen. Für uns gilt: Wenn man arbeitet, muss
3684 man mehr haben als wenn man nicht arbeitet. Deshalb werden wir die Hinzuver-
3685 dienstregelungen in der Grundsicherung für Arbeitsuchende deutlich verbessern.
3686 Damit erhöhen wir auch den Anreiz, eine voll sozialversicherungspflichtige Be-
3687 schäftigung zu suchen und anzunehmen. Das kann auch dazu beitragen, die So-
3688 zialkassen zu entlasten.
3689
3690Schonvermögen
3691
3692 Wir wollen mehr Sicherheit für Arbeitnehmer, die ihren Arbeitsplatz verlieren und
3693 längere Zeit keinen neuen Arbeitsplatz finden können. Die Förderung der privaten
3694 Altersvorsorge ist eine wichtige Maßnahme zur Verhinderung einer zukünftigen
3695 Altersarmut von breiten Bevölkerungsschichten. Deswegen werden wir die private
3696 Altersvorsorge besser schützen. Wir werden den Freibetrag beim Schonvermögen
3697 im SGB II, der verbindlich der Altersvorsorge dient, auf 750 Euro pro Lebensjahr
3698 wesentlich erhöhen. Bedingung dafür ist, dass das Altersvorsorgevermögen erst
3699 mit Eintritt in den Ruhestand verfügbar ist. So stärken wir die eigenständige Alter-
3700 vorsorge. Sie darf nicht bestraft werden - auch nicht, wenn man auf das Arbeitslo-
3701 sengeld II angewiesen sein sollte.
3702
3703 Zusätzlich wollen wir die selbstgenutzte Immobilie umfassend schützen.
3704
3705SGB II-Strukturreform
3706
3707 Die Koalition will die Aufgabenwahrnehmung und Finanzierung für Langzeitar-
3708 beitslose im Sinne der Menschen neu ordnen. Wir streben eine verfassungsfeste
3709 Lösung ohne Änderung des Grundgesetzes und ohne Änderung der Finanzbezie-
3710 hungen an, die dazu beiträgt, dass Langzeitarbeitslosigkeit vermieden bzw. so
3711 schnell wie möglich überwunden wird.
3712
3713 Dabei gilt es, die Kompetenz und Erfahrung der Länder und der Kommunen vor
3714 Ort sowie der Bundesagentur für Arbeit in getrennter Aufgabenwahrnehmung für
3715 die Betreuung und Vermittlung der Langzeitarbeitslosen zu nutzen. Die bestehen-
3716 den Optionskommunen sollen diese Aufgabe unbefristet wahrnehmen können.
3717 Dabei muss kommunalen Neugliederungen Rechnung getragen werden können.
3718
3719 Die Bundesagentur für Arbeit erhält die Aufgabe, den Kommunen attraktive Ange-
3720 bote zur freiwilligen Zusammenarbeit zu unterbreiten. Dazu wird das Bundesminis-
3721 terium für Arbeit und Sozialordnung einen "Mustervertrag" ausarbeiten, der die
3722 Zusammenarbeit regelt und die kommunale Selbstverwaltung achtet. Unser Ziel ist
3723 eine bürgerfreundliche Verwaltung, die unnötige Doppelarbeit vermeidet.
3724
3725Pauschalierungen
3726
3727 In diesem Zusammenhang werden auch die Kosten der Unterkunft transparent
3728 und rechtssicher ausgestaltet. Wir werden auf der Basis der vorhandenen gesetz-
3729 lichen Regelungen prüfen, die Energie- und Nebenkosten sowie ggf. die Kosten
3730 der Unterkunft zu pauschalieren. Dabei sind regionale Besonderheiten zu berück-
3731 sichtigen. Wir wollen damit auch dazu beitragen, dass die Zahl der Prozesse in
3732 diesem Bereich zurückgeht und gleichzeitig Anreize für einen sparsamen Energie-
3733 verbrauch setzen.
3734
3735 Wir werden das Wohngeldrecht hinsichtlich der Schnittstellen zu anderen sozialen
3736 Sicherungssystemen überprüfen und streben weitere Vereinfachungen bei der
3737 Ermittlung des Wohngeldanspruchs an.
3738
3739 Wir werden prüfen, ob die von den Familienkassen durchgeführte Auszahlung des
3740 Kindergeldes einer anderen Stelle übertragen werden kann. Darüber hinaus wird
3741 geprüft, ob weitere steuerfinanzierte familienpolitische Leistungen zusammenge-
3742 fasst werden können.
3743
3744Bürgergeld
3745
3746 Die Koalition nimmt sich vor, die vielfältigen und kaum noch überschaubaren steu-
3747 erfinanzierten Sozialleistungen darauf hin zu überprüfen, ob und in welchem Um-
3748 fang eine Zusammenfassung möglich ist. In diese Prüfung wird auch das Konzept
3749 eines bedarfsorientierten Bürgergeldes einbezogen.
3750
37517.3 Weitere Sozialversicherungen
3752
3753Unfallversicherung
3754
3755 Der Leistungskatalog wird mit Blick auf ein zielgenaues Leistungsrecht überprüft,
3756 die Wirtschaftlichkeit der gewerblichen Berufsgenossenschaften wird verbessert
3757 und das Recht der gesetzlichen Unfallversicherung entbürokratisiert.
3758
3759Verbesserung des Erwerbsminderungsschutzes
3760
3761 Wir wollen, dass auch erwerbsgeminderte Menschen angemessen sozial abgesi-
3762 chert sind. Wir werden prüfen, ob und wie die Absicherung gegen das Erwerbs-
3763 minderungsrisiko in der staatlich geförderten Vorsorge kostenneutral verbessert
3764 werden kann.
3765
3766Künstlersozialversicherung
3767
3768 Wir werden die Stabilisierung der Künstlersozialversicherung mit einer transparen-
3769 ten und nachvollziehbaren Versicherungspflicht fortsetzen.
3770
37717.4. Menschen mit Behinderungen
3772
3773 Wir treten für eine tatsächliche Teilhabe von Menschen mit Behinderungen am
3774 gesellschaftlichen Leben ein. Unser Ziel ist, die Rahmenbedingungen für Men-
3775 schen mit und ohne Behinderungen positiv zu gestalten. Voraussetzung hierfür ist
3776 u. a. die Barrierefreiheit in allen Bereichen von Schule über Ausbildung bis zum
3777 Beruf sowie von Verkehr über Medien und Kommunikationstechnik bis hin zum
3778 Städtebau. Politische Entscheidungen, die Menschen mit Behinderungen direkt
3779 oder indirekt betreffen, müssen sich an den Inhalten der UN-Konvention über die
3780 Rechte der Menschen mit Behinderungen messen lassen. Deshalb werden wir
3781 einen Aktionsplan zur Umsetzung der UN-Konvention über die Rechte von Men-
3782 schen mit Behinderungen entwickeln.
3783
3784 Wir wollen, dass ältere Menschen und Menschen mit Behinderungen länger und
3785 lebenswerter in ihrem gewohnten Umfeld wohnen können. Das KfW-
3786 Förderprogramm zur Versorgung mit altersgerechtem Wohnraum wird weiterent-
3787 wickelt.
3788
37898. Rente
3790
3791Verbesserung der Kindererziehung in der Alterssicherung
3792
3793 Wir werden im Rahmen der finanziellen Möglichkeiten prüfen, wie wir die familien-
3794 politische Komponente stärken und deshalb Erziehungsleistungen in der Alterssi-
3795 cherung noch besser berücksichtigen können.
3796
3797Stärkung der kapitalgedeckten Altersvorsorge
3798
3799 Wir bekennen uns zur staatlich geförderten Altersvorsorge. Eine Vielzahl von
3800 Menschen nutzt diesen Weg, um private Vorsorge zu betreiben. Wir werden prü-
3801 fen, ob es notwendig und finanziell darstellbar ist, weiteren Personengruppen, ins-
3802 besondere Selbständigen, den Zugang zur staatlich geförderten Altersvorsorge zu
3803 ermöglichen.
3804
3805Kampf gegen Altersarmut
3806
3807 Wir verschließen die Augen nicht davor, dass durch veränderte wirtschaftliche und
3808 demographische Strukturen in Zukunft die Gefahr einer ansteigenden Altersarmut
3809 besteht. Deshalb wollen wir, dass sich die private und betriebliche Altersvorsorge
3810 auch für Geringverdiener lohnt und auch diejenigen, die ein Leben lang Vollzeit
3811 gearbeitet und vorgesorgt haben, ein Alterseinkommen oberhalb der Grundsiche-
3812 rung erhalten, das bedarfsabhängig und steuerfinanziert ist. Hierzu wird eine Re-
3813 gierungskommission einen Vorschlag für eine faire Anpassungsregel entwickeln.
3814
3815Rentenangleichung Ost / West
3816
3817 Das gesetzliche Rentensystem hat sich auch in den Neuen Ländern bewährt. Wir
3818 führen in dieser Legislaturperiode ein einheitliches Rentensystem in Ost und West
3819 ein.
3820
38219. Gesundheit und Pflege
3822
3823 Wir werden das deutsche Gesundheitswesen innovationsfreundlich, leistungsge-
3824 recht und demographiefest gestalten. Wir benötigen eine zukunftsfeste Finanzie-
3825 rung, Planbarkeit und Verlässlichkeit sowie Solidarität und Eigenverantwortung.
3826 Wir brauchen eine Kultur des Vertrauens anstelle überzogener bürokratischer Vor-
3827 schriften.
3828
3829 Gesundheit hat für die Menschen in unserem Land eine hohe Bedeutung. Sie
3830 müssen sicher sein können, dass sie im Krankheits- und Pflegefall gut versorgt
3831 sind. Die Qualität der Versorgung und ihre flächendeckende Bereitstellung sind
3832 uns ein zentrales Anliegen. Eine hochwertige Gesundheitsversorgung muss vom
3833 Menschen her gedacht werden. Dafür ist ein Umdenken erforderlich.
3834
3835 Die in den Gesundheits- und Pflegeberufen Tätigen leisten einen wichtigen Beitrag
3836 für unser Gemeinwesen. Sie verdienen unseren Respekt und Anerkennung. Die
3837 Attraktivität dieser Berufe muss auch im Hinblick auf die Vereinbarkeit von Familie
3838 und Beruf verbessert werden.
3839
3840 Das Gesundheitswesen ist gerade in einer älter werdenden Gesellschaft die Zu-
3841 kunftsbranche mit bereits jetzt über 4 Millionen Beschäftigten. Es ist der Bereich
3842 mit der höchsten Innovationsrate und einem geradezu explosionsartig zunehmen-
3843 den Wissen. Wir wollen den Rahmen so setzen, dass sich der Wettbewerb der
3844 Ideen im ständigen Bemühen um eine Verbesserung der Qualität der Versorgung
3845 entfalten kann.
3846
38479.1. Gesundheit
3848
3849Prävention zielgerichtet gestalten
3850
3851 Prävention ist ein wichtiger Baustein für ein gesundes Leben und für unsere Ge-
3852 sellschaft. Sie muss zu allererst bei Kindern und Jugendlichen ansetzen. Präventi-
3853 on kann dabei helfen, künftige Belastungen der Sozialsysteme zu verringern. Ziel-
3854 gruppenspezifische Aufklärung soll dazu beitragen, Eigenverantwortlichkeit und
3855 Gesundheitsbewusstsein zu stärken. Unsere Präventionsstrategie wird Vorhande-
3856 nes bewerten und aufeinander abstimmen, nationale und internationale Erfahrun-
3857 gen und Erkenntnisse analysieren sowie auf bewährten Programmen und Struktu-
3858 ren aufbauen, diese weiterentwickeln und sie in die Fläche bringen. Dazu bedarf
3859 es einer klaren Aufgaben- und Finanzverteilung unter Berücksichtigung und Stär-
3860 kung der vorhandenen Strukturen.
3861
3862Finanzierung des Krankenversicherungsschutzes
3863
3864 Wir wollen, dass auch in Zukunft alle Menschen in Deutschland unabhängig von
3865 Einkommen, Alter, sozialer Herkunft und gesundheitlichem Risiko weiterhin die
3866 notwendige medizinische Versorgung qualitativ hochwertig und wohnortnah erhal-
3867 ten und alle am medizinischen Fortschritt teilhaben können.
3868
3869 Aufgrund des medizinischen und medizinisch-technischen Fortschritts und des
3870 demographischen Wandels müssen Struktur, Organisation und Finanzierung der
3871 gesetzlichen Krankenversicherung angepasst werden. Dabei darf keine Generati-
3872 on über Gebühr belastet werden.
3873
3874 Wettbewerb der Krankenversicherungen wirkt als ordnendes Prinzip mit den Zie-
3875 len der Vielfalt, der Effizienz und der Qualität der Versorgung.
3876
3877 Wir wollen, dass die Krankenversicherungen genügend Spielraum erhalten, um im
3878 Wettbewerb gute Verträge gestalten zu können und regionalen Besonderheiten
3879 gerecht zu werden.
3880
3881 Der Weg in die Einheitskasse und ein staatlich zentralistisches Gesundheitssys-
3882 tem sind der falsche Weg, um die zukünftigen Herausforderungen bürgernah zu
3883 bewältigen.
3884
3885 Die Finanzierbarkeit muss auch mittel- und langfristig gewährleistet sein.
3886
3887 Der Gesundheitsmarkt ist der wichtigste Wachstums- und Beschäftigungssektor in
3888 Deutschland.
3889
3890 Beitrag und Leistung müssen in einem adäquaten Verhältnis stehen. Es braucht
3891 zudem Anreize für kosten- und gesundheitsbewusstes Verhalten.
3892
3893 Die Versicherten sollen auf der Basis des bestehenden Leistungskatalogs soweit
3894 wie möglich ihren Krankenversicherungsschutz selbst gestalten können.
3895
3896 Wir wollen einen Einstieg in ein gerechteres, transparenteres Finanzierungssys-
3897 tem. Der Morbi-RSA wird auf das notwendige Maß reduziert, vereinfacht sowie
3898 unbürokratisch und unanfällig für Manipulationen gestaltet. Die derzeitige Situation
3899 ist gekennzeichnet durch ein prognostiziertes Defizit, das sich sowohl aus krisen-
3900 bedingten Beitragsausfällen als auch gesundheitssystemimmanenten Ausgaben-
3901 steigerungen (Demographie, Innovationskosten, Fehlwirkungen) zusammensetzt.
3902
3903 Kurzfristige Maßnahmen umfassen 2 Komponenten:
3904 1. Krisenbedingte Einnahmeausfälle dürfen nicht alleine den Versicherten
3905 aufgebürdet werden, deshalb werden gesamtstaatliche flankierende Maß-
3906 nahmen zur Überbrückung der Krise erfolgen.
3907 2. Unnötige Ausgaben sind zu vermeiden.
3908
3909 Langfristig wird das bestehende Ausgleichssystem überführt in eine Ordnung mit
3910 mehr Beitragsautonomie, regionalen Differenzierungsmöglichkeiten und einkom-
3911 mensunabhängigen Arbeitnehmerbeiträgen, die sozial ausgeglichen werden. Weil
3912 wir eine weitgehende Entkoppelung der Gesundheitskosten von den Lohnzusatz-
3913 kosten wollen, bleibt der Arbeitgeberanteil fest. Zu Beginn der Legislaturperiode
3914 wird eine Regierungskommission eingesetzt, die die notwendigen Schritte dazu
3915 festlegt.
3916
3917Wettbewerb im Krankenversicherungswesen
3918
3919 Neben der gesetzlichen Krankenversicherung sind für uns die privaten Kranken-
3920 versicherungen als Voll- und Zusatzversicherung ein konstitutives Element in ei-
3921 nem freiheitlichen Gesundheitswesen. Wir werden bei den Wahltarifen der gesetz-
3922 lichen Krankenversicherung die Abgrenzung zwischen diesen beiden Versiche-
3923 rungssäulen klarer ausgestalten und die Möglichkeiten ihrer Zusammenarbeit
3924 beim Angebot von Wahl- und Zusatzleistungen erweitern.
3925
3926 Wir werden die Entwicklung im Basistarif der privaten Krankenversicherung beo-
3927 bachten. Das Verhältnis von reduzierten Beiträgen im Basistarif aufgrund von Hil-
3928 febedürftigkeit und dem Abschluss privater Zusatzversicherungen wird überprüft.
3929 Ein Wechsel in die private Krankenversicherung wird zukünftig wieder nach ein-
3930 maligem Überschreiten der Jahresarbeitsentgeltgrenze möglich sein.
3931
3932Hochwertige und innovative Arzneimittelversorgung für Deutschland
3933
3934 Die flächendeckende und sichere Versorgung der Bevölkerung mit Arzneimitteln
3935 hat für uns hohe Priorität. Die freiberuflichen Apothekerinnen und Apotheker spie-
3936 len für eine gute Arzneimittelversorgung eine zentrale und wichtige Rolle. Eine
3937 Änderung des bestehenden Mehr- und Fremdbesitzverbotes lehnen wir deshalb
3938 ab. Wir werden die Auswüchse beim Versandhandel bekämpfen, indem wir die
3939 Abgabe von Arzneimitteln in den sogenannten Pick-up-Stellen verbieten.
3940
3941 Die Vielzahl der sich zum Teil widersprechenden Instrumente, die den Arzneimit-
3942 telmarkt regeln, werden wir überprüfen. Die Überregulierung wird abgebaut. Der
3943 Arzneimittelmarkt wird unter patienten-, mittelstandsfreundlichen und wettbe-
3944 werblichen Kriterien effizient neu geordnet.
3945
3946 Wir wollen, dass den Patientinnen und Patienten in Deutschland auch künftig in-
3947 novative Arzneimittel zur Verfügung stehen. Die Chancen innovativer Arzneimittel
3948 für Patientinnen und Patienten, Wachstum und Beschäftigung wollen wir künftig
3949 besser nutzen, ohne dabei die Finanzierung der Krankenversicherung zu gefähr-
3950 den. Vereinbarungen zwischen Krankenversicherung und pharmazeutischen Her-
3951 stellern können ein Weg sein, um dieses Ziel zu erreichen.
3952
3953 Kosten-Nutzen-Bewertungen müssen praktikabel nach klaren, eindeutigen Krite-
3954 rien erfolgen. Die Arbeit des Instituts für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Ge-
3955 sundheitswesen (IQWiG) werden wir auch unter dem Gesichtspunkt stringenter,
3956 transparenter Verfahren überprüfen und damit die Akzeptanz von Entscheidungen
3957 für Patienten und Patienten, Leistungserbringer und Hersteller verbessern. Dabei
3958 werden wir die Betroffenen frühzeitig beteiligen.
3959
3960Vielfalt und Wettbewerb in der Versorgung
3961
3962 Wettbewerb um Leistungen, Preise und Qualität ermöglicht eine an den Bedürf-
3963 nissen der Versicherten ausgerichtete Krankenversicherung sowie eine gute me-
3964 dizinische Versorgung. Auf der Versicherungs-, Nachfrage- und Angebotsseite
3965 werden die Voraussetzungen für einen funktionsfähigen Wettbewerb um innovati-
3966 ve und effiziente Lösungen geschaffen, der den Versicherten und Patienten zugu-
3967 te kommt, sie in den Mittelpunkt stellt und ihnen Entscheidungsspielräume ermög-
3968 licht.
3969
3970 Wir wollen, dass das allgemeine Wettbewerbsrecht als Ordnungsrahmen grund-
3971 sätzlich auch im Bereich der gesetzlichen Krankenversicherung Anwendung fin-
3972 det. Insbesondere bei Rabattverträgen, Fusionen von Krankenhäusern und Kran-
3973 kenkassen sehen wir Überprüfungsbedarf. Dazu gehört auch die Überprüfung des
3974 Rechtswegs.
3975
3976Ärztliche Versorgung und freier Arztberuf
3977
3978 Die Freiberuflichkeit der ärztlichen Tätigkeit ist ein tragendes Prinzip unsere Ge-
3979 sundheitsversorgung und sichert die Therapiefreiheit. Die freie Arztwahl durch die
3980 Patientinnen und Patienten ist dabei Ausdruck eines freiheitlichen Gesundheits-
3981 wesens und die Basis für das notwendige Vertrauensverhältnis zwischen Ärztin
3982 und Arzt und Patientin und Patient. Diese Struktur der ambulanten Versorgung
3983 wollen wir aufrechterhalten. Die Besonderheiten einer wohnortnahen Versorgung
3984 in ländlichen Bereichen werden dabei Berücksichtigung finden.
3985
3986 Medizinische Versorgungszentren (MVZ) sollen nur unter bestimmten Vorausset-
3987 zungen zugelassen werden. Geschäftsanteile können nur von zugelassenen Ärz-
3988 tinnen und Ärzten sowie Krankenhäusern gehalten werden. Wesentlich ist dabei
3989 vor allem, dass die Mehrheit der Geschäftsanteile und Stimmrechte Ärztinnen und
3990 Ärzten zusteht und das MVZ von Ärztinnen und Ärzten verantwortlich geführt wird.
3991 Für den Bereich unterversorgter Gebiete soll eine Öffnungsklausel für Kranken-
3992 häuser vorgesehen werden, wenn keine Interessenten aus dem Bereich der Ärz-
3993 tinnen und Ärzte zur Verfügung stehen.
3994
3995 Die Ärztinnen und Ärzte brauchen einen gesicherten Rahmen für ihre Arbeit. Eine
3996 Grundvoraussetzung ist ein einfaches, verständliches Vergütungssystem, das die
3997 Leistungen adäquat abbildet. Dabei werden regionale Besonderheiten Berücksich-
3998 tigung finden. Nach kritischer Überprüfung wird die Honorarreform unter dieser
3999 Zielsetzung zusammen mit den Beteiligten den erforderlichen Kurskorrekturen un-
4000 terzogen.
4001
4002 Wir wollen die Transparenz für Ärztinnen und Ärzte sowie Versicherte erhöhen.
4003 Deshalb wollen wir die Möglichkeiten der Kostenerstattung ausweiten. Es dürfen
4004 dem Versicherten durch die Wahl der Kostenerstattung keine zusätzlichen Kosten
4005 entstehen.
4006
4007 Die Gebührenordnung für Ärzte (GOÄ) wird an den aktuellen Stand der Wissen-
4008 schaft angepasst. Dabei sind Kostenentwicklungen zu berücksichtigen.
4009
4010 Angesichts der vielfältigen Steuerungsinstrumente werden wir überprüfen, ob wei-
4011 terhin eine Notwendigkeit für Richtgrößen für ärztliche Verordnungen besteht. Wir
4012 wollen die Zahlung der Praxisgebühr in ein unbürokratisches Erhebungsverfahren
4013 überführen.
4014
4015 Wir werden nach drei Jahren feststellen, wie viele Hausarztverträge deutschland-
4016 weit abgeschlossen worden sind.
4017
4018Flächendeckende und bedarfsgerechte Versorgung
4019
4020 Die Sicherstellung der flächendeckenden und bedarfsgerechten medizinischen
4021 Versorgung ist uns ein zentrales gesundheitspolitisches Anliegen, das im Hinblick
4022 auf die demographische und gesellschaftliche Entwicklung noch an Bedeutung
4023 gewinnt.
4024
4025 Der in manchen Regionen sich abzeichnenden Unterversorgung durch Ärzteman-
4026 gel und zunehmend längeren Wartezeiten muss wirksam begegnet werden. Dazu
4027 werden wir die Voraussetzungen schaffen, damit die Gemeinsame Selbstverwal-
4028 tung die Bedarfsplanung zielgerichtet weiter entwickeln kann.
4029
4030 Um der gemeinsamen Verantwortung für regionale Bedürfnisse und Strukturen
4031 besser gerecht zu werden, wollen wir fachliche Einwirkungsmöglichkeiten für die
4032 Länder prüfen.
4033
4034 Dem in den nächsten Jahren drohenden Ärztemangel ist durch Abbau von Büro-
4035 kratie und eine leistungsgerechte Vergütung wirksam auch durch folgende Maß-
4036 nahmen zu begegnen:
4037 - gezielte Nachwuchsgewinnung und Förderung von Medizinstudierenden
4038 und Stärkung der Allgemeinmedizin in der Ausbildung,
4039 - Ausbau der Anreize und Mobilitätshilfen bei der Niederlassung von Ärztin-
4040 nen und Ärzten in unterversorgten Gebieten und
4041 - Erweiterung der Delegationsmöglichkeiten ärztlicher und anderer Tätigkei-
4042 ten zur Entlastung von Ärztinnen und Ärzten.
4043
4044Zahnmedizinische Versorgung
4045
4046 Die Maßnahmen im Bereich der vertragszahnärztlichen Versorgung zielen auf ei-
4047 ne weitere Verbesserung der Mundgesundheit und die präventionsorientierte Aus-
4048 richtung der Versorgung ab. Grundlage hierfür sind freiberufliche Strukturen und
4049 die freie Arztwahl der Patientinnen und Patienten.
4050
4051 Auch bei der vertragszahnärztlichen Vergütung hat sich die Ausgabensteuerung
4052 über die Anbindung an die Grundlohnsummenentwicklung überholt. Insgesamt
4053 müssen neue Regelungen gefunden werden. Regionale Besonderheiten werden
4054 berücksichtigt. Die vertragszahnärztliche Vergütung in den neuen Bundesländern
4055 wird angepasst.
4056
4057 Um die Wahl der Kostenerstattung für Patientinnen und Patienten zu erleichtern,
4058 werden bürokratische Hürden und Hemmnisse abgebaut.
4059
4060 Die Gebührenordnung für Zahnärzte (GOZ) wird an den aktuellen Stand der Wis-
4061 senschaft angepasst. Dabei sind Kostenentwicklungen zu berücksichtigen.
4062
4063 Die Approbationsordnung für Zahnärzte soll novelliert werden.
4064
4065Krankenhausversorgung
4066
4067 Deutschland braucht leistungsfähige Krankenhäuser für eine hochwertige, innova-
4068 tive, flächendeckende und wohnortnahe Patientenversorgung. Dafür wollen wir die
4069 Grundlagen sichern und dazu beitragen, dass die Arbeit im Krankenhaus attraktiv
4070 bleibt. Dafür bedarf es effizienter Strukturen. Der Prozess einer besseren Verzah-
4071 nung der Sektoren wird fortgesetzt. Dabei ist es unser Ziel das bestehende Be-
4072 legarztsystem beizubehalten und zu stärken. Das Verfahren, das die Zulassung
4073 von Krankenhäusern zur ambulanten Versorgung bei hochspezialisierten Leistun-
4074 gen, seltenen Erkrankungen und Erkrankungen mit besonderen Krankheitsverläu-
4075 fen regelt, wird kritisch überprüft und gegebenenfalls präzisiert. Die Leistungsfä-
4076 higkeit der Krankenhäuser in den Regionen muss bei verlässlicher Investitionsfi-
4077 nanzierung gewahrt bleiben. Das DRG-System begreifen wir als lernendes Sys-
4078 tem. Es soll in seinen Auswirkungen weiter beobachtet und, wo notwendig, weiter-
4079 entwickelt werden. Ein Augenmerk gilt dabei auch der Notfallversorgung. Bundes-
4080 einheitliche Preise werden abgelehnt.
4081
4082Menschenwürdige Hospiz- und Palliativversorgung
4083
4084 Die bestehenden Regelungen zur Hospiz- und Palliativversorgung müssen ohne
4085 überzogene Anforderungen zügig umgesetzt, gelebt und wo notwendig verbessert
4086 werden. Die ehrenamtlich Tätigen, ihre Anerkennung und geeignete Rahmenbe-
4087 dingungen spielen hierbei eine wichtige Rolle.
4088
4089Patientensouveränität und Patientenrechte
4090
4091 Im Mittelpunkt der medizinischen Versorgung steht das Wohl der Patientinnen und
4092 Patienten. Die Versicherten sollen in die Lage versetzt werden, möglichst selb-
4093 ständig ihre Rechte gegenüber den Krankenkassen und Leistungserbringern
4094 wahrzunehmen. Aus diesem Grund soll eine unabhängige Beratung von Patien-
4095 tinnen und Patienten ausgebaut werden. Die Patientinnen und Patienten sollen bei
4096 der Wahrnehmung ihrer Interessen unterstützt werden. Wir wollen mehr Transpa-
4097 renz und Orientierung für Patientinnen und Patienten sowie Versicherte im Ge-
4098 sundheitswesen über Qualität, Leistung und Preis. Die erforderliche Transparenz
4099 umfasst auch die Versichertentarife in besonderen Versorgungsformen und -ver-
4100 trägen.
4101
4102 Die Patientenrechte wollen wir in einem eigenen Patientenschutzgesetz bündeln,
4103 das wir in Zusammenarbeit mit allen Beteiligten am Gesundheitswesen erarbeiten
4104 werden.
4105
4106Individuelle Wahl- und Entscheidungsspielräume
4107
4108 Wir wollen die individuellen Wahlmöglichkeiten und Entscheidungsspielräume der
4109 Patientinnen und Patienten sowie der Versicherten erweitern. Bei Leistungen des
4110 Zahnersatzes, bei Arzneimitteln und bei Leistungen zur medizinischen Rehabilita-
4111 tion sind die Erfahrungen mit Festzuschüssen, Festbeträgen und Mehrkostenrege-
4112 lungen überwiegend positiv. Daher werden wir prüfen, wo darüber hinaus Mehr-
4113 kostenregelungen sinnvoll und geeignet zum Tragen kommen können, ohne Pati-
4114 entinnen und Patienten vom medizinischen Fortschritt auszuschließen oder sie zu
4115 überfordern.
4116
4117Qualifizierte Rehabilitation
4118
4119 Qualifizierte medizinische Rehabilitation ist eine wichtige Voraussetzung zur Integ-
4120 ration von Kranken in Beruf und Gesellschaft und nimmt im Gesundheitswesen
4121 einen immer höheren Stellenwert ein.
4122
4123 Prävention, Rehabilitation und Pflege sind besser aufeinander abzustimmen. Prä-
4124 vention hat Vorrang vor Rehabilitation. Dem bisher nicht ausreichend umgesetzten
4125 Grundsatz Rehabilitation vor Pflege muss besser Rechnung getragen werden.
4126 Abstimmungs- und Schnittstellenprobleme zwischen den Trägern müssen beho-
4127 ben werden.
4128
4129 Wir wollen die Transparenz und Orientierung über das Leistungsangebot der ver-
4130 schiedenen Träger erhöhen, die Beratung der Versicherten durch die Rehabilitati-
4131 onsträger verbessern und die Wahlmöglichkeiten der Versicherten stärken.
4132
4133 Bei Vertragsvereinbarungen zwischen Krankenkassen und Rehabilitationseinrich-
4134 tungen sollen Schiedsstellen eingerichtet werden.
4135
4136Telematikinfrastruktur
4137
4138 Deutschland braucht eine Telematikinfrastruktur, die die technischen Vorausset-
4139 zungen dafür schafft, dass medizinische Daten im Bedarfsfall sicher und unprob-
4140 lematisch ausgetauscht werden können.
4141
4142 Die Arzt-Patientenbeziehung ist ein besonders sensibles Verhältnis und daher
4143 ausdrücklich zu schützen. Datensicherheit und informationelle Selbstbestimmung
4144 der Patientinnen und Patienten sowie der Versicherten haben für uns auch bei
4145 Einführung einer elektronischen Gesundheitskarte höchste Priorität.
4146
4147 Vor einer weitergehenden Umsetzung werden wir eine Bestandsaufnahme vor-
4148 nehmen, bei der Geschäftsmodell und Organisationsstrukturen der Gematik und
4149 ihr Zusammenwirken mit der Selbstverwaltung und dem Bundesministerium für
4150 Gesundheit, sowie die bisherigen Erfahrungen in den Testregionen überprüft und
4151 bewertet werden. Danach werden wir entscheiden, ob eine Weiterarbeit auf
4152 Grundlage der Strukturen möglich und sinnvoll ist.
4153
4154Organspendebereitschaft
4155
4156 Mit der Bereitschaft zur Organspende zeigen viele Menschen in Deutschland Ver-
4157 antwortung für ihre Mitmenschen - auch über den Tod hinaus. Organspende und
4158 Organtransplantation sind Themen, die uns alle angehen. Wir sehen dringenden
4159 Handlungsbedarf, die Zahl der freiwillig zur Verfügung gestellten Spenderorgane
4160 zu erhöhen. Wir werden eine kritische Bestandsaufnahme der Situation der
4161 Transplantationsmedizin in Deutschland seit dem Inkrafttreten des Transplantati-
4162 onsgesetzes 1997 vornehmen. Wir werden überprüfen, wie die organisatorischen
4163 und strukturellen Rahmenbedingungen im Krankenhaus gestaltet werden können,
4164 damit die Organspende und Organtransplantation gestärkt wird. Wir werden mit
4165 einer umfassenden Kampagne in der Bevölkerung dafür werben, durch Organ-
4166 spende Leben zu retten.
4167
4168Verantwortungsbewusste Drogen- und Suchtpolitik
4169
4170 Unsere Drogen- und Suchtpolitik stellt Prävention, Therapie, Hilfe zum Ausstieg
4171 und die Bekämpfung der Drogenkriminalität in den Mittelpunkt. Drogenabhängige
4172 sind kranke Menschen, die umfassende medizinische Hilfe und Unterstützung
4173 brauchen.
4174
4175 Mit besonderer Besorgnis sehen wir die Zunahme des exzessiven Alkoholkon-
4176 sums bei einzelnen Kindern und Jugendlichen. Vor dem Hintergrund dieser Ent-
4177 wicklungen werden wir die bestehenden Präventionsstrategien überprüfen und
4178 Programme entwickeln, die auch die Eltern in ihrer Verantwortung mit einbezie-
4179 hen. In gleicher Weise sind auch die Konzepte und Maßnahmen der Bundeszent-
4180 rale für gesundheitliche Aufklärung weiterzuentwickeln.
4181
4182Moderne Selbstverwaltung
4183
4184 Die Selbstverwaltung im deutschen Gesundheitswesen ist ein tragendes Ord-
4185 nungsprinzip, das die eigenverantwortliche und partnerschaftliche Gestaltung der
4186 Gesundheitsversorgung durch die Leistungserbringer und die Krankenkassen er-
4187 möglicht. Dieses Prinzip gilt es zu bewahren und modernen Verhältnissen anzu-
4188 passen. Legitimation, Akzeptanz und Effektivität sind dabei zentrale Kriterien, die
4189 es zu stärken gilt. Die Kassenärztlichen Vereinigungen müssen künftig mehr Fle-
4190 xibilität bei der Gestaltung der Vergütung erhalten, um dem Versorgungsauftrag
4191 vor Ort besser Rechnung tragen zu können. Transparenz und gelebte Demokratie
4192 sind eine unerlässliche Voraussetzung für eine funktionierende Körperschaft.
4193
4194 Wir streben in den Verwaltungsräten aller Krankenkassen gemäß der gemeinsa-
4195 men Finanzierung auch die Vertretung der Arbeitgeberseite an.
4196
4197 Die Aufgaben des Spitzenverbandes Bund der Krankenkassen sollen sich auf die
4198 Bereiche konzentrieren, die gemeinsam und einheitlich durchgeführt werden müs-
4199 sen.
4200
4201Mehr Forschung in der Versorgung
4202
4203 Die Gesundheitsforschung trägt dazu bei, mit Innovationen die Lebensqualität von
4204 Menschen aller Lebenslagen zu erhöhen und gleichzeitig die Finanzierbarkeit des
4205 Gesundheitssystems zu sichern. Erkenntnisse über das Versorgungsgeschehen
4206 unter Alltagsbedingungen sind dabei besonders wichtig, damit die Qualität und
4207 Effizienz der Gesundheitsversorgung bei begrenzten Ressourcen weiter steigt.
4208 Daher werden wir die Versorgungsforschung systematisch ausbauen.
4209
42109.2 Pflege
4211
4212Weiterentwicklung der Pflegeversicherung
4213
4214 Jeder Mensch hat das Recht, in Würde gepflegt zu werden. Um dies zu ermögli-
4215 chen, benötigen die Pflegenden Zeit für die Pflegeleistungen sowie für persönliche
4216 Ansprache und Zuwendung. Pflegende Angehörige und Menschen in Pflegeberu-
4217 fen pflegen täglich mit großem beruflichem und persönlichem Engagement. Wir
4218 werden die Rahmenbedingungen für Pflegende und Leistungsanbieter konsequent
4219 überprüfen und entbürokratisieren, damit der eigentlichen Pflege am Menschen
4220 wieder mehr Zeit eingeräumt wird.
4221
4222 Um den Familien die Chance zu geben, Erwerbstätigkeit und die Unterstützung
4223 der pflegebedürftigen Angehörigen besser in Einklang zu bringen, wollen wir mit
4224 der Wirtschaft und im öffentlichen Dienst bei Pflege- und Arbeitszeit verbesserte
4225 Maßnahmen zur Förderung der Vereinbarkeit von Pflege und Beruf entwickeln.
4226
4227 Wir wollen ein Berufsbild in der Altenpflege attraktiver gestalten. Darüber hinaus
4228 wollen wir die Pflegeberufe in der Ausbildung durch ein neues Berufsgesetz
4229 grundlegend modernisieren und zusammenführen.
4230
4231 Wir werden dafür sorgen, dass ausländische Hilfskräfte ebenso wie pflegende An-
4232 gehörige oder deutsche Hilfskräfte auch notwendige pflegerische Alltagshilfen
4233 erbringen können.
4234
4235 Die Pflege muss sich noch mehr an den Bedürfnissen der Pflegebedürftigen orien-
4236 tieren. Durch mehr Transparenz bei Leistungsangeboten, deren Preis und Qualität
4237 erhalten Pflegebedürftige und ihre Angehörigen die Möglichkeit, Leistungen und
4238 Leistungserbringer flexibler auszuwählen. Dabei sollen sie verstärkt zwischen
4239 Sachleistungen und Geldleistungen wählen können. Die Förderung des Aufbaus
4240 der Pflegestützpunkte läuft aus. Bei der Qualitätsprüfung muss die Ergebnisquali-
4241 tät Vorrang vor der Strukturqualität haben.
4242
4243 Wir wollen eine neue, differenziertere Definition der Pflegebedürftigkeit. Damit
4244 schaffen wir mehr Leistungsgerechtigkeit in der Pflegeversicherung. Es liegen be-
4245 reits gute Ansätze vor, die Pflegebedürftigkeit so neu zu klassifizieren, dass nicht
4246 nur körperliche Beeinträchtigungen, sondern auch anderweitiger Betreuungsbe-
4247 darf (z. B. aufgrund von Demenz) berücksichtigt werden können. Wir werden die
4248 Auswirkungen dieser Ansätze auf die Gestaltung der Pflegeversicherung und auch
4249 die Zusammenhänge mit anderen Leistungssystemen überprüfen. Spiegelbildlich
4250 zu der besseren Abbildung des Leistungsbedarfes müssen Wohn- und Betreu-
4251 ungsformen zur Verfügung stehen, die an den Bedürfnissen der Pflegebedürftigen
4252 orientiert sind, wie z. B. Wohngemeinschaften für Demenzkranke. Unser Ziel ist
4253 eine ergebnisorientierte und an den Bedürfnissen der Menschen orientierte,
4254 selbstbestimmte Pflege.
4255
4256 Die Pflegeversicherung bleibt ein wichtiges Element der sozialen Sicherung. Die
4257 Pflegebedürftigen müssen auch künftig angemessene Pflegeleistungen zu einem
4258 bezahlbaren Preis erhalten. In der Form der Umlagefinanzierung kann die Pflege-
4259 versicherung jedoch ihre Aufgabe, allen Bürgern eine verlässliche Teilabsicherung
4260 der Pflegekosten zu garantieren, auf Dauer nicht erfüllen. Daher brauchen wir ne-
4261 ben dem bestehenden Umlageverfahren eine Ergänzung durch Kapitaldeckung,
4262 die verpflichtend, individualisiert und generationengerecht ausgestaltet sein muss.
4263 Eine interministerielle Arbeitsgruppe wird dazu zeitnah einen Vorschlag ausarbei-
4264 ten.
4265
4266 Die Veränderung in der Finanzierung eröffnet Chancen, die Leistungen der Pfle-
4267 geversicherung langfristig zu dynamisieren und die Pflegebedürftigkeit - auch zu-
4268 gunsten von Menschen mit eingeschränkter Alltagskompetenz, wie z. B. Demenz
4269 - neu zu definieren.
4270
4271 Alle Bemühungen um eine finanzielle Absicherung des Pflegerisikos im Rahmen
4272 der Pflegeversicherung entbinden den Einzelnen aber nicht davon, seine Eigen-
4273 verantwortung und Eigeninitiative zur Absicherung des Pflegerisikos und zur Ges-
4274 taltung der Pflege wahrzunehmen.
4275
427610. Religion, Geschichte und Kultur; Sport
4277
4278Religionsgemeinschaften
4279
4280 Den Christlichen Kirchen kommt eine unverzichtbare Rolle bei der Vermittlung der
4281 unserem Gemeinwesen zugrunde liegenden Werte zu. Wir wissen, dass auch andere
4282 Religionen Werte vermitteln, die einen positiven Einfluss auf unsere Gesellschaft ha-
4283 ben. Wir achten alle Religionszugehörigkeiten. Besondere Verantwortung tragen wir
4284 für die jüdischen Gemeinden als Teil unserer Kultur. Wir werden den Dialog mit den
4285 Kirchen, Glaubensgemeinschaften und religiösen Vereinigungen noch stärker betrei-
4286 ben.
4287
4288Fortsetzung der Deutschen Islam Konferenz
4289
4290 Die Deutsche Islam Konferenz (DIK) hat dazu geführt, dass neben einem den reli-
4291 giösen Gemeinschaften vorbehaltenen interreligiösen Dialog ein Prozess der An-
4292 näherung muslimischer Bevölkerungsteile Deutschlands an das deutsche Religi-
4293 onsverfassungsrecht begonnen hat. Diesen Prozess gilt es zu befördern und da-
4294 her wollen wir die DIK als wichtigstes Forum zwischen dem deutschen Staat und
4295 den in Deutschland lebenden Muslimen fortsetzen.
4296
4297Geschichte und Kultur
4298
4299 Deutschland ist eine europäische Kulturnation. Kunst und Kultur sind der Zukunftsmo-
4300 tor einer Gesellschaft. Zugleich prägt das reiche kulturelle Erbe, das aus der Vielfalt
4301 der Länder und Regionen in Deutschland resultiert, unsere nationale Identität. Das
4302 kulturelle Leben im ländlichen Raum ist ein wichtiger Bestandteil der Kulturnation
4303 Deutschland. Wir bekennen uns zur Freiheit der Kunst. Staat und Politik sind nicht für
4304 die Kunst, ihre Ausdrucksformen oder Inhalte zuständig, wohl aber für die Bedingun-
4305 gen, unter denen Kunst und Kultur gedeihen können. Wir müssen Menschen die
4306 Chance geben, sich durch ihre künstlerische Gestaltungskraft eine auch wirtschaftlich
4307 erfolgreiche Existenz zu schaffen und andere kulturell zu bereichern.
4308
4309 Die Ausgaben des Bundes für die Kultur konnten in den vergangenen vier Jahren
4310 deutlich erhöht werden. Dazu stehen wir gerade auch in der Finanz- und Wirtschafts-
4311 krise. Kulturförderung ist keine Subvention, sondern eine unverzichtbare Investition in
4312 die Zukunft unserer Gesellschaft.
4313
4314 Die Förderung von Investitionen im Rahmen des Programms "Förderung von In-
4315 vestitionen in nationale Weltkulturerbestätten" (UNESCO-Programm) bedarf einer
4316 besseren Abstimmung zwischen Bund und Ländern.
4317
4318 Wir wollen die Rahmenbedingungen für private Kulturförderung durch Stiftungen, Mä-
4319 zenatentum und Sponsoring weiter verbessern und dazu bürokratische Hürden ab-
4320 bauen.
4321
4322 Wir wollen gemeinsam mit den Ländern den Zugang zu kulturellen Angeboten unab-
4323 hängig von finanzieller Lage und sozialer Herkunft erleichtern und die Aktivitäten im
4324 Bereich der kulturellen Bildung verstärken; kulturelle Bildung ist auch ein Mittel der
4325 Integration.
4326
4327 Die Initiative Kultur- und Kreativwirtschaft wird fortgeführt und weiter ausgebaut. Die
4328 Kulturstatistik wird fortgesetzt.
4329
4330 Auch zwanzig Jahre nach der friedlichen Revolution in der ehemaligen DDR und
4331 dem Fall von Mauer und Stacheldraht ist die Aufarbeitung der SED-Diktatur eine
4332 gesellschaftspolitische Herausforderung von weiterhin großer Bedeutung.
4333
4334 Um der Verklärung der SED-Diktatur entgegenzuwirken, wird die Bundesregierung
4335 ihre Maßnahmen zur geschichtlichen Aufarbeitung verstärken. Die Bundesregie-
4336 rung wird im Laufe des Jahres 2010 dazu konkrete Vorschläge unterbreiten.
4337
4338 Dazu sollen zählen:
4339 - die Einrichtung eines Arbeitsschwerpunkts "Aufarbeitung der SED-Diktatur"
4340 bei der Bundeszentrale für politische Bildung,
4341 - die Prüfung der Errichtung einer Jugend- und Begegnungsstätte zur Aufar-
4342 beitung der SED-Diktatur sowie der Schaffung eines koordinierenden Zeit-
4343 zeugenbüros unter Beteiligung der durch den Bund getragenen oder finan-
4344 zierten Institutionen,
4345 - die Fortführung der vom Bund geförderten Programme gegen Rechtsex-
4346 tremismus als "Extremismusbekämpfungsprogramme" unter Berücksichti-
4347 gung der Bekämpfung linksextremistischer und islamistischer Bestrebungen
4348 sowie die Erstellung eines Jahresberichts der Bundesregierung zur Aufar-
4349 beitung der SED-Diktatur.
4350
4351 Wir werden eine Expertenkommission einsetzen, die die Entwicklung der Aufgaben,
4352 die der Bundesbeauftragten für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der e-
4353 hemaligen DDR (BStU) gesetzlich zugewiesen sind, analysiert und Vorschläge
4354 macht, ob und in welcher Form diese mittel- und langfristig zu erfüllen sind.
4355
4356 Die Aufarbeitung des NS-Terrors und der SED-Diktatur wird wie im Gedenkstätten-
4357 konzept des Bundes vorgesehen fortgesetzt und verstärkt.
4358
4359 Wir werden den Beschluss des Deutschen Bundestags aus dem Jahr 2000 um-
4360 setzen und im Sinne eines kollektiven Ausgleichs für homosexuelle NS-Opfer eine
4361 Magnus-Hirschfeld-Stiftung errichten. Sie soll durch interdisziplinäre Forschung
4362 und Bildung der Diskriminierung homosexueller Männer und Frauen entgegenwir-
4363 ken.
4364
4365 Die Förderung des kulturellen Erbes der Deutschen im östlichen Europa nach § 96
4366 Bundesvertriebenengesetz wird fortgesetzt. Die Dokumentationsstätte "Stiftung
4367 Flucht, Vertreibung, Versöhnung" in Berlin wird entsprechend den gesetzlichen Vor-
4368 gaben eingerichtet.
4369
4370 Wir werden die Einrichtung eines sudetendeutschen Museums in München unterstüt-
4371 zen.
4372
4373 Der Bundestagsbeschluss zum Bau des Humboldt-Forums am historischen Ort
4374 und in der äußeren Gestalt des Berliner Stadtschlosses wird realisiert.
4375
4376 Wir werden die Förderung des Bundes für den Denkmalschutz sowie die Förderung
4377 der Leuchtturmprojekte in den neuen Ländern fortsetzen.
4378
4379 Gemeinsam mit den Ländern wollen wir ein nationales Bestandserhaltungskonzept
4380 für gefährdetes schriftliches Kulturgut erarbeiten. Zum verstärkten Schutz schriftlichen
4381 Kulturgutes wird eine Koordinierungsstelle eingerichtet.
4382
4383 In der Unterstützung der Provenienzforschung gemäß des Washingtoner Abkom-
4384 mens sehen wir auch in der Zukunft eine Verpflichtung.
4385
4386 Wir werden den Filmstandort Deutschland weiter stärken und deshalb den erfolgrei-
4387 chen Deutschen Filmförderfonds fortführen. Um eine nachhaltige Finanzierung des
4388 Kinofilms in Deutschland zu gewährleisten, erfolgt eine Überarbeitung des Filmför-
4389 dergesetzes sowie die stärkere Einbeziehung der KfW Bankengruppe in die Filmfi-
4390 nanzierung. In einer Gemeinschaftsaktion von Filmwirtschaft, Filmförderanstalt (FFA),
4391 Bund und Ländern soll schrittweise die flächendeckende Digitalisierung der Kinos
4392 erfolgen, um die kulturelle Vielfalt in Deutschland zu erhalten. Das nationale Filmerbe
4393 ist dauerhaft zu sichern.
4394
4395Vertriebene - Aussiedler - deutsche Minderheiten
4396
4397 Wir bekennen uns zur besonderen Verantwortung für die Deutschen aus den
4398 Staaten in Mittelost- und Südosteuropa sowie aus den Nachfolgestaaten der Sow-
4399 jetunion, die als Aussiedler zu uns gekommen sind oder als deutsche Minderhei-
4400 ten in diesen Ländern leben. Wir sind der Überzeugung, dass die deutschen Min-
4401 derheiten wie auch die Vertriebenen und Aussiedler einen eigenständigen Beitrag
4402 leisten können, kulturelle und zivilgesellschaftliche Brücken zu den Ländern Mit-
4403 telost- und Südosteuropas sowie in einige Nachfolgestaaten der Sowjetunion zu
4404 bauen. Wir werden daher die Förderung der deutschen Minderheiten fortsetzen.
4405
4406Schutz und Förderung von nationalen Minderheiten
4407
4408 Die Erfahrungen langjähriger und kontinuierlicher Minderheitenpolitik im deutsch-
4409 dänischen Grenzraum zeigen die Bedeutung der Förderung nationaler Minderhei-
4410 ten für die Überwindung früherer zwischenstaatlicher Konflikte und für die Entwick-
4411 lung eines europäischen Identitätsbewusstseins, das die kulturelle Vielfalt europä-
4412 ischer Siedlungsgeschichte angemessen zum Ausdruck bringt. Das hierbei entwi-
4413 ckelte System gegenseitiger grenzüberschreitender Förderung der deutschen und
4414 der dänischen Minderheit bleibt daher eine selbstverständliche Aufgabe des Bun-
4415 des. Für die weitere Sicherstellung der Arbeiten des von Deutschland und Däne-
4416 mark gegründeten Europäischen Zentrums für Minderheitenfragen (ECMI) in
4417 Flensburg werden wir die Zuwendungen erhöhen. Der Schutz und die Förderung
4418 aller vier anerkannten nationalen Minderheiten in Deutschland, die erheblich zur
4419 kulturellen Bereicherung unseres Landes beitragen, bleibt ebenso ein wichtiges
4420 Anliegen der Bundesregierung.
4421
4422 Die Koalition bekennt sich zum Finanzierungsabkommen für die Stiftung für das
4423 sorbische Volk.
4424
4425Sport
4426
4427 Wir wissen, dass Sport für die Aktivierung und den Zusammenhalt einer modernen
4428 Gesellschaft unverzichtbare Beiträge leistet und dass Deutschland auf großartige
4429 Traditionen und Leistungen im Sport verweisen kann, die es zu bewahren und zu
4430 entwickeln gilt. Deshalb werden wir unsere Aufgaben als Partner und Förderer des
4431 Sports mit besonderer Verantwortung wahrnehmen. Wir streben an, im Rahmen
4432 der Kompetenzen und Möglichkeiten des Bundes den Erhalt und Ausbau von
4433 Sportstätten in Deutschland weiter zu fördern.
4434
4435Spitzensportförderung
4436
4437 Wir werden die finanzielle Förderung des Spitzensports in Deutschland auf hohem
4438 Niveau fortführen. Die Bemühungen, Spitzensportlerinnen und -sportlern mit Be-
4439 hinderung den Zugang zu einer "dualen Karriere" zu eröffnen, werden wir intensi-
4440 vieren.
4441
4442Bewerbung München 2018
4443
4444 Olympische und Paralympische Spiele sind herausragende Sportereignisse. Die
4445 Bewerbung der Stadt München um die Olympischen und Paralympischen Winter-
4446 spiele 2018 und, bei Zuschlag durch das IOC im Juli 2011, deren Ausrichtung,
4447 sind ein nationales Anliegen im gemeinsamen Interesse von Bund, Land und
4448 Kommunen und werden weiterhin gefördert und unterstützt.
4449
4450Anti-Doping-Politik
4451
4452 Für das Selbstverständnis unserer Sportpolitik ist die Autonomie des Sports und
4453 seiner Verbände von zentraler Bedeutung. Wir wollen den Sport bei der Sicherung
4454 und Realisierung seiner Werte unterstützen. Im Mittelpunkt unserer Aufmerksam-
4455 keit steht dabei die konsequente Bekämpfung von Doping im Zusammenwirken
4456 von sportlichen Sanktionen und strafrechtlichen Verfolgungsmaßnahmen. Für uns
4457 ist nur dopingfreier Sport förderungswürdig. Wir werden den im Sommer 2009 zwi-
4458 schen Bund, Ländern, dem Deutschen Olympischen Sportbund (DOSB) und der
4459 Nationalen Anti Doping Agentur (NADA) verabschiedeten Nationalen Dopingprä-
4460 ventionsplan umsetzen. Die Forschung zur Bekämpfung des Dopings muss gezielt
4461 weiter gefördert werden.
4462
4463 Ziele wie die Bekämpfung von Doping, die Einordnung der autonomen Sportbe-
4464 wegungen und ihrer Regeln in den europäischen Rechtsrahmen können vor allem
4465 in länderübergreifender Weise effektiv wahrgenommen werden. Wir werden des-
4466 halb die internationale sportpolitische Zusammenarbeit verstärken.
4467
4468IV. FREIHEIT UND SICHERHEIT
4469Durch Bürgerrechte und starken Staat
4470
4471 Wir bekennen uns zur Freiheit, zur Freiheit in Verantwortung und Sicherheit. Der
4472 Staat hat die Aufgabe, die unveräußerlichen Freiheiten jedes Einzelnen durch poli-
4473 tische, rechtliche und gesellschaftliche Rahmenbedingungen umfassend zur Gel-
4474 tung zu bringen. Zugleich hat er mit seinem Gewaltmonopol Frieden und Sicher-
4475 heit zu gewährleisten. Dabei ist er rechtsstaatlichen Bindungen unterworfen, zu
4476 denen das Verbot unangemessener Grundrechtseingriffe zählt. Diese Prinzipien
4477 verwirklichen wir im Rahmen unserer föderalen Sicherheitsarchitektur. Dabei hat
4478 die konsequente Anwendung geltenden Rechts, eine gute Ausstattung der Sicher-
4479 heitsbehörden und die Beseitigung von Vollzugsdefiziten immer Vorrang vor der
4480 Erweiterung staatlicher Eingriffsbefugnisse.
4481
44821. Innere Sicherheit und Bürgerrechte
4483
4484Sicherheitsarchitektur
4485
4486 Wir werden die Erfahrungen mit der neuen Struktur der Bundespolizei nutzen, um
4487 die Bundespolizei in ihren Kernkompetenzen zu stärken. Unsere derzeitige Betei-
4488 ligung an internationalen Polizeimissionen wollen wir im Rahmen der gemeinsa-
4489 men Einsätze von Bund und Ländern verstärken und auch die erforderlichen
4490 Rahmenbedingungen für den Einsatz der Bundespolizei als Instrument ziviler Kri-
4491 senprävention verbessern.
4492
4493 Vor dem Hintergrund der Finanzkrise und ihrer finanziellen Folgelasten ist es ge-
4494 boten, mit vorhandenen Ressourcen mehr zu erreichen. Wir werden daher die be-
4495 stehenden Aufgaben und Zuständigkeiten der Sicherheitsbehörden in Bund und
4496 Ländern unter Wahrung der bewährten föderalen Sicherheitsarchitektur evaluie-
4497 ren. Dabei soll auch die Schnittstelle Zoll/Bundespolizei einbezogen werden.
4498
4499 Wir halten am Trennungsgebot zwischen Polizei und Nachrichtendiensten fest.
4500 Die bestehenden Sicherheitsdateien werden wir unter Einbeziehung der Arbeit des
4501 Gemeinsamen Internetzentrums der deutschen Sicherheitsbehörden (GIZ), des
4502 Gemeinsamen Terrorismusabwehrzentrums (GTAZ), des Gemeinsamen Analyse-
4503 und Strategiezentrums illegale Migration (GASIM) und des Kompetenz- und Servi-
4504 cezentrums Telekommunikationsüberwachung unter tatsächlichen und rechtlichen
4505 Aspekten evaluieren.
4506
4507 Mit der späteren Zielsetzung des Aufbaus einer Nationalen Küstenwache wollen
4508 wir zunächst die Kompetenzen der gegenwärtig am Küstenschutz beteiligten Bun-
4509 desbehörden zusammenführen.
4510
4511BKA-Gesetz
4512
4513 Wir sind uns mit dem Bundesverfassungsgericht einig, dass ein letzter unantast-
4514 barer Bereich menschlicher Freiheit besteht, der der Einwirkung der öffentlichen
4515 Gewalt entzogen ist. Zur besseren rechtsstaatlichen Flankierung der Maßnahmen
4516 des BKA im Rahmen der Gefahrenabwehr gegen den internationalen Terrorismus
4517 wollen wir Regelungen treffen, die den Schutz des Kernbereichs privater Lebens-
4518 gestaltung optimieren und das Maß an Grundrechtsschutz durch Verfahren erhö-
4519 hen.
4520
4521 Daher werden wir auf Grundlage der verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung
4522 das BKA-Gesetz daraufhin überprüfen, ob und inwieweit der Schutz des Kernbe-
4523 reichs privater Lebensgestaltung zu verbessern ist.
4524
4525 Wir werden im Hinblick auf die Befugnis der Ton- und Bildaufzeichnung außerhalb
4526 von Wohnungen den Kernbereichsschutz verbessern.
4527
4528 Für die Entscheidung über die Anordnung der verdeckten Ermittlungsmaßnahmen
4529 nach dem Abschnitt zur Gefahrenabwehr gegen den internationalen Terrorismus
4530 im BKA-Gesetz soll künftig ein Richter am Bundesgerichtshof durch Vermittlung
4531 des Generalbundesanwalts zuständig sein. Diese Zuständigkeit tritt an die Stelle
4532 der bisherigen Zuständigkeit des Amtsgerichts am Sitz des BKA.
4533
4534Ausbau der Sicherheitsforschung
4535
4536 Wir bauen die Forschung für die zivile Sicherheit aus, um die Sicherheit von Bür-
4537 gern, Gütern und Infrastrukturen vor Terrorismus, organisierter Kriminalität sowie
4538 Natur- und Umweltkatastrophen zu schützen. Dabei wollen wir alle relevanten Ak-
4539 teure wie etwa Forschungseinrichtungen, Universitäten und Unternehmen in
4540 Deutschland anhören und internationale Entwicklungen beachten.
4541
4542Leistungsfähiger Bevölkerungsschutz
4543
4544 Deutschland ist mit seinem Bevölkerungsschutz, der auf den Kompetenzen und
4545 Ressourcen des Bundes, der Länder, der Kommunen und Hilfsorganisationen
4546 aufbaut, gut aufgestellt. Wir werden das Technische Hilfswerk (THW) und das
4547 Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe (BBK) auf der Basis
4548 einer den aktuellen Anforderungen entsprechenden Strategie als tragende Säulen
4549 eines modernen Bevölkerungsschutzes weiterentwickeln. Dabei werden wir die
4550 Analyse-, Risikobewertungs- und Prognosekompetenz verbessern. Durch eine
4551 offensivere und modernere Risiko- und Krisenkommunikation einschließlich von
4552 Warnmechanismen wollen wir zu einer gefahrenbewussteren Bevölkerung beitra-
4553 gen.
4554
4555 Diejenigen, die sich in Feuerwehren, Hilfsorganisationen, Rettungsdiensten und im
4556 THW aufopfernd und unentgeltlich für die Sicherheit ihrer Mitmenschen einsetzen,
4557 müssen dauerhaft unterstützt werden. Sie sind Vorbilder unserer Gesellschaft.
4558
4559Zuverlässigkeitsüberprüfung von Privatpiloten
4560
4561 Wir wollen das Luftsicherheitsgesetz mit dem Ziel überprüfen, die Zuverlässig-
4562 keitsüberprüfung von Privatpiloten bei Gewährleistung eines gleichbleibenden Si-
4563 cherheitsniveaus auf ein angemessenes Maß zu reduzieren.
4564
4565Bekämpfung des politischen Extremismus
4566
4567 Gewalttätige und extremistische Formen der politischen Auseinandersetzung
4568 nehmen wir nicht hin. Extremismen jeder Art, seien es Links- oder Rechtsextre-
4569 mismus, Antisemitismus oder Islamismus, treten wir entschlossen entgegen. Die
4570 Grundwerte der pluralen Gesellschaft, insbesondere die freie Entfaltung der Per-
4571 son, Meinungs-, Presse-, Kunst- und Wissenschaftsfreiheit, sind konstitutive Werte
4572 unserer freiheitlich-demokratischen Grundordnung. Sie gilt es zu schützen und zu
4573 verteidigen.
4574
4575 Die Ursachen von Extremismus wollen wir mit einem langfristigen Engagement
4576 und einer nachhaltigen Prävention bekämpfen. Aussteigerprogramme gegen Ex-
4577 tremismus werden wir weiterentwickeln, ihre Finanzierung sicherstellen und dabei
4578 Schwerpunkte in gefährdeten Regionen setzen.
4579
4580 Die Aufgabenfelder des Fonds für Opfer rechtsextremistischer Gewalt sowie des
4581 Bündnisses für Demokratie und Toleranz sollen auf jede Form extremistischer
4582 Gewalt ausgeweitet werden.
4583
4584Waffenrecht
4585
4586 Deutschland hat schon jetzt eines der strengsten Waffengesetze der Welt. Wir
4587 sind daher einig in der Einschätzung, dass es gegenwärtig keinen weiteren Ver-
4588 änderungsbedarf im Waffenrecht gibt. Im Rahmen der bis Ende 2011 zu evaluie-
4589 renden Wirksamkeit der getroffenen Regelungen zu sicheren Aufbewahrung und
4590 zum Schutz vor unberechtigtem Zugriff soll besonders darauf geachtet werden, ob
4591 es im praktischen Vollzug unzumutbare Belastungen für die Waffenbesitzer gege-
4592 ben hat.
4593
4594Terrorcamps
4595
4596 Wir werden das Gesetz zur Verfolgung der Vorbereitung von schweren staatsge-
4597 fährdenden Gewalttaten zur Mitte der Legislaturperiode im Hinblick auf seine
4598 Wirksamkeit gegen die Bedrohungen durch den internationalen Terrorismus evalu-
4599 ieren.
4600
4601Evaluation Telekommunikationsüberwachung
4602
4603 Die Reform der Telekommunikationsüberwachung werden wir im Hinblick darauf
4604 evaluieren, ob deren Ziele erreicht wurden und welche Maßnahmen zur Optimie-
4605 rung ergriffen werden können.
4606
46072. Informations- und Mediengesellschaft
4608
4609 Das Internet ist das freiheitlichste und effizienteste Informations- und Kommunika-
4610 tionsforum der Welt und trägt maßgeblich zur Entwicklung einer globalen Gemein-
4611 schaft bei. Die Informationsgesellschaft bietet neue Entfaltungsmöglichkeiten für
4612 jeden Einzelnen ebenso wie neue Chancen für die demokratische Weiterentwick-
4613 lung unseres Gemeinwesens sowie für die wirtschaftliche Betätigung. Neue Me-
4614 dien gehören längst zum Alltag einer stetig wachsenden Zahl von Menschen.
4615 Deutschland ist längst in der Informationsgesellschaft angekommen.
4616
4617 Damit die Menschen an den neuen Chancen für Meinungs- und Informationsfrei-
4618 heit, Kommunikationsfreiheit sowie am wirtschaftlichen Leben im Internet teilhaben
4619 und die Chancen der Informationsgesellschaft nutzen können, müssen wir die
4620 Weichen stellen, um eine digitale Spaltung der Gesellschaft zu verhindern. Allen
4621 Menschen Zugang zu neuen Medien zu erleichtern, ist uns dabei ein zentrales
4622 Anliegen, sowohl im Hinblick auf die Verfügbarkeit als auch auf Barrierefreiheit
4623 und Medienkompetenz.
4624
4625 Wir werden die Anstrengungen fortsetzen, die Breitbandversorgung in Deutsch-
4626 land sowohl in der Fläche als auch in der Leistungsfähigkeit zu steigern. Die Nut-
4627 zung freiwerdender Frequenzen des Fernsehrundfunks soll dazu beitragen, kurz-
4628 fristig Versorgungslücken in der Fläche zu schließen. Der Staat wird soweit als
4629 möglich, Angebote auch in elektronischer Form bereitstellen. Ausschreibungen der
4630 Behörden sollen elektronisch bekannt gemacht werden.
4631
4632 Wir werden unsere Politik auch daran ausrichten, die gesellschaftliche Verände-
4633 rung durch Internet und neue Medien positiv zu begleiten und die Lebenswirklich-
4634 keit der Mehrheit der Menschen in Deutschland zu berücksichtigen. Dabei werden
4635 wir Innovations- und Standortpolitik, Verwaltungsmodernisierung, Teilhabe von
4636 Bürgerinnen und Bürgern und zivilgesellschaftlichen Interessengruppen sowie Da-
4637 tenschutz und Netzsicherheit in unserer Politik verbinden.
4638
4639 Wir vertrauen darauf, dass der bestehende Wettbewerb die neutrale Datenüber-
4640 mittlung im Internet und anderen neuen Medien (Netzneutralität) sicherstellt, wer-
4641 den die Entwicklung aber sorgfältig beobachten und nötigenfalls mit dem Ziel der
4642 Wahrung der Netzneutralität gegensteuern.
4643
4644 Wir bekräftigen, dass Recht und Gesetz im Internet schon heute und in Zukunft
4645 ebenso gelten wie überall sonst. Daher werden wir für mehr Datenschutz sowie
4646 durch eine Stärkung der IT-Kompetenz und entsprechend ausgebildetes Personal
4647 bei den Sicherheitsbehörden für eine Verbesserung der Anwendung des gelten-
4648 den Rechts zur Verfolgung von Kriminalität im Internet sorgen.
4649
4650 Wir werden dabei insbesondere unser Augenmerk auf Aufklärung legen. Die Sen-
4651 sibilität für den Schutz der eigenen Daten muss gestärkt, der Selbstdatenschutz
4652 erleichtert werden, um Datenmissbrauch vorzubeugen. Wir werden deshalb prü-
4653 fen, wie durch die Anpassung des Datenschutzrechts der Schutz personenbezo-
4654 gener Daten im Internet verbessert werden kann, erwarten dabei aber auch von
4655 jedem Einzelnen einen verantwortungsvollen Umgang mit seinen persönlichen
4656 Daten im Internet.
4657
4658 Betrug und Identitätsdiebstahl im Internet müssen konsequent verfolgt werden und
4659 zugleich müssen Möglichkeiten der sicheren Kommunikation mehr in den Mittel-
4660 punkt gerückt werden. Kinder und Jugendliche werden wir durch konsequente
4661 Durchsetzung des geltenden Jugendschutzrechts vor ungeeigneten Inhalten
4662 schützen.
4663
4664 Wir werden gemeinsam mit den Ländern Möglichkeiten der verbesserten Strafver-
4665 folgung in Kommunikationsnetzen wie z. B. Internetstreifen durch die Polizei,
4666 Schwerpunktstaatsanwaltschaften für Kriminalität im Internet oder erleichterte e-
4667 lektronische Kontaktaufnahme mit der Polizei anstreben. Gleichermaßen werden
4668 wir uns auf internationaler Ebene für Lösungen stark machen, um Kinderporno-
4669 graphie sowie Kriminalität allgemein im Internet besser bekämpfen zu können.
4670
4671 In der Informationsgesellschaft liegen große Chancen auch für die öffentliche
4672 Verwaltung. Wir werden daher E-Government weiter fördern und dazu wo und so-
4673 weit notwendig, rechtliche Regelungen anpassen (E-Government-Gesetz). Be-
4674 sonderes Augenmerk werden wir dabei auf die Schaffung der Voraussetzungen
4675 für sichere Kommunikation zwischen Bürgerinnen und Bürgen sowie Unternehmen
4676 mit der Verwaltung legen.
4677
4678 Die in der EU-Dienstleistungsrichtlinie vorgesehenen elektronischen Kommunika-
4679 tionsmöglichkeiten mit Behörden sehen wir als große Chance für einen Moderni-
4680 sierungsschub in der Verwaltung an. Wir werden so schnell als möglich die Vor-
4681 aussetzungen im Verwaltungsverfahrensrecht schaffen, um rechtsverbindliche
4682 elektronische Kommunikation im Verwaltungsverfahren zu gewährleisten.
4683
4684 Dabei setzen wir mit Blick auf eine verbesserte Akzeptanz bei den Bürgerinnen
4685 und Bürgern auf die anwenderfreundliche Weiterentwicklung am Markt entwickel-
4686 ter sicherer elektronischer Kommunikation und Identifikation in neuen Medien. Da-
4687 bei kann der freiwillige Identitätsnachweis mit dem elektronischen Personalaus-
4688 weis eine Möglichkeit darstellen.
4689
4690 Wir werden ein De-Mail-Gesetz verabschieden und dabei die Erfahrungen aus
4691 dem Pilotprojekt und die Stellungnahmen der Datenschutzbeauftragten des Bun-
4692 des und der Länder berücksichtigen. Hierdurch wollen wir den Unternehmen die
4693 Möglichkeit geben, Geschäftsprozesse elektronisch abzuwickeln.
4694
4695 Bei eGovernment-Projekten sind Datenschutz und Datensparsamkeit wichtige Be-
4696 standteile jedes Vorhabens.
4697
4698 Die Informationstechnik des Bundes bedarf der Konzentration, Standardisierung
4699 und Effizienzsteigerung sowie Bündelung vorhandener Ressourcen. Wir werden
4700 hierzu den Beauftragten der Bundesregierung für Informationstechnik stärken. Wir
4701 prüfen, wie die IT des Bundes sich zukünftig an offenen Standards orientieren und
4702 dabei auch Open-Source-Lösungen berücksichtigen kann.
4703
4704 Wir werden uns für eine Stärkung der IT-Sicherheit im öffentlichen und nicht-
4705 öffentlichen Bereich einsetzen, um vor allem kritische IT-Systeme vor Angriffen zu
4706 schützen. Hierzu wollen wir insbesondere durch Aufklärung und Sensibilisierung
4707 der Öffentlichkeit die Menschen zu mehr Selbstschutz und die Nutzung sicherer
4708 IT-Produkte anzuregen. Da Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik
4709 werden wir mit dieser Zielrichtung stärken.
4710
4711 Die Risiken der Digitalisierung, die es ermöglicht, quasi auf Knopfdruck Daten zu-
4712 sammenzuführen und durch die Auswertung digitaler Spuren umfassende Persön-
4713 lichkeitsprofile zu bilden, dürfen nicht durch staatliches Handeln verstärkt werden.
4714 Wir werden daher das vom Bundesverfassungsgericht formulierte Recht auf die
4715 Gewährleistung der Vertraulichkeit und Integrität informationstechnischer Systeme
4716 bei der gesetzlichen Ausgestaltung der IT beachten. Wir lehnen eine generelle
4717 Überwachung des Internetdatenverkehrs ab.
4718
4719 Eine vertrauenswürdige, leistungsfähige und sichere Informations- und Kommuni-
4720 kationstechnik ist für unser Hochtechnologieland und den Wirtschaftsstandort
4721 Deutschland unverzichtbar. Wir werden die IT gegen innere und äußere Gefahren
4722 schützen, um die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit und administrative Handlungs-
4723 fähigkeit zu erhalten.
4724
4725 Daher werden wir ein besonderes Augenmerk auf die Abwehr von IT-Angriffen
4726 richten und hierfür Kompetenzen in der Bundesverwaltung beim Beauftragten der
4727 Bundesregierung für Informationstechnik bündeln. Zu seiner Unterstützung wer-
4728 den wir das Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik als zentrale Cy-
4729 ber-Sicherheitsbehörde weiter ausbauen, um insbesondere auch die Abwehr von
4730 IT-Angriffen koordinieren zu können.
4731
4732 Dabei werden wir auch eng mit der Internet- und Kommunikationswirtschaft zu-
4733 sammenarbeiten. Wir werden die Haftung von System- und Diensteanbietern für
4734 die IT-Sicherheit ihrer Angebote anpassen, um einer unbilligen Abwälzung von IT-
4735 Risiken auf die Endanwender vorzubeugen.
4736
4737 Der energieeffiziente Einsatz von IT ist ein wichtiger Beitrag zur Bekämpfung des
4738 Klimawandels. Wir werden daher bei allen IT-Vorhaben des Bundes verantwor-
4739 tungsbewusst mit den natürlichen Ressourcen umgehen und den durch den IT-
4740 Betrieb verursachten Energieverbrauch in der Bundesverwaltung reduzieren. Wir
4741 wollen die enormen Chancen der Informations- und Kommunikationstechnologie
4742 für Wirtschaft und Gesellschaft nutzen. Dazu werden wir die IKT-Forschung stär-
4743 ken. Wir werden eine Strategie im Bereich der IKT und digitalen Medien entwer-
4744 fen.
4745
4746 Wir werden die Regelungen zur Verantwortlichkeit im Telemediengesetz fortentwi-
4747 ckeln. Es gilt auch zukünftig einen fairen Ausgleich der berechtigten Interessen
4748 der Diensteanbieter, der Rechteinhaber und der Verbraucher zu gewährleisten.
4749
4750 Die Fähigkeit zur Integration von IKT in Produkte und Prozesse ist für die deut-
4751 sche Wirtschaft in allen Branchen von strategischer Bedeutung. Wir werden die
4752 Potentiale der IKT bei der Lösung der gesellschaftlichen Herausforderungen Ge-
4753 sundheit, Energieeffizienz / Klimaschutz, Sicherheit und Mobilität konsequent ein-
4754 setzen. Wir werden das Internet der Zukunft und die Telemedien auf der Basis
4755 unseres Rechts- und Wertesystems weiter ausgestalten. Technische und rechtli-
4756 che Aspekte werden so frühzeitig zusammengebracht, dass Informationsfreiheit
4757 und Schutz vor rechtswidrigen Inhalten gleichermaßen berücksichtigt werden.
4758
4759Urheberrecht
4760
4761 Das Urheberrecht hat in der modernden Medien- und Informationsgesellschaft
4762 eine Schlüsselfunktion. Wir werden das Urheberrecht deshalb entschlossen wei-
4763 terentwickeln, mit dem Ziel ein hohes Schutzniveau und eine wirksame Durch-
4764 setzbarkeit des Urheberrechts zu gewährleisten. Um dieses Ziel zu erreichen,
4765 werden wir zügig die Arbeit an einem Dritten Gesetz zur Regelung des Urheber-
4766 rechts in der Informationsgesellschaft ("Dritter Korb") aufnehmen.
4767
4768 Das Internet darf kein urheberrechtsfreier Raum sein. Wir werden deshalb unter
4769 Wahrung des Datenschutzes bessere und wirksame Instrumente zur konsequen-
4770 ten Bekämpfung von Urheberrechtsverletzungen im Internet schaffen. Dabei wol-
4771 len wir Möglichkeiten der Selbstregulierung unter Beteiligung von Rechteinhabern
4772 und Internetserviceprovidern fördern. Wir werden keine Initiativen für gesetzliche
4773 Internetsperren bei Urheberrechtsverletzungen ergreifen.
4774
4775 Verlage sollen im Online-Bereich nicht schlechter gestellt sein als andere Werk-
4776 vermittler. Wir streben deshalb die Schaffung eines Leistungsschutzrechts für
4777 Presseverlage zur Verbesserung des Schutzes von Presseerzeugnissen im Inter-
4778 net an.
4779
4780 Das System der Rechtewahrnehmung durch Verwertungsgesellschaften mit effi-
4781 zienten und transparenten Strukturen hat sich bewährt. Wir wollen, dass die euro-
4782 paweite Lizenzierung durch Verwertungsgesellschaften in Bezug auf Online-
4783 Nutzungen erleichtert wird. Wir werden uns deshalb für die Schaffung eines euro-
4784 päischen Wahrnehmungsrechts einsetzen.
4785
4786 Der Schutz durch das Urheberrecht ist eine notwendige Voraussetzung für die
4787 Schaffung und für die Verwertung kreativer Leistungen. Wir wollen deshalb Maß-
4788 nahmen unterstützen, die das gesellschaftliche Verständnis für die Bedeutung des
4789 Urheberrechts und den Respekt vor fremdem geistigem Eigentum fördern.
4790
4791 Wir setzen uns für die Schaffung eines europäischen Rechtsrahmens für die Verwer-
4792 tungsgesellschaften ein, der eine transparente und europaweite Lizenzierung ge-
4793 währleistet und die kulturelle Vielfalt schützt.
4794
4795Schnelles Internet für ganz Deutschland
4796
4797 Eine flächendeckende Breitbandversorgung gehört für uns zur Daseinsvorsorge.
4798 Moderne Kommunikationsnetze schaffen verstärkten Zugang zu Informationen
4799 und damit mehr wirtschaftliches Wachstum und Lebensqualität. Für die Entwick-
4800 lung von Industrienationen sind sie daher entscheidend. Wettbewerb, Regulierung
4801 und Kooperation sind die maßgeblichen Säulen für eine zügige Umsetzung der
4802 Breitbandstrategie.
4803
4804 Um die bislang noch nicht versorgten ländlichen Gebiete Deutschlands flächende-
4805 ckend mit leistungsfähigem Breitband zu erschließen und gleichzeitig den Ausbau
4806 von Hochgeschwindigkeitsnetzen zu beschleunigen, werden wir folgende Maß-
4807 nahmen ergreifen:
4808 - Wir werden rasch ein Monitoring zum Umsetzungsstand der Breitbandstrategie
4809 einleiten und im Lichte des bisher Erreichten alle Möglichkeiten unter Einbe-
4810 ziehung investitionsfreundlicher Regulierungsinstrumente ausschöpfen, um die
4811 Ziele einer flächendeckenden und hochleistungsfähigen Breitbandversorgung
4812 in einem nachhaltig wettbewerblichen Umfeld und im Technologiemix zu errei-
4813 chen und Synergien beim Infrastrukturaufbau bestmöglich zu nutzen.
4814 - Wir werden den neuen EU-Rechtsrahmen im Telekommunikationsgesetz rasch
4815 innovations- und investitionsfreundlich umsetzen und so die Breitbandstrategie
4816 unterstützen. Dabei werden wir den EU-Rechtsrahmen fortlaufend überprüfen.
4817 - Wir werden die Maßnahmen von Bund und Ländern für den Breitbandausbau
4818 enger miteinander verzahnen. Zusammen mit den Ländern werden wir den von
4819 der EU-Kommission eröffneten und künftigen Rahmen für eine Breitbandförde-
4820 rung praxistauglich und unbürokratisch umsetzen.
4821 - Wir werden alle möglichen Synergien beim Infrastrukturausbau für Breitband
4822 nutzen und dabei auch neue planungsrechtliche Instrumente zur schnellen
4823 Umsetzung prüfen.
4824 - Wir werden uns in einem branchenübergreifenden Dialog, insbesondere unter
4825 Einbindung der Energienetzbetreiber, für verstärkte Anstrengungen beim Auf-
4826 bau von hochleistungsfähigen Breitbandnetzen engagieren.
4827 - Die Frequenzen werden jetzt zügig versteigert, damit in ländlichen Gebieten
4828 rasch und kostengünstig eine Breitbandversorgung gewährleistet werden kann.
4829
4830Internetsperren
4831
4832 Die Bekämpfung von Kindesmissbrauch und Kinderpornographie ist für uns von
4833 herausragender Bedeutung. Kinderpornographische Angebote in Kommunikati-
4834 onsnetzen müssen mit aller Kraft bekämpft werden. Die dauerhafte wirksame Be-
4835 kämpfung des Missbrauchs von Kindern ist politische Verantwortung und rechts-
4836 staatliches Gebot zugleich.
4837
4838 Wir sind uns darüber einig, dass es notwendig ist, derartige kriminelle Angebote
4839 schnellstmöglich zu löschen statt diese zu sperren. Wir werden daher zunächst für
4840 ein Jahr kinderpornographische Inhalte auf der Grundlage des Zugangserschwe-
4841 rungsgesetzes nicht sperren. Stattdessen werden die Polizeibehörden in enger
4842 Zusammenarbeit mit den Selbstregulierungskräften der Internetwirtschaft wie der
4843 deutschen Internetbeschwerdestelle sowie dem Providernetzwerk INHOPE die
4844 Löschung kinderpornographischer Seiten betreiben.
4845
4846 Nach einem Jahr werden wir dies im Hinblick auf Erfolg und Wirksamkeit evaluie-
4847 ren und aufgrund der gewonnenen Erkenntnisse ergebnisoffen eine Neubewer-
4848 tung vornehmen. Vor Abschluss der Neubewertung werden weder nach dem Zu-
4849 gangserschwerungsgesetz noch auf Grundlage der zwischen den Providern und
4850 BKA abgeschlossenen Verträgen über Internetsperren Sperrlisten des BKA ge-
4851 führt oder Providern übermittelt.
4852
4853Dynamische Dienstleistungen
4854
4855 Die Medien- und Kommunikationsordnung muss gemeinsam mit den Ländern weiter
4856 an die veränderten technischen und wirtschaftlichen Gegebenheiten angepasst wer-
4857 den. Wir unterstützen die Bemühungen der Länder, die Finanzierung des öffentlich-
4858 rechtlichen Rundfunks auf eine zukunftsfähige Grundlage zu stellen.
4859
4860 Im Interesse der Erhaltung der Meinungs- und Pressevielfalt sind das Medienkon-
4861 zentrations- und das Pressekartellrecht zu überprüfen. Das Presse-Grosso bleibt ein
4862 unverzichtbarer Teil unserer Medienordnung.
4863
48643. Datenschutz
4865
4866 Ein moderner Datenschutz ist gerade in der heutigen Informationsgesellschaft von
4867 besonderer Bedeutung. Wir wollen ein hohes Datenschutzniveau. Die Grundsätze
4868 der Verhältnismäßigkeit, der Datensicherheit und -sparsamkeit, der Zweckbindung
4869 und der Transparenz wollen wir im öffentlichen und privaten Bereich noch stärker
4870 zur Geltung bringen. Hierzu werden wir das Bundesdatenschutzgesetz unter Be-
4871 rücksichtigung der europäischen Rechtsentwicklung lesbarer und verständlicher
4872 machen sowie zukunftsfest und technikneutral ausgestalten. Die Einwilligung ist
4873 eine wesentliche Säule des informationellen Selbstbestimmungsrechts. Ziel der
4874 Reform muss daher auch sein, verbesserte Rahmenbedingungen für informierte
4875 und freie Einwilligungen zu schaffen. Dazu sollen Informationspflichten erweitert
4876 und der Freiwilligkeit der Einwilligung größere Bedeutung beigemessen werden.
4877
4878 Darüber hinaus werden wir eine Stiftung Datenschutz errichten, die den Auftrag
4879 hat, Produkte und Dienstleistungen auf Datenschutzfreundlichkeit zu prüfen, Bil-
4880 dung im Bereich des Datenschutzes zu stärken, den Selbstdatenschutz durch
4881 Aufklärung zu verbessern und ein Datenschutzaudit zu entwickeln. Wir sind über-
4882 zeugt, dass mit dieser Lösung auch der Technologiestandort Deutschland gestärkt
4883 wird, wenn datenschutzfreundliche Technik aus Deutschland mit geprüfter Qualität
4884 weltweit vertrieben werden kann.
4885
4886 Wir werden beim Bundesbeauftragten für den Datenschutz und die Informations-
4887 freiheit die personelle und sächliche Ausstattung verbessern. Die Unabhängigkeit
4888 der Datenschutzaufsicht steht für uns dabei im Mittelpunkt.
4889
4890 Auch der Einzelne trägt Verantwortung für seine persönlichen Daten. Wir wollen
4891 deshalb die Sensibilität und Selbstverantwortung der Bürgerinnen und Bürger für
4892 ihre eigenen Daten stärken.
4893
4894Vorratsdatenspeicherung
4895
4896 Wir werden den Zugriff der Bundesbehörden auf die gespeicherten Vorratsdaten
4897 der Telekommunikationsunternehmen bis zur Entscheidung des Bundesverfas-
4898 sungsgerichts über die Verfassungsmäßigkeit der Vorratsdatenspeicherung aus-
4899 setzen und bis dahin auf Zugriffe zur Abwehr einer konkreten Gefahr für Leib, Le-
4900 ben und Freiheit beschränken.
4901
4902Arbeitnehmerdatenschutz
4903
4904 Privatheit ist der Kern persönlicher Freiheit. Wir setzen uns für eine Verbesserung
4905 des Arbeitnehmerdatenschutzes ein und wollen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter
4906 vor Bespitzelungen an ihrem Arbeitsplatz wirksam schützen. Es dürfen nur solche
4907 Daten verarbeitet werden, die für das Arbeitsverhältnis erforderlich sind. Daten-
4908 verarbeitungen, die sich beispielsweise auf für das Arbeitsverhältnis nicht relevan-
4909 tes außerdienstliches Verhalten oder auf nicht dienstrelevante Gesundheitszu-
4910 stände beziehen, müssen zukünftig ausgeschlossen sein. Es sollen praxisgerech-
4911 te Regelungen für Bewerber und Arbeitnehmer geschaffen und gleichzeitig Arbeit-
4912 gebern eine verlässliche Regelung für den Kampf gegen Korruption an die Hand
4913 gegeben werden. Hierzu werden wir den Arbeitnehmerdatenschutz in einem eige-
4914 nen Kapitel im Bundesdatenschutzgesetz ausgestalten.
4915
4916Fluggastdaten
4917
4918 Für den Fall eines EU-Rechtsakts über die Verwendung von Fluggastdatensätze
4919 (PNR-Daten) kann das Abkommen zwischen der EU und den USA wegen der un-
4920 terschiedlichen Rahmenbedingungen nicht als Maßstab dienen. Wir streben an, in
4921 den Verhandlungen auf EU-Ebene ein höheres Datenschutzniveau zu vereinba-
4922 ren.
4923SWIFT-Abkommen
4924
4925 Bei den Verhandlungen zum SWIFT-Abkommen werden wir uns für ein hohes Da-
4926 tenschutzniveau (strikte Zweckbindung, Löschung der Daten, klare Regelungen
4927 bezüglich Weitergabe an Drittstaaten) und einen effektiven Rechtsschutz einset-
4928 zen. Ein automatisierter Zugriff auf SWIFT von außen ist auszuschließen. Die Ü-
4929 bermittlung der Daten wird an Tatbestandsvoraussetzungen geknüpft und auf-
4930 grund einer Bedrohungs- und Gefährdungsanalyse eingegrenzt. Die Menge der zu
4931 übermittelnden Daten ist möglichst gering zu halten. Das Abkommen ist unter Ra-
4932 tifizierungsvorbehalt zu stellen.
4933
49344. Rechtspolitik
4935
4936Verstärkter Schutz von Berufsgeheimnisträgern
4937
4938 In § 160a StPO gibt es derzeit eine Differenzierung nach verschiedenen Berufs-
4939 geheimnisträgern. Diese beseitigen wir im Bereich der Anwälte, die wir als einheit-
4940 liches Organ der Rechtspflege betrachten. Im Übrigen werden wir gemeinsam prü-
4941 fen, ob die Einbeziehung weiterer Berufsgeheimnisträger in den absoluten Schutz
4942 des § 160a Absatz 1 StPO angezeigt und im Hinblick auf die Durchsetzung des
4943 Strafverfolgungsanspruches des Staates vertretbar ist.
4944
4945Kronzeugenregelung
4946
4947 Wir wollen die Kronzeugenregelung im Strafgesetzbuch so ausgestalten, dass die
4948 Möglichkeit der Strafmilderung nur dann eröffnet werden kann, wenn die Offenba-
4949 rung des Täters im Zusammenhang mit seiner eigenen Straftat steht.
4950
4951Sicherungsverwahrung
4952
4953 Wir wollen eine Harmonisierung der gesetzlichen Anordnungsvoraussetzungen
4954 der Sicherungsverwahrung im Strafgesetzbuch, die rechtsstaatlich und europa-
4955 rechtskonform ist. Dabei wollen wir Schutzlücken im geltenden Recht, wie sie bei
4956 Strafverfahren in jüngster Zeit aufgetreten sind, schließen. Bei der gesetzlichen
4957 Regelung werden wir darauf achten, dass die Sicherungsverwahrung unter Be-
4958 rücksichtigung des notwendigen Schutzes der Bevölkerung ihren Ausnahmecha-
4959 rakter behält und auf schwerste Fälle beschränkt bleibt.
4960
4961Pressefreiheit
4962
4963 Wir stärken die Pressefreiheit. Dazu werden wir insbesondere im Strafgesetzbuch
4964 sicherstellen, dass sich Journalisten künftig nicht mehr der Beihilfe zur Verletzung
4965 eines Dienstgeheimnisses strafbar machen, wenn sie ihnen vertraulich zugeleite-
4966 tes Material veröffentlichen. Darüber hinaus stärken wir den Beschlagnahme-
4967 schutz für Journalisten. Künftig wird eine Beschlagnahme nur noch bei einem
4968 dringenden Tatverdacht gegen den Journalisten möglich sein.
4969
4970Bekämpfung von Menschenhandels und Zwangsverheiratung
4971
4972 Wir wollen die gesetzlichen Rahmenbedingungen für Opfer von Menschenhandel
4973 und Zwangsverheiratung verbessern. Zwangsverheiratung ist eine Verletzung un-
4974 seres freiheitlich-demokratischen Werteverständnisses und eine eklatante Men-
4975 schenrechtsverletzung. Im Kampf gegen Zwangsehen werden wir einen eigen-
4976 ständigen Straftatbestand für Zwangsheirat einführen. Die zivil- und aufenthalts-
4977 rechtlichen Nachteile aus solchen Straftaten werden wir unter dem Gesichtspunkt
4978 des Opferschutzes beseitigen (insbesondere Rückkehrrecht) und die Beratungs-,
4979 Betreuungs- und Schutzangebote verbessern.
4980
4981§ 153 a StPO - Verfahrenseinstellung
4982
4983 Wir werden die Möglichkeit der Einstellung eines Strafverfahrens unter Auflagen nach
4984 § 153 a StPO auch auf die Revisionsinstanz ausweiten.
4985
4986Sterbehilfe
4987
4988 Die gewerbsmäßige Vermittlung von Gelegenheiten zur Selbsttötung werden wir
4989 unter Strafe stellen.
4990
4991Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte
4992
4993 Polizeibeamte und andere Personen, die öffentliche Aufgaben wahrnehmen, wer-
4994 den immer häufiger Ziel brutaler gewalttätiger Angriffe. Wir wollen ihren strafrecht-
4995 lichen Schutz - insbesondere durch eine Neufassung des § 113 Abs. 2 StGB -
4996 verbessern.
4997
4998Änderungen im Wiederaufnahmerecht
4999
5000 Wir prüfen, inwieweit bei schwersten Verbrechen (Mord, Völkermord) eine Wie-
5001 deraufnahme im Strafverfahren zu Ungunsten des Angeklagten in solchen Fällen
5002 verfassungsrechtlich möglich ist, in denen aufgrund neuer wissenschaftlicher Un-
5003 tersuchungsmethoden (DNA-Analyse) nachträglich der Nachweis der Täterschaft
5004 geführt werden kann.
5005
5006Erscheinenspflicht von Zeugen vor der Polizei
5007
5008 Wir werden eine gesetzliche Verpflichtung schaffen, wonach Zeugen im Ermitt-
5009 lungsverfahren nicht nur vor dem Richter und dem Staatsanwalt, sondern auch vor
5010 der Polizei erscheinen und - unbeschadet gesetzlicher Zeugenrechte - zur Sache
5011 aussagen müssen.
5012
5013Reform des Transsexuellenrechts
5014
5015 Das geltende Transsexuellengesetz ist in seinen wesentlichen Grundzügen inzwi-
5016 schen fast dreißig Jahre alt. Es entspricht nicht mehr in jeder Hinsicht aktuellen
5017 medizinisch-wissenschaftlichen Erkenntnissen. Wir werden das Transsexuellen-
5018 gesetz deshalb unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des Bundesverfas-
5019 sungsgerichts auf eine neue zeitgemäße Grundlage stellen, um den betroffenen
5020 Menschen ein freies und selbstbestimmtes Leben zu ermöglichen.
5021
5022Enteignungen in der SBZ (1945-49)
5023
5024 Wir werden eine Arbeitsgruppe bilden, die im Hinblick auf die Enteignungen in der
5025 SBZ von 1945 bis 1949 prüfen soll, ob es noch Möglichkeiten gibt, Grundstücke,
5026 die sich im Eigentum der öffentlichen Hand befinden, den Betroffenen zum bevor-
5027 zugten Erwerb anzubieten.
5028
5029Europäische Privatgesellschaft / Rechtsexport
5030
5031 Die Schaffung eines Statuts für eine Europäische Privatgesellschaft fördern wir im
5032 Interesse mittelständischer Unternehmen. Der grenzüberschreitender Charakter
5033 und Gläubigerschutzvorschriften, wie ein ausreichendes Mindeststammkapital,
5034 werden berücksichtigt.
5035 Die deutsche Rechtsordnung ist ein internationaler Standortvorteil der Bundesre-
5036 publik. Wir wollen deren Vorzüge, auch gegenüber den anglo-amerikanischen
5037 Rechtsordnungen, auf internationaler Ebene deutlich herausstellen. Dabei kann
5038 die Stiftung für internationale rechtliche Zusammenarbeit hilfreich sein.
5039
5040Europäisches Vertragsrecht
5041
5042 Wir lehnen die Schaffung eines einheitlichen europäischen Vertragsrechts ab. Das
5043 Grundprinzip der Rechtswahlfreiheit darf in Europa nicht aufgegeben werden. Um
5044 Rechtssicherheit für die Bürgerinnen und Bürger zu schaffen, brauchen wir ver-
5045 lässliche Rahmenbedingungen für grenzüberschreitende Sachverhalte, insbeson-
5046 dere im Familien- und Erbrecht. Die Einführung von Sammelklagen national und
5047 europaweit lehnen wir ab.
5048
5049Schutz des geistigen Eigentums
5050
5051 Innovationen und Erfindungen sind für die volkswirtschaftliche Entwicklung unsres
5052 an Rohstoffen armen Landes, für die internationale Wettbewerbsfähigkeit unseres
5053 Landes und für den Schutz von Arbeitsplätzen in Deutschland von zentraler Be-
5054 deutung. Wir wollen deshalb den rechtlichen Rahmen für einen wirksamen Schutz
5055 des geistigen Eigentums durch Patente, Marken und Muster weiter stärken und
5056 den Zugang zu Schutzrechten für den Mittelstand erleichtern. Wir werden uns
5057 auch auf europäischer und internationaler Ebene für wirksame Maßnahmen gegen
5058 die weltweite Marken- und Produktpiraterie einsetzen.
5059
5060Juristenausbildung
5061
5062 Der Bologna-Prozess stellt die Juristenausbildung in Deutschland vor besondere
5063 Probleme. Der hohe Qualitätsstandard der Ausbildung, wissenschaftliche Tiefe,
5064 thematische Vielfalt und Praxisorientierung müssen auch künftig Maßstab für die
5065 Studienabschlüsse sein.
5066
5067Mietrecht
5068
5069 Wir wollen das Mietrecht auf seine Ausgewogenheit hin überprüfen und dabei sei-
5070 nen sozialen Charakter wahren. Wir wollen klima- und umweltfreundliche Sanie-
5071 rungen erleichtern und dabei die freie Entscheidung des Vermieters beibehalten.
5072 Baumaßnahmen, die diesem Zweck dienen, sind zu dulden und berechtigen nicht
5073 zur Mietminderung. Mietnomadentum sowie Luxussanierungen zum Zwecke der
5074 Entmietung werden wir wirksam begegnen. Die Kündigungsfristen für Vermieter
5075 und Mieter sollen einheitlich sein. Mietrechtliche Ansprüche müssen auch wirksam
5076 vollstreckt werden können. Zweckgebundene staatliche Transferleistungen zu den
5077 Wohnkosten müssen auch tatsächlich den Vermieter erreichen.
5078
5079Prozesskosten- und Beratungshilferecht
5080
5081 Wir werden prüfen, inwieweit das Prozesskostenhilfe- und Beratungshilferecht re-
5082 formiert werden kann, insbesondere mit dem Ziel, der missbräuchlichen Inan-
5083 spruchnahme entgegen zu wirken. Dabei werden wir sicherstellen, dass der Zu-
5084 gang zum Recht auch künftig allen Bürgerinnen und Bürgern unabhängig von Ein-
5085 künften und Vermögen eröffnet ist.
5086
5087Untersuchungsausschussrecht
5088
5089 Wir sind uns einig, Überlegungen zur Reform des Gesetzes zur Regelung des
5090 Rechts der Untersuchungsausschüsse des Deutschen Bundestags aufzugreifen.
5091
5092Grundgesetz-Änderungen
5093
5094 Die Koalition wird Gespräche über etwaige Änderungen des Grundgesetzes mit
5095 den anderen Fraktionen im Deutschen Bundestag sowie den Ländern aufnehmen.
5096
50975. Moderner Staat
5098
5099 Die öffentliche Verwaltung in Deutschland steht für Rechtssicherheit und Zuver-
5100 lässigkeit. Wir werden die Modernisierung der Bundesverwaltung weiter vorantrei-
5101 ben, für mehr Transparenz, Bürgernähe und Servicequalität.
5102
5103 Leistungsvergleiche nach Art. 91d GG müssen zu einem Instrument der Verwal-
5104 tungsentwicklung werden. Ein jährliches Arbeitsprogramm soll die Bereiche von
5105 Leistungsvergleichen festlegen.
5106
5107 Die einheitliche Behördenrufnummer 115 verbessert den Service für alle Bürgerin-
5108 nen und Bürger. Bis 2011 werden alle Bundesbehörden hieran angeschlossen
5109 sein, bis Ende 2013 soll 115 für ganz Deutschland zur Verfügung stehen.
5110
5111Melderecht
5112
5113 Wir werden den Auftrag aus der Föderalismuskommission I, das geltende Rah-
5114 menrecht durch eine Regelung in der ausschließlichen Gesetzgebungskompetenz
5115 des Bundes abzulösen, durch ein Bundesmeldegesetz erfüllen. Darin werden wir
5116 das Melderecht harmonisieren und die Zustimmung der Vermieter bei der Anmel-
5117 dung von Mietern wieder einführen.
5118
5119Bürgerbeteiligung
5120
5121 Wir wollen die Mitwirkungsmöglichkeiten der Bevölkerung an der demokratischen
5122 Willensbildung stärken. Dazu werden wir das Petitionswesen weiterentwickeln und
5123 verbessern. Bei Massenpetitionen werden wir über das im Petitionsausschuss be-
5124 stehende Anhörungsrecht hinaus eine Behandlung des Anliegens im Plenum des
5125 Deutschen Bundestags unter Beteiligung der zuständigen Ausschüsse vorsehen.
5126
5127Leistungsfähigkeit des öffentlichen Dienstes
5128
5129 Der öffentliche Dienst hat für die Funktionsfähigkeit und Leistungsfähigkeit des
5130 Staates eine Schlüsselfunktion. Wesentlicher Garant dieser Aufgabenerfüllung ist
5131 das Berufsbeamtentum. Wir werden das Beamtenrecht entsprechend dem Verfas-
5132 sungsgebot fortentwickeln und an veränderte Rahmenbedingungen anpassen.
5133
5134 Wir werden zudem ein Konzept zur langfristigen Anpassung der Personalstruktu-
5135 ren im Bund an die demographisch bedingten Veränderungen vorlegen. Dazu ge-
5136 hören angesichts der zu erwartenden Folgen des demographischen Wandels auch
5137 Maßnahmen zur Berücksichtigung der besonderen Belange älterer Beschäftigter,
5138 z. B. durch eine Flexibilisierung des Ruhestandseintritts, und der Erhalt der Kon-
5139 kurrenzfähigkeit im Hinblick auf den Wettbewerb des Bundes mit anderen Dienst-
5140 herren und der Wirtschaft um Nachwuchskräfte. Hierzu erforderlich sind attraktive
5141 Beschäftigungsbedingungen einschließlich der Möglichkeit zu regional-, arbeits-
5142 markt- und aufgabenbezogenen Differenzierungen.
5143
5144 Wir wollen die Ausgewogenheit von Rechten und Pflichten von Eingetragenen Le-
5145 benspartnerschaften verbessern. Dazu werden wir die familien- und ehebezoge-
5146 nen Regelungen über Besoldung, Versorgung und Beihilfe auf Lebenspartner-
5147 schaften übertragen.
5148
5149 Die Auswirkungen der Föderalismusreform auf die Beschäftigungsbedingungen
5150 der Beamtinnen und Beamten in Bund und Ländern werden wir mit dem Ziel im
5151 Auge behalten, ein zu starkes Auseinanderfallen zu verhindern.
5152
5153 Wir bekennen uns zum Bonn-Berlin-Gesetz, insbesondere zu den kulturellen Ver-
5154 pflichtungen des Bundes.
5155
5156Gerichtsvollzieher
5157
5158 Wir wollen die Effizienz der Zwangsvollstreckung steigern und Gläubigerrechte
5159 stärken. Dazu werden wir die Aufgaben der Gerichtsvollzieher auf Beliehene über-
5160 tragen.
5161
5162Aufgabenübertragung auf Notare
5163
5164 Als Beitrag zur Effizienzsteigerung und Entlastung der Justiz werden wir eine Ü-
5165 bertragung der Aufgaben der Nachlassgerichte erster Instanz auf die Notare durch
5166 die Länder ermöglichen.
5167
5168Zusammenlegung Sozial- und Verwaltungsgerichte
5169
5170 Um den Mitteleinsatz der Justiz effizienter gestalten zu können, eröffnen wir den
5171 Ländern die Möglichkeit, ihre Verwaltungs- und Sozialgerichte unter Wahrung der
5172 richterlichen Unabhängigkeit zu einheitlichen Fachgerichten zusammenzuführen.
5173Staatshaftungsrecht
5174
5175 Wir wollen das Staatshaftungsrecht kodifizieren und gerecht ausgestalten.
5176
5177Einrichtung eines zentralen Testamentsregisters
5178
5179 Mit dem Ziel einer Modernisierung des Mitteilungswesens in Nachlasssachen wer-
5180 den wir die gesetzlichen Voraussetzungen für die Einrichtung eines durch Gebüh-
5181 ren finanzierten Zentralen Testamentsregisters bei der Bundesnotarkammer
5182 schaffen. Dabei stellen wir sicher, dass den Erfordernissen des Datenschutzes
5183 Rechnung getragen wird und Auskunft aus dem Register nur Gerichte oder Notare
5184 - diese bei Darlegung eines berechtigten Interesses - erhalten können.
5185
5186Kommunalpolitik
5187
5188 Wir wollen in Deutschland starke Kommunen. Unsere Städte, Gemeinden und
5189 Landkreise stehen heute vor vielfältigen Herausforderungen im Bereich von De-
5190 mographie, Integration, Umwelt und Wirtschaft.
5191
5192 Die kommunale Selbstverwaltung ist ein hohes Gut. Wir setzen uns für leistungs-
5193 fähige Städte, Gemeinden und Gemeindeverbände ein, um die vielfältigen Aufga-
5194 ben auch in Zukunft sicherzustellen. Zusammen mit den kommunalen Spitzenver-
5195 bänden werden wir nach Wegen suchen, Entlastungen für die Kommunen, z. B.
5196 Flexibilisierung von Standards und Gleichstellung bei gesamtstaatlichen Aufga-
5197 ben, und Erweiterungen des kommunalen Handlungsspielraums zu identifizieren.
5198 Wir wollen, dass die Bürger sich in ihrer Heimat wohl fühlen.
5199
5200 Die Folgen der Wirtschafts- und Finanzkrise haben die Leistungsfähigkeit vieler
5201 Kommunen strapaziert und Fragen nach der Güte kommunaler Leistungsfähigkeit
5202 aufgeworfen. Wir beabsichtigen, den Ländern vorschlagen, eine gemeinsame Be-
5203 standsaufnahme zu erarbeiten und Handlungsempfehlungen zur Stärkung der
5204 kommunalen Selbstverwaltung vorzulegen. Dabei sind auch Fragen der Finanzbe-
5205 ziehungen zwischen Bund, Ländern und Gemeinden (Konnexitätsprinzip) und der
5206 Beteiligung der Kommunen an der Gesetzgebung des Bundes einzubeziehen, e-
5207 benso der Anschluss des ländlichen Raums an die Breitbandversorgung.
5208
5209Transparenz kommunaler Gesellschaften
5210
5211 Entscheidungen kommunaler Gesellschaften müssen transparent sein. Hierzu
5212 muss der Grundsatz der Öffentlichkeit bei kommunalen Entscheidungen im Rah-
5213 men der Abwägung mit der gesellschaftsrechtlichen Verschwiegenheitspflicht ein
5214 deutlich höheres Gewicht als bisher erhalten.
5215
5216

V. SICHERER FRIEDEN

5217Durch Partnerschaft und Verantwortung in Europa und der Welt
5218
5219 Deutschlands Zukunft in Frieden, Freiheit, Sicherheit und Wohlstand ist untrenn-
5220 bar mit der politischen Entwicklung Europas und der Welt verbunden. Wir stehen
5221 für eine Politik, die gleichermaßen den Interessen unseres Landes in einem ver-
5222 einten Europa dient und zum Frieden in der Welt beiträgt. Deshalb nehmen wir
5223 eine gestaltende Rolle in den Bündnissen und internationalen Organisationen ein,
5224 in denen wir mitwirken.
5225
5226 Unser politisches Handeln wird von den Werten des Grundgesetzes und dem Ziel
5227 geleitet, die Interessen unseres Landes zu wahren. Wir bekennen uns zur Univer-
5228 salität der Menschenrechte, zur Rechtsstaatlichkeit und zur Herrschaft des Rechts
5229 in den internationalen Beziehungen und betrachten Menschenrechtspolitik als
5230 zentrale Konstante deutscher Außen- und Sicherheitspolitik.
5231
5232 Wir setzen auf starke Partnerschaften und wirksame multilaterale Strukturen. Da-
5233 bei stehen die Transatlantische Zusammenarbeit und die Europäische Einigung im
5234 Zentrum unserer Politik. Ein starkes Atlantisches Bündnis und ein handlungsfähi-
5235 ges Europa ergänzen einander.
5236
5237 Die Auswirkungen der Finanzkrise haben die Notwendigkeit eines gemeinsamen
5238 und geregelten Vorgehens aller Akteure in der Globalisierung deutlich gemacht.
5239 Wir treten dafür ein, die Instrumente der globalen Steuerung anzupassen. Das gilt
5240 für die Vereinten Nationen ebenso wie für den Internationalen Währungsfonds, die
5241 Weltbank oder die Gipfeltreffen der G-7 und der G-8. Neue globale Steuerungsin-
5242 strumente und Formate wie G-20 sind notwendig, weil sie aufstrebenden Schwel-
5243 lenländern Mitsprache und Mitverantwortung im Kreis der wichtigsten Wirtschafts-
5244 nationen geben.
5245
5246 Als Exportnation haben wir ein hohes Interesse an einer freiheitlichen Ordnung der
5247 Weltwirtschaft auf Grundlage der Charta für nachhaltiges Wirtschaften sowie an
5248 freien und sicheren Verkehrswegen. Als wirkungsvollen Schritt gegen Protektio-
5249 nismus streben wir einen raschen Abschluss der Verhandlungen in der Welthan-
5250 delsorganisation (Doha-Runde) an. Internationaler Terrorismus, organisierte Kri-
5251 minalität und Piraterie, Klimawandel, Armutsbekämpfung, Nahrungsmittel- und
5252 Ressourcensicherheit sowie Seuchen und Krankheiten gehören heute zu den gro-
5253 ßen Themen, aus denen sich sicherheitspolitische Risiken ergeben und die nur
5254 gemeinsam bewältigt werden können.
5255
5256 Wir bekennen uns zur Stärkung der Vereinten Nationen und setzen uns für ihre
5257 umfassende Reform ein. Wir setzen uns dafür ein, dass die Strukturen dieser
5258 Weltorganisation die heutigen Realitäten widerspiegeln. Vor diesem Hintergrund
5259 streben wir weiterhin im Rahmen einer Gesamtreform und im Sinne des Vertrages
5260 von Lissabon einen gemeinsamen ständigen Sitz der EU im Sicherheitsrat an. Auf
5261 dem Weg dorthin bleibt Deutschland bereit, mit der Übernahme eines ständigen
5262 Sitzes im Sicherheitsrat größere internationale Verantwortung zu übernehmen. Wir
5263 streben für die Wahlperiode 2011/2012 einen nicht-ständigen Sicherheitsrat-Sitz
5264 an und sind gegebenenfalls auch zeitlich begrenzten Zwischenschritten auf dem
5265 Weg zu einem ständigen Sitz gegenüber aufgeschlossen.
5266
5267 Wir werden Bonn als Standort der Vereinten Nationen und von internationalen
5268 Nichtregierungsorganisationen weiter ausbauen. Den Anteil deutschen Personals
5269 bei der Europäischen Union und in internationalen Organisationen wollen wir ver-
5270 größern.
5271
52721. Deutschland in Europa
5273
5274 Wir wollen eine leistungsfähige und selbstbewusste EU, die mit einer Stimme
5275 spricht und entschlossen für die Sicherung von Frieden, Freiheit und Wohlstand
5276 eintritt. Nur durch ein einiges Europa können wir unsere Werte und Interessen in
5277 der Welt erfolgreich vertreten.
5278
5279 Mit dem Lissabon-Vertrag wird die EU demokratischer und handlungsfähiger. Wir
5280 werden gemeinsam mit unseren Partnern in der EU Initiativen anstoßen und kon-
5281 krete Projekte auf den Weg bringen, etwa bei der Energiepolitik, der Bankenauf-
5282 sicht und in der EU-Sicherheits- und Verteidigungspolitik.
5283
5284 Die EU ist stark, weil sich die Mitgliedstaaten unabhängig von ihrer Größe und
5285 wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit als ebenbürtige und gleichberechtigte Partner
5286 begegnen. Wir stehen dafür ein, dass die Berücksichtigung der Interessen auch
5287 der kleinen und mittleren EU-Mitgliedstaaten ein Markenzeichen deutscher Euro-
5288 papolitik bleibt.
5289
5290 In der Konsequenz der Vertiefung und Erweiterung der Europäischen Union liegen
5291 eine immer engere politische Abstimmung unserer Mitgliedstaaten und ein immer
5292 engerer Austausch zwischen unseren Gesellschaften.
5293
5294 Enge und vertrauensvolle Beziehungen zu unseren Partnern in Europa sind kon-
5295 stitutiver Bestandteil unseres Engagements für Europa. Das deutsch-französische
5296 Verhältnis ist in seiner Breite und Tiefe einzigartig und fördert maßgeblich die eu-
5297 ropäische Einigung. In diesem Verständnis und im Interesse aller Bürgerinnen und
5298 Bürger Europas will die Bundesregierung die Zusammenarbeit in den Bereichen
5299 Bildung, Klimaschutz, Weltraum sowie Sicherheit und Verteidigung weiter voran-
5300 bringen.
5301
5302 Darüber hinaus wollen wir die enge Freundschaft und Zusammenarbeit mit Polen
5303 weiter vertiefen und die Möglichkeiten des Weimarer Dreiecks intensiv ausschöp-
5304 fen. Wir werden uns dafür einsetzen, dass von der deutsch-polnischen Zusam-
5305 menarbeit neue Impulse für die europäische Einigung ausgehen. Zugleich wissen
5306 wir um die hohe Bedeutung freundschaftlicher, vertrauensvoller und zukunftsge-
5307 richteter Beziehungen mit unseren anderen Nachbarn.
5308
5309Bürgernahe und demokratische EU
5310
5311 Wir setzen uns ein für eine demokratische, transparente und bürgernahe EU, die
5312 nach freiheitlichen Grundsätzen gestaltet ist und den Rahmen dafür schafft, dass
5313 die Bürgerinnen und Bürger Lebenschancen ergreifen und ihr Leben eigenverant-
5314 wortlich und solidarisch gestalten können.
5315
5316 Wir werden uns für einen wahrnehmbaren weiteren Abbau von Bürokratie einset-
5317 zen. Wir wollen, dass der EU-Aktionsplan zum Bürokratie-Abbau um 25 Prozent
5318 bis 2012 wirksam umgesetzt wird.
5319
5320 Die Funktionsweise des europäischen Binnenmarktes hängt auch von einer zügi-
5321 gen und fristgerechten Umsetzung von EU-Richtlinien ab. Eine über die EU-
5322 Vorgaben hinausgehende Umsetzung oder eine Verbindung mit anderen gesetzli-
5323 chen Maßnahmen sollte grundsätzlich ausgeschlossen werden.
5324
5325 Das Subsidiaritätsprinzip und das Verhältnismäßigkeitsprinzip sowie der Grund-
5326 satz der begrenzten Einzelermächtigung müssen strikt beachtet werden. Die EU
5327 kann nur rechtsetzend tätig werden, wenn eine entsprechende Rechtsgrundlage
5328 existiert, nachgewiesen werden kann, dass die Mitgliedstaaten keine ausreichen-
5329 de Regelung gewährleisten können und eine Regelung auf europäischer Ebene
5330 besser ist als auf nationaler.
5331
5332 Wir werden uns dafür einsetzen, dass EU-Gesetzgebungsvorhaben, die innerhalb
5333 der Amtszeit einer EU-Kommission nicht verabschiedet worden sind, verfallen.
5334 Auch wollen wir, dass EU-Rechtsakte stärker als bisher auf ihre Verhältnismäßig-
5335 keit und Bürgerfreundlichkeit ausgerichtet werden. Mitteilungs- und Berichtspflich-
5336 ten für Unternehmen sind erheblich zu reduzieren.
5337
5338 Wir sind für ein soziales Europa auf marktwirtschaftlicher Grundlage als Ergebnis
5339 von Sozialpolitik in nationaler Verantwortung. Grenzüberschreitende EU-
5340 Sozialsysteme lehnen wir ab, denn nur so kann der hohe deutsche Standard ge-
5341 wahrt werden.
5342
5343 Wir setzen uns für eine wesentliche Stärkung und für eine gleichberechtigte Ver-
5344 wendung der deutschen Sprache als Arbeitssprache der europäischen Institutio-
5345 nen ein, die auch in der Übersetzungspraxis und bei der Bereitstellung von Über-
5346 setzungsdokumenten angewandt wird.
5347
5348 Bundestag und Bundesrat haben die Begleitgesetze zum Lissabon-Vertrag neu
5349 gefasst, mit denen ihre Beteiligungs- und Mitwirkungsrechte konkretisiert werden.
5350 Wir werden einen aktiven Beitrag dazu leisten, dass diese Gesetze in der neuen
5351 Legislaturperiode politisch mit Leben erfüllt und die parlamentarischen Rechte ak-
5352 tiv und umfänglich wahrgenommen werden. Wir werden im Verlauf der Legislatur-
5353 periode bewerten, ob die durch die Begleitgesetze eröffneten Möglichkeiten grö-
5354 ßerer parlamentarischer Kontrolle den Anforderungen der Praxis genügen und
5355 gegebenenfalls entsprechende Initiativen ergreifen.
5356
5357Wettbewerb und Binnenmarkt
5358
5359 Grundlage des Wohlstands in Deutschland ist der unverfälschte Wettbewerb im
5360 europäischen Binnenmarkt. Deutschlands Stellung als führende Exportnation be-
5361 ruht auf offenen Märkten in Europa, denn zwei Drittel der deutschen Ausfuhr ge-
5362 hen in EU-Staaten. Nur mit Wettbewerbsfähigkeit und Wirtschaftswachstum ge-
5363 lingt die nachhaltige Schaffung neuer Arbeitsplätze. Protektionismus in jeder Form
5364 erteilen wir eine klare Absage.
5365 Der europäische Binnenmarkt ist zum größten Wirtschaftsraum der Welt ange-
5366 wachsen. Er schafft die Voraussetzungen für unseren Sozialstaat und unsere ho-
5367 hen Umweltstandards. Durch funktionierenden Wettbewerb werden Innovation,
5368 Wachstum und die Wohlfahrt der Verbraucher gefördert. Wir werden deshalb kon-
5369 sequent an der Vollendung des Binnenmarktes und der Schaffung eines Rahmens
5370 für funktionierenden Wettbewerb arbeiten.
5371
5372 Wir werden alle Versuche abwehren, die Unabhängigkeit der EZB in Frage zu stel-
5373 len, und wir bekennen uns zum Stabilitäts- und Wachstumspakt. Wir sind uns be-
5374 wusst, dass es einer grundlegenden Neuordnung des Finanzsystems bedarf, die
5375 insbesondere die Schaffung einer einheitlichen EU-weiten Bankenaufsicht um-
5376 fasst.
5377
5378EU-Finanzen
5379
5380 Die Anstrengungen für tragfähige und generationengerechte öffentliche Finanzen
5381 können auch am EU-Haushalt nicht vorbeigehen. Europäischer Mehrwert und
5382 Subsidiarität müssen die Richtschnur für die anstehenden Verhandlungen über die
5383 Zukunft des EU-Haushalts sein. Wir werden uns für eine nachhaltige und verant-
5384 wortungsvolle europäische Haushaltspolitik einsetzen. Die vorhandenen Mittel
5385 müssen auf strategische Bereiche europäischer Politik konzentriert werden, in de-
5386 nen gemeinsames Handeln erforderlich ist und bessere Ergebnisse liefert als nati-
5387 onales.
5388
5389 Die Beiträge der Mitgliedstaaten an die EU müssen ihrer jeweiligen wirtschaftli-
5390 chen Leistungsfähigkeit entsprechen, dürfen jedoch ein Prozent ihres Bruttonatio-
5391 naleinkommens (BNE) nicht überschreiten. Neben den traditionellen Eigenmitteln
5392 der EU (Zölle) soll dies die Haupt-Einnahmequelle der EU sein. Zudem muss si-
5393 chergestellt sein, dass Beitragsgerechtigkeit und faire Lastenverteilung durch Kor-
5394 rekturmechanismen gewährleistet werden.
5395
5396 Eine EU-Steuer oder die Beteiligung der EU an nationalen Steuern und Abgaben
5397 lehnen wir ab. Auch darf die EU keine eigenen Kompetenzen zur Abgabenerhe-
5398 bung oder zur Kreditaufnahme für Eigenmittel erhalten.
5399
5400 Deutschland bekennt sich zur Lissabon-Strategie, mit der die EU zum weltweit
5401 wettbewerbsfähigsten Raum werden soll. Daran müssen sich alle Ausgaben der
5402 EU messen lassen. Daher müssen Mittel aus den Strukturfonds zukünftig noch
5403 mehr als bisher auf dieses Ziel ausgerichtet werden.
5404
5405 Wir werden uns dafür einsetzen, die Förderfähigkeit geeigneter Projekte aus dem
5406 Förderziel "Regionale Wettbewerbsfähigkeit und Beschäftigung" ("Ziel-2") auch in
5407 der kommenden Förderperiode zu gewährleisten. Bezüglich des Förderziels "Kon-
5408 vergenz" ("Ziel-1") streben wir an, die Förderung ab 2014 stärker auf die wirklich
5409 bedürftigen Regionen zu beschränken und eine Übergangslösung für die aus Ziel-
5410 1 herausfallenden Regionen zu finden. Prinzipiell ist jede Förderung befristet und
5411 hat degressiven Charakter.
5412
5413 Deutschland wird sich dafür einsetzen, dass - unter Beachtung der geltenden EU-
5414 Haushaltsobergrenze - eine schrittweise Neustrukturierung zugunsten von ge-
5415 meinsamen europäischen Zukunftsprojekten vorgenommen wird, also z.B. für Be-
5416 reiche wie Transeuropäische Verkehrsnetze, grenzüberschreitende Bildung, Jus-
5417 tiz- und Polizeizusammenarbeit, Forschung und Innovation.
5418
5419 Wir werden 2010 Vorschläge erarbeiten, wie diese Umschichtung erfolgen kann.
5420 Deutschland wird sich bei den anstehenden EU-Finanzverhandlungen für einen
5421 höheren Anteil der Mittel für die Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik am
5422 Unionshaushalt einsetzen. Wir streben an, dass Einsätze der EU im Rahmen der
5423 GASP zukünftig zu einem höheren Anteil aus europäischen Mitteln finanziert wer-
5424 den als bisher.
5425
5426 Wir werden uns für volle parlamentarische Beteiligung und Kontrolle beim EU-
5427 Haushalt auf europäischer wie auf nationaler Ebene einsetzen. Wir treten für eine
5428 lückenlose Offenlegung und Kontrolle der EU-Ausgaben ein. Die Prüfungslücke
5429 bei der Verwendung von EU-Geldern muss geschlossen werden.
5430
5431 Wir setzen uns dafür ein, dass die EU-Agenturen einer wirksamen Haushaltskon-
5432 trolle unterliegen, sie auf ihren Zweck hin überprüft werden vor allem im Hinblick
5433 auf die Vermeidung von Doppelstrukturen und ihre Zahl nach Möglichkeit reduziert
5434 wird.
5435
5436Erweiterung und Nachbarschaftspolitik
5437
5438 Wir stehen für eine Erweiterungspolitik mit Augenmaß. Abstriche bei den Kriterien
5439 oder gar einen Beitrittsautomatismus zum Beispiel durch Nennung eines Beitritts-
5440 datums vor Abschluss der Verhandlungen darf es nicht geben. Die Erweiterungs-
5441 verhandlungen werden ergebnisoffen geführt. Die strikte Erfüllung der Kopenha-
5442 gener Kriterien bleibt Voraussetzung für einen Beitritt. Maßgeblich sind in allen
5443 Fällen sowohl die Beitrittsfähigkeit der Kandidaten als auch die Aufnahmefähigkeit
5444 der EU.
5445
5446 Deutschland hat ein besonderes Interesse an einer Vertiefung der gegenseitigen
5447 Beziehungen zur Türkei und an einer Anbindung des Landes an die Europäische
5448 Union. Die 2005 mit dem Ziel des Beitritts aufgenommenen Verhandlungen sind
5449 ein Prozess mit offenem Ende, der keinen Automatismus begründet und dessen
5450 Ausgang sich nicht im Vorhinein garantieren lässt.
5451
5452 Sollte die EU nicht aufnahmefähig oder die Türkei nicht in der Lage sein, alle mit
5453 einer Mitgliedschaft verbundenen Verpflichtungen voll und ganz einzuhalten, muss
5454 die Türkei in einer Weise, die ihr privilegiertes Verhältnis zur EU weiter entwickelt,
5455 möglichst eng an die europäischen Strukturen angebunden werden.
5456
5457 Wir unterstützen einen Ausbau der EU-Nachbarschaftspolitik. Ziel ist die Förde-
5458 rung einer nachhaltigen demokratischen, wirtschaftlichen, sozialen, rechtsstaatli-
5459 chen und ökologischen Entwicklung in unserem unmittelbaren Umfeld sowie die
5460 Teilhabe dieser Länder an Frieden und Wohlstand. Auf der Grundlage gemeinsa-
5461 mer Werte treten wir für einen Ausbau der Zusammenarbeit mit den Ländern der
5462 Östlichen Partnerschaft ein.
5463
5464Erfolgreiche EU-Außenpolitik
5465
5466 Europa und die EU-Staaten sind international immer dann stark, wenn die EU ge-
5467 schlossen auftritt. Die Schaffung des Amtes eines Hohen Vertreters für die Ge-
5468 meinsame Sicherheits- und Verteidigungspolitik ist ein wichtiger Schritt zu mehr
5469 Geschlossenheit in der EU-Außenpolitik.
5470
5471 Wir werden uns dafür einsetzen, dass der Europäische Auswärtige Dienst (EAD)
5472 seine Aufgaben wirksam wahrnehmen und über die erforderlichen Mittel und In-
5473 strumente verfügen kann. Die inhaltliche Verzahnung der EU-Außenpolitik mit der
5474 Außenpolitik der einzelnen Mitgliedstaaten wird am besten durch einen organisa-
5475 torisch unabhängigen EAD gelingen, in dem Vertreter der Mitgliedstaaten auf allen
5476 Ebenen angemessen repräsentiert sind und eine gleichberechtigte Stellung ein-
5477 nehmen.
5478
5479 Die elementaren Fragen der Sicherheit, Verteidigung und Abrüstung in Europa
5480 müssen von den Partnern in der Europäischen Union gemeinsam beraten und
5481 entschieden werden. Dabei ist auch auf eine möglichst intensive Beteiligung der
5482 nationalen Parlamente und des Europäischen Parlaments zu achten.
5483
5484 Die EU sollte eigene Planungs- und Führungsfähigkeiten erhalten. Wo immer
5485 möglich sollte die EU ihre Kräfte bündeln, Aufgaben verteilen und Schwerpunkte
5486 setzen. Nur so können wir auf die neuen sicherheitspolitischen Bedrohungen rich-
5487 tig reagieren. Europa muss sich in die Lage versetzen, eigenständig Konfliktfällen
5488 vorzubeugen und gegebenenfalls gemeinsam, schnell und flexibel zu handeln.
5489
5490 Wir werden uns dafür einsetzen, dass die EU ihr politisches Gewicht für eine neue
5491 Abrüstungspolitik in die Waagschale wirft. Wir wollen uns für die Fortentwicklung
5492 der gemeinsamen europäischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik einsetzen.
5493 Langfristiges Ziel bleibt für uns der Aufbau einer europäischen Armee unter voller
5494 parlamentarischer Kontrolle.
5495
54962. Wertegebundene und interessengeleitete Außenpolitik
5497
5498 Die enge Abstimmung und das gemeinsame Handeln der westlichen Wertege-
5499 meinschaft, d.h. der aufgeklärten, rechtsstaatlichen Demokratien dieser Welt, wa-
5500 ren und bleiben eines der Erfolgsrezepte deutscher Außenpolitik. Auch in der glo-
5501 balisierten Welt des 21. Jahrhunderts betrachten wir die Idee des Westens als
5502 Grundlage und seine Institutionen als Plattform deutscher Außenpolitik. In der Zeit
5503 der Globalisierung muss der Westen zu mehr Geschlossenheit finden, um seine
5504 Interessen durchzusetzen und gemeinsame Werte zu bewahren.
5505
5506 Deutschlands Mitgliedschaften in der Europäischen Union und den euro-
5507 atlantischen Institutionen, vor allem der NATO, dienen diesem Interesse ebenso
5508 wie das bilaterale Verhältnis zu unserem wichtigsten Partner außerhalb Europas,
5509 den Vereinigten Staaten von Amerika. Wir sind entschlossen, die Chancen im
5510 transatlantischen Verhältnis zu nutzen und werden deshalb das deutsch-
5511 amerikanische Vertrauensverhältnis systematisch stärken. Die enge politische Ko-
5512 ordination mit den Vereinigten Staaten sehen wir als Kraftverstärker unserer Inte-
5513 ressen, der das Gewicht Deutschlands in Europa und der Welt erhöht. Wir streben
5514 eine Intensivierung unserer Wirtschaftsbeziehungen im Rahmen eines Transatlan-
5515 tischen Wirtschaftsraums an.
5516
5517 Unser Verhältnis zu den USA und Kanada wird geprägt von einer einzigartigen
5518 Vielfalt an Kontakten beiderseits des Atlantiks. Deshalb wollen wir insbesondere
5519 jungen Menschen das jeweils andere Land näher bringen.
5520
5521 Die Nordatlantische Allianz bleibt auch in Zukunft stärkster Anker unserer gemein-
5522 samen Sicherheit. Sie verbindet Europa und Amerika; sie ist das Fundament für
5523 die kollektive Verteidigung und verfügt über ein einzigartiges politisches und militä-
5524 risches Instrumentarium zur Wahrung und Wiederherstellung des Friedens. Sie
5525 dient der Erreichung politischer Ziele und umfasst das Angebot zu sicherheitspoli-
5526 tischer Zusammenarbeit, Abrüstung, Vertrauensbildung und friedlicher Konfliktlö-
5527 sung. Mit dem Strategischen Konzept wird die Allianz ihre strategischen Grundla-
5528 gen an die Herausforderungen der Gegenwart anpassen.
5529
5530 Wir treten dafür ein, dass Blockaden bei der Zusammenarbeit von EU und NATO
5531 überwunden werden und das gemeinsame Potential ausgeschöpft werden kann.
5532 Wir setzen uns dafür ein, dass der NATO-Rat wieder zum zentralen Ort der si-
5533 cherheitspolitischen Debatte im Bündnis wird.
5534
5535 Wir wollen, dass die Allianz zu der in der NATO-Russland-Grundakte von 1997
5536 angelegten strategischen Partnerschaft findet und den NATO-Russland Rat als
5537 Forum für Fragen gemeinsamer Sicherheit intensiver nutzt. Unser Ziel ist eine eu-
5538 ro-atlantische Sicherheitsarchitektur, die auf der Grundlage der bewährten Institu-
5539 tionen, einschließlich der OSZE und des Europarats, eine enge Partnerschaft mit
5540 Russland umfasst. Die Bundesregierung will, dass die Allianz ihre Tür für neue
5541 Mitglieder grundsätzlich offen hält, und fördert den Ausbau der Partnerschaften.
5542
5543 Wir wollen den hohen Anspruch, zu dem sich die Partner und Mitglieder in NATO,
5544 EU, Europarat und OSZE bekennen, insbesondere bei der Behandlung von Krisen
5545 und Konflikten zur Geltung bringen und deren Instrumente besser nutzen.
5546
5547 Wir unterstützen mit Nachdruck die von US-Präsident Obama unterbreiteten Vor-
5548 schläge für weitgehende neue Abrüstungsinitiativen - einschließlich des Zieles
5549 einer nuklearwaffenfreien Welt.
5550
5551 Abrüstung und Rüstungskontrolle verstehen wir nicht als einen Verlust an Sicher-
5552 heit, sondern als zentralen Baustein einer globalen Sicherheitsarchitektur der Zu-
5553 kunft. Wir wollen die Chance nutzen, den globalen Trend neuer Aufrüstungsspira-
5554 len umzukehren und wieder in eine Phase substantieller Fortschritte auf den Ge-
5555 bieten der Abrüstung und der Rüstungskontrolle eintreten.
5556
5557 Wir sind davon überzeugt, dass auch Zwischenschritte bei der Erreichung des Zie-
5558 les einer nuklearwaffenfreien Welt wesentliche Zugewinne an Sicherheit bedeuten
5559 können. Es gilt zu verhindern, dass neue Nuklearmächte entstehen, neue nuklea-
5560 re Rüstungswettläufe ausgelöst werden, konventionelle Aufrüstung als Ersatz für
5561 die Aufgabe nuklearer Potentiale gesehen wird oder die Technologie zur Herstel-
5562 lung von Massenvernichtungswaffen sowie spaltbares Material in die Hände von
5563 Terroristen geraten.
5564
5565 Wir sehen mit Sorge die Erosion der internationalen Vertragsarchitektur im Be-
5566 reich der Abrüstung und Rüstungskontrolle. Wir sind davon überzeugt, dass Nach-
5567 folgeabkommen zu auslaufenden Verträgen ausgehandelt werden müssen und die
5568 bislang ausgebliebene Ratifizierung des Atomteststoppvertrages oder des ange-
5569 passten KSE-Vertrages nachzuholen ist.
5570
5571 Wir werden uns dafür einsetzen, den Abschluss neuer Abrüstungs- und Rüstungs-
5572 kontrollabkommen international zu unterstützen. Die Überprüfungskonferenz zum
5573 Nuklearwaffensperrvertrag im Jahre 2010 wollen wir dafür nutzen, um eine neue
5574 Dynamik für vertragsbasierte Regelungen in Gang zu setzen.
5575
5576 In diesem Zusammenhang sowie im Zuge der Ausarbeitung eines strategischen
5577 Konzeptes der NATO werden wir uns im Bündnis sowie gegenüber den amerika-
5578 nischen Verbündeten dafür einsetzen, dass die in Deutschland verbliebenen A-
5579 tomwaffen abgezogen werden. Mit dem Ziel des Erhalts der Vereinbarungen des
5580 KSE-Regimes, einschließlich einer Rückkehr Russlands in das Vertragsregime,
5581 sind wir unsererseits zu einer Ratifizierung des A-KSE-Vertrages bereit.
5582
5583 Wir sehen Russland als wichtigen Partner bei der Bewältigung von regionalen und
5584 globalen Herausforderungen. Dazu gehören die Konfliktherde in Afghanistan oder
5585 im Nahen Osten genauso wie die Abstimmung im E3+3-Rahmen zum Umgang mit
5586 dem iranischen Atomprogramm, Fragen des internationalen Terrorismus, des Kli-
5587 maschutzes oder globaler Seuchen.
5588
5589 Zugleich werden wir Russland dabei unterstützen, den Kurs der Modernisierung
5590 des Landes konsequent fortzusetzen und dabei die Defizite bei Menschenrechten,
5591 Rechtsstaatlichkeit und Demokratie abzubauen. Wir wollen dazu den zivilgesell-
5592 schaftlichen Dialog fördern. Wir wollen wirtschaftliche Verbindungen weiter aus-
5593 bauen und langfristige, verlässliche Energiepartnerschaften ohne einseitige Ab-
5594 hängigkeiten schaffen. Die berechtigten Interessen unserer Nachbarn werden wir
5595 bei der Gestaltung unserer bilateralen Beziehungen mit Russland berücksichtigen.
5596
55973. Deutschland in internationaler Verantwortung
5598
5599Asien
5600
5601 Wir werden Asien in unserer Außenpolitik den Rang einräumen, der diesem Konti-
5602 nent aufgrund seiner beschleunigt wachsenden Bedeutung zukommt. Dieses Be-
5603 deutungswachstum begreifen wir in erster Linie als Chance, ohne die dadurch
5604 entstehenden Herausforderungen zu übersehen.
5605
5606 Asien ist die wirtschaftlich dynamischste Region der Welt; darüber hinaus ist die
5607 Mitwirkung Asiens für die Lösung globaler Probleme wie des Klimawandels, der
5608 Sicherung der Rohstoff- und Energieversorgung oder der Neuordnung des interna-
5609 tionalen Finanzsystems unverzichtbar. Aktive Beiträge vor allem unserer großen
5610 Partner China, Indien und Japan hierfür und für die Lösung regionaler Konflikte
5611 und Krisenherde werden wir auf der Grundlage eines partnerschaftlichen Verhält-
5612 nisses einfordern. Bestehende Ansätze zu regionaler Kooperation werden wir
5613 nach Kräften fördern und unterstützen; dies gilt insbesondere für ASEAN sowie
5614 die EU-ASEM-Kooperation.
5615
5616 In dem Dialog mit den Ländern Asiens spielen die Zivilgesellschaften eine bedeut-
5617 same Rolle; die Förderung politischer Partizipation ist uns ein wichtiges Anliegen.
5618 Wir werden den Rechtsstaatsdialog mit China fortführen und intensivieren.
5619
5620Lateinamerika
5621
5622 Die Partnerschaft zwischen Deutschland, Lateinamerika und der Karibik baut auf
5623 gemeinsamen Werten auf. Wir teilen ein kulturelles Erbe und Erfahrungen aus
5624 langjähriger Zusammenarbeit auf politischem, wirtschaftlichem, kulturellem und
5625 wissenschaftlich-technologischem Gebiet. Die Volkswirtschaften der EU und La-
5626 teinamerikas sind in hohem Maße komplementär. Wir wollen ein ressortübergrei-
5627 fendes Konzept zur langfristigen Ausgestaltung unserer Lateinamerikapolitik erar-
5628 beiten.
5629
5630 Innerhalb der EU werden wir auf Kohärenz und ein abgestimmtes Vorgehen der
5631 Mitgliedstaaten drängen. Gemeinsam mit unseren Partnern im Gemeinsamen
5632 Markt Südamerikas (Mercosur) streben wir einen zeitnahen Abschluss der Doha-
5633 Welthandelsrunde an. Subregionale und bilaterale Ansätze schließen wir als Al-
5634 ternative nicht aus. Dabei werden wir die Förderung demokratischer Strukturen
5635 und der Rechtsstaatlichkeit zu einem Schwerpunkt machen.
5636
5637Afrika
5638
5639 Wir streben ein neues ressortübergreifendes Afrika-Konzept an, das den sicher-
5640 heitspolitischen, gesellschaftlichen, ökologischen und ökonomischen Herausforde-
5641 rungen ebenso Rechnung trägt wie den großen Entwicklungspotentialen auf unse-
5642 rem Nachbarkontinent. Unser Ziel ist eine selbsttragende Entwicklung in möglichst
5643 vielen Regionen und bei der Bewältigung großer Herausforderungen wie Armut,
5644 Nahrungsmittelknappheit, Epidemien, Flüchtlingsströmen, mangelnder Rechts-
5645 staatlichkeit, politischem Extremismus oder Umweltzerstörung.
5646
5647 Wir bekennen uns zur Unterstützung der afrikanischen Sicherheitsbemühungen
5648 und beteiligen uns im Rahmen der Vereinten Nationen und der Europäischen Uni-
5649 on an Friedensinitiativen. Für eine dauerhafte Stabilisierung des Kontinents setzen
5650 wir auf eine starke Afrikanische Union als wichtiger Baustein afrikanischer Eigen-
5651 verantwortung. Die Bundesregierung wird auf der Grundlage der im Dezember
5652 2005 verabschiedeten Afrika-Strategie der EU gezielte Beiträge hierzu leisten.
5653
5654Naher Osten
5655
5656 Wir bekennen uns zur besonderen Verantwortung Deutschlands gegenüber Israel
5657 als jüdischem Staat. Wir bekräftigen das überragende Interesse Deutschlands und
5658 Europas an Frieden, Stabilität und demokratischer Entwicklung im Nahen und Mitt-
5659 leren Osten. Im Nahostfriedensprozess treten wir mit Nachdruck für eine Zwei-
5660 Staaten-Lösung ein: für einen Staat Israel, der von allen Nachbarn anerkannt wird
5661 und dessen Bürger in Frieden und Sicherheit leben können, sowie für einen le-
5662 bensfähigen palästinensischen Staat, dessen Bürger ihr Schicksal in Würde und
5663 Frieden selbst bestimmen können.
5664
5665 Wir setzen uns für einen umfassenden regionalen Verhandlungsansatz im Nahen
5666 Osten ein, der auf vergangenen Friedensinitiativen aufbaut. Nach dem Vorbild des
5667 KSZE-Prozesses sowie auf Grundlage der Roadmap und des Annapolis-
5668 Prozesses werben wir für eine Wiederbelebung und Fortsetzung eines Konferenz-
5669 ansatzes im Nahen Osten, bei dem neben den regional beteiligten Konfliktparteien
5670 die USA, EU, Russland und die Vereinten Nationen an einen Tisch gebracht wer-
5671 den.
5672
5673 Ferner werden wir uns dafür einsetzen, dass die Souveränität und innere Stabili-
5674 sierung des Libanon weiter gestärkt wird und sich im Irak die Demokratie weiter
5675 entwickelt und der Wiederaufbau voranschreitet.
5676
5677Iran
5678
5679 Mit unseren Partnern bei den Verhandlungen der E3+3 werden wir weiter dazu
5680 beitragen, dass der Iran nicht in den Besitz von Atomwaffen gelangt. Dabei setzen
5681 wir auf einen Verhandlungsansatz, sind in Absprache mit unseren Partnern wenn
5682 nötig auch zu härteren gemeinsamen Sanktionsmaßnahmen bereit. Wir erwarten,
5683 dass der Iran volle Transparenz über sein Nuklearprogramm herstellt. Es muss
5684 sichergestellt werden, dass das Recht auf zivile Nutzung der Kernenergie auch
5685 vom Iran so wahrgenommen wird, dass sich hieraus keine Sicherheitsrisiken für
5686 andere Staaten ergeben.
5687
5688Afghanistan
5689
5690 Wir verstehen unser Engagement in Afghanistan als eine Aufgabe von besonde-
5691 rem nationalen Interesse: Es dient der Sicherheit der Menschen in unserem Land.
5692 Es ist Ausdruck unserer Solidarität mit den leidgeprüften Menschen in Afghanis-
5693 tan. Und es bekräftigt unsere Verlässlichkeit als gestaltendes Mitglied in der Nord-
5694 atlantischen Allianz und den Vereinten Nationen. Die Bundesregierung wird auch
5695 weiterhin einen der Bedeutung dieser Aufgabe angemessenen Beitrag leisten.
5696
5697 Dazu werden wir gemeinsam mit unseren Verbündeten in Kürze auf einer interna-
5698 tionalen Konferenz unsere Strategie gemeinsam mit den Vertretern Afghanistans
5699 auf eine neue Grundlage stellen. Wir erwarten dabei, dass die afghanische Regie-
5700 rung ihre Verpflichtung zu guter Regierungsführung, zum Schutz der Menschen-
5701 rechte und zur Bekämpfung der Drogen-Kriminalität sowie der Korruption bekräf-
5702 tigt und den Worten Taten folgen lässt. In Abstimmung mit unseren Partnern wer-
5703 den wir die Verantwortung an die Autoritäten des Landes schrittweise übergeben.
5704
5705 Wir halten dabei am Konzept der Vernetzten Sicherheit fest: Ohne Sicherheit gibt
5706 es keinen Aufbau, ohne Aufbau keine Sicherheit. Zentrale Bedeutung hat der zivile
5707 Aufbau und die zielgerichtete Fortsetzung der entwicklungspolitischen Maßnah-
5708 men. Je früher die afghanische Regierung im Land selbst Sicherheit gewährleisten
5709 kann, desto früher können wir in Abstimmung mit unseren Partnern den schrittwei-
5710 sen Abzug beginnen. Wir werden unsere Strategie der Übergabe in Verantwortung
5711 entschieden voran bringen und deshalb unsere Anstrengungen unter anderem bei
5712 der Europäischen Polizeimission EUPOL, beim nachhaltigen Aufbau und bei der
5713 Ausbildung der afghanischen Sicherheitskräfte deutlich verstärken.
5714
5715 Wir sind überzeugt, dass für Frieden und Entwicklung in Afghanistan auch die re-
5716 gionale Zusammenarbeit, allen voran ein konstruktives, von Vertrauen getragenes
5717 Verhältnis zwischen Afghanistan und Pakistan, maßgeblich ist. Wir wollen unseren
5718 Beitrag leisten, diese Beziehungen zu verbessern und die umfassende Stabilisie-
5719 rung des pakistanischen Staates zu fördern.
5720
5721 Wir wollen die ressortübergreifenden Anstrengungen der Bundesregierung bün-
5722 deln und das Afghanistan-Konzept der Bundesregierung mit konkreten Vorgaben
5723 umsetzen. Für die Abstimmung mit unseren internationalen Partnern wird die
5724 Bundesregierung auf Vorschlag des Auswärtigen Amtes und in Abstimmung mit
5725 allen betroffenen Ressorts einen Sonderbotschafter ernennen. Dieser berichtet
5726 den für Afghanistan im Konzept der Vernetzten Sicherheit verantwortlichen Bun-
5727 desministern, die gemeinsam einen Kabinettsausschuss bilden.
5728
57294. Internationale Einsätze und Instrumente deutscher
5730Sicherheitspolitik
5731
5732 Wir handeln militärisch nur dann, wenn wir dies im Rahmen der VN, der NATO
5733 oder der EU sowie aufgrund einer völkerrechtlichen Legitimation tun können. Un-
5734 berührt davon bleibt das Recht auf Selbstverteidigung. Von unserer Kultur der Zu-
5735 rückhaltung werden wir uns weiterhin leiten lassen.
5736
5737 Bei der internationalen Krisenprävention und -bewältigung stehen bei uns politi-
5738 sche und diplomatische Bemühungen an erster Stelle, dennoch wächst die Bedeu-
5739 tung des Einsatzes ziviler Kräfte von Polizei und Justiz. Wir müssen gemeinsam
5740 mit unseren Partnern darauf vorbereitet sein, mit diesen Mitteln krisenhaften Ent-
5741 wicklungen frühzeitig entgegenzusteuern und bei Ausbruch von Krisen schnell und
5742 verlässlich zu handeln.
5743
5744 Zur nachhaltigen Stabilisierung von Krisenregionen sind Aufbau und rechtstaatli-
5745 che Ausbildung örtlicher Polizeikräfte ein Schlüsselelement. Wir werden deshalb
5746 unsere Fähigkeiten für polizeiliche Beiträge stärken durch den Aufbau entspre-
5747 chender Einheiten bei der Bundespolizei und durch einen von den Ländern zur
5748 Verfügung gestellten Pool, der für internationale Verwendungen bereit steht.
5749
5750 Wir bekennen uns zum Ansatz einer Vernetzten Sicherheitspolitik. Dies erfordert
5751 moderne und leistungsfähige Streitkräfte und geeignete zivile Instrumente zur in-
5752 ternationalen Konfliktvorsorge und -bewältigung sowie eine noch engere Integrati-
5753 on und Koordinierung. In künftige Mandate für Einsätze im Ausland werden wir
5754 konkrete Benennungen der zu leistenden Aufgaben sowie deren Zuteilung auf die
5755 verantwortlichen Ressorts aufnehmen.
5756
5757 Im Rahmen der Vereinten Nationen werden wir auf eine schrittweise Reduzierung
5758 unseres deutschen Beitrages zur Maritime Task Force UNIFIL mit der Perspektive
5759 der Beendigung hinwirken.
5760
5761 Im Zusammenhang mit der Piraterie- und Terrorismusbekämpfung am Horn von
5762 Afrika werden wir die Bemühungen um eine bessere Koordinierung der Einsätze
5763 fortsetzen und eine kritische Überprüfung der Vielzahl der Mandate mit dem Ziel
5764 der Reduzierung vornehmen.
5765
5766 Vor dem Hintergrund der globalen Bedrohung durch die Piraterie streben wir die
5767 Errichtung einer Kammer zur Verfolgung von Piraterie beim Internationalen Straf-
5768 gerichtshof an.
5769
5770 Die Bundesregierung wird den Deutschen Bundestag regelmäßig über die laufen-
5771 den Einsätze deutscher Streitkräfte informieren und so die Voraussetzungen für
5772 deren angemessene parlamentarische Kontrolle schaffen.
5773 Soweit mit den Regelungen des Parlamentsbeteiligungsgesetzes eine jeweils
5774 zeitnahe und ausreichende Information des Parlaments in besonderen Fällen
5775 durch die Bundesregierung nicht sichergestellt werden kann, legen die Koalitions-
5776 fraktionen Initiativen zur Änderung des Parlamentsbeteiligungsgesetzes oder zur
5777 Schaffung eines Vertrauensgremiums vor.
5778
5779 Zudem werden wir dafür Sorge tragen, dass zusätzliche einsatzbedingte Aufwen-
5780 dungen für kurzfristige und unvorhersehbare Verpflichtungen der Sicherheitskräfte
5781 im Zusammenhang mit internationalen Einsätzen künftig aus dem Einzelplan 60
5782 (Allgemeine Finanzverwaltung) finanziert werden.
5783
5784 Schließlich werden wir die Bundesakademie für Sicherheitspolitik (BAKS), das
5785 Zentrum für Internationale Friedenseinsätze (ZIF) und die Führungsakademie der
5786 Bundeswehr (FüAkBw) verstärkt nutzen, um Führungskräfte von Bund und Län-
5787 dern sowie der Wirtschaft, Wissenschaft und Medien weiterzubilden und die Prin-
5788 zipien der Vernetzten Sicherheitspolitik kontinuierlich weiterzuentwickeln.
5789
57905. Für eine leistungsstarke und moderne Bundeswehr
5791
5792 Die Bundeswehr ist ein wesentliches Instrument deutscher Friedenspolitik. Wir
5793 wollen auch in Zukunft eine leistungsfähige Bundeswehr als unverzichtbares In-
5794 strument für den Schutz Deutschlands und seiner Menschen ebenso wie für die
5795 internationale Krisenvorsorge und Konfliktbewältigung erhalten.
5796
5797 Die Wehrpflicht hatte in den letzten Jahrzehnten ihre Berechtigung und sich be-
5798 währt. Seit dem Ende des kalten Krieges haben sich die sicherheitspolitische La-
5799 ge, Auftrag und Aufgabenspektrum der Bundeswehr grundlegend verändert. Die-
5800 sen Veränderungen ist angemessen Rechnung zu tragen.
5801
5802 Die Koalitionsparteien halten im Grundsatz an der allgemeinen Wehrpflicht fest mit
5803 dem Ziel, die Wehrdienstzeit bis zum 1. Januar 2011 auf sechs Monate zu redu-
5804 zieren.
5805
5806 Der Bundesminister der Verteidigung setzt eine Kommission ein, die bis Ende
5807 2010 einen Vorschlag für Eckpunkte einer neuen Organisationsstruktur der Bun-
5808 deswehr, inklusive der Straffung der Führungs- und Verwaltungsstrukturen, zu
5809 erarbeiten hat.
5810
5811 Die Bundesregierung bekennt sich zur Inneren Führung und zum Leitbild vom
5812 Staatsbürger in Uniform. Unsere Soldatinnen und Soldaten müssen sich auf den
5813 Rückhalt in der Gesellschaft verlassen können. Ihren Leistungen für die Sicherheit
5814 unseres Landes gebührt hohe Anerkennung.
5815
5816 Unsere Fürsorgepflicht gilt in besonderem Maße den in Ausübung ihres Dienstes
5817 zu Schaden Gekommenen und ihren Familien. Für in Folge belastender Ereignis-
5818 se traumatisierte Soldatinnen und Soldaten wird die Einrichtung eines Trauma-
5819 Zentrums mit Priorität verfolgt.
5820
5821 Zudem verständigen sich die Koalitionspartner vor dem Hintergrund des demogra-
5822 fischen Wandels darauf, mit Blick auf die personelle Einsatzfähigkeit ein Maßnah-
5823 menpaket zur Steigerung der Attraktivität des Dienstes in der Bundeswehr bis En-
5824 de 2010 vorzulegen. Es wird sich hierbei u. a. um die Verbesserung der Verein-
5825 barkeit von Familie und Dienst, die Schaffung von Kinderbetreuungsmöglichkeiten,
5826 die Reduzierung der Versetzungshäufigkeit und die zügige Fortführung der Mo-
5827 dernisierung "Kasernen-West" handeln.
5828
5829 Darüber hinaus gehende Änderungen, wie die Schaffung eines neuen Laufbahn-
5830 rechts, werden realisiert.
5831
5832 Wir schaffen eine zentrale Zuständigkeit der Justiz für die Verfolgung von Strafta-
5833 ten von Soldaten, die diesen in Ausübung ihres Dienstes im Ausland vorgeworfen
5834 werden.
5835
5836Wehrtechnische Industrie und Rüstungskooperation
5837 Eine leistungsfähige nationale wehrtechnische Industrie ist für uns von hoher si-
5838 cherheits- und wirtschaftspolitischer Bedeutung. Sie bleibt Grundlage für eine auf-
5839 gabengerechte Ausrüstung der Bundeswehr, die zunehmend nur über internatio-
5840 nale Kooperation gewährleistet werden kann.
5841
5842 Die Soldatinnen und Soldaten der Bundeswehr brauchen für ihren gefährlichen
5843 Auftrag bis hin zum Gefecht die bestmögliche Ausrüstung.
5844
5845 Beim Rüstungsprojekt A 400 M besteht die Koalition auf vollständiger Erfüllung
5846 des Vertrages. Der strategische Lufttransport wird sicher gestellt. Bei dem zu be-
5847 schaffenden Eurofighter haben sich die Koalitionsparteien darauf geeinigt, zukünf-
5848 tige Exporte auf die noch in der Tranche 3b zu beauftragende Stückzahl anrech-
5849 nen zu lassen.
5850
5851 Bei der Beschaffung wehrtechnischen Materials werden wir Strukturen zur Sicher-
5852 stellung von Rechtsbeachtung und -befolgung schaffen.
5853
5854 Die Sicherung technologischer Kompetenz und hochwertiger Arbeitsplätze in
5855 Deutschland ist der Bundesregierung ein wichtiges Anliegen. Wir werden daher
5856 ressortübergreifend Maßnahmen zur Erhaltung ausgewählter wehrtechnischer
5857 Kernfähigkeiten festlegen und umsetzen.
5858
5859 Wir halten an den derzeit geltenden Rüstungsexportbestimmungen fest und set-
5860 zen uns weiter für eine Harmonisierung der Rüstungsexportrichtlinien innerhalb
5861 der EU ein. Wir treten für faire Wettbewerbsbedingungen in Europa ein und be-
5862 kräftigen den Offset-Verhaltenskodex der Europäischen Verteidigungsagentur.
5863
58646. Menschenrechte schützen - Rechtsstaatlichkeit fördern
5865
5866 Die Glaubwürdigkeit Deutschlands steht in direktem Zusammenhang mit dem
5867 konsequenten Eintreten für die Menschenrechte in der Außen- und Entwicklungs-
5868 politik. Ihre Einhaltung ist das Fundament für die demokratische, wirtschaftliche
5869 und kulturelle Entwicklung jedes Landes. Körperliche und geistige Unversehrtheit,
5870 Gedanken- und Meinungsfreiheit und die Freiheit von Diskriminierung sind unver-
5871 äußerliche Prinzipien unserer Menschenrechtspolitik. Wir wenden uns auch in un-
5872 seren auswärtigen Beziehungen gegen jegliche Benachteiligung aufgrund von Re-
5873 ligion, ethnischer Herkunft, Geschlecht oder sexueller Orientierung.
5874
5875 Der Rechtsstaatsdialog und Maßnahmen zur Stärkung der Zivilgesellschaft sind
5876 wichtige Instrumente unserer Menschenrechtspolitik, deren Wirkung kontinuierlich
5877 überprüft werden muss. Ebenso kontinuierlich wird sich die Bundesregierung welt-
5878 weit für Religionsfreiheit einsetzen und dabei ein besonderes Augenmerk auf die
5879 Lage christlicher Minderheiten legen.
5880
5881 In unserem Regierungshandeln treten wir für die weltweite Abschaffung von To-
5882 desstrafe, Folter und unmenschlicher Behandlung ein. Insbesondere Menschen-
5883 handel, Kinderarbeit, der Einsatz von Kindersoldaten, Zwangsprostitution,
5884 Zwangsheirat und Praktiken wie Genitalverstümmelung müssen geächtet und in-
5885 ternational verboten werden. Wir sehen in der Globalisierung eine Chance, den
5886 Menschenrechten weltweit zur Durchsetzung zu verhelfen und befürworten Zertifi-
5887 zierungsmaßnahmen und Initiativen verantwortungsvoller Unternehmensführung.
5888 In Partnerschaftsabkommen werden wir den Schutz der Menschenrechte berück-
5889 sichtigen und ihre Umsetzung verfolgen.
5890
5891 Wichtige Pfeiler internationaler Menschenrechtspolitik sind die internationalen
5892 Menschenrechtsschutzsysteme. Der Europarat mit dem Europäischen Gerichtshof
5893 für Menschenrechte (EGMR) sowie der Internationale Strafgerichtshof (IStGH)
5894 sind unentbehrliche Instrumente im Kampf gegen Menschenrechtsverletzungen.
5895 Insbesondere der EGMR bedarf stärkerer Unterstützung, da viele anhängige Kla-
5896 gen wegen mangelnder finanzieller Ressourcen nur sehr spät oder gar nicht bear-
5897 beitet werden können.
5898
5899 Wir setzen uns für eine Evaluierung des Rom-Statuts zum IStGH ein, mit dem Ziel,
5900 Strafbarkeitslücken zu schließen. Wir bekennen uns zu den völkerrechtlichen Ver-
5901 pflichtungen Deutschlands und treten für eine bessere Durchsetzung des Völker-
5902 strafgesetzbuchs ein. Wir unterstützen die Bestrebungen, in Nürnberg ein Institut
5903 zur Durchsetzung der Nürnberger Prinzipien zum Völkerstrafrecht einzurichten.
5904
5905 Der Menschenrechtsrat der Vereinten Nationen darf nicht zum Spielfeld nationaler
5906 Machtinteressen werden, sondern soll sich als internationales Sprachrohr gegen
5907 Menschenrechtsverletzungen etablieren. Wir werden die Menschrechtsdimension
5908 der OSZE fortentwickeln und die Stellung des OSZE-Büros für demokratische In-
5909 stitutionen und Menschenrechte (ODIHR) stärken.
5910
59117. Auswärtige Kultur- und Bildungspolitik
5912
5913 Die Auswärtige Kultur- und Bildungspolitik ist eine tragende Säule der deutschen
5914 Außenpolitik. Einer gezielten Auswärtigen Kultur- und Bildungspolitik kommt im
5915 Zeitalter der Globalisierung eine immer größere Bedeutung zu. Deutsche Kultur-
5916 einrichtungen wie das Deutsche Archäologische Institut, die Goethe-Institute, der
5917 DAAD, die Humboldt-Stiftung und die deutschen Auslandsschulen sowie Wissen-
5918 schaftskooperationen und entsprechende Zukunftsprojekte, wie zum Beispiel die
5919 Deutsch-Türkische Universität in Istanbul, sind Brücken unserer werteorientierten
5920 Außenpolitik.
5921
5922 Der Förderung der deutschen Sprache im Ausland werden wir besondere Beach-
5923 tung beimessen. Die Auswärtige Kultur- und Bildungspolitik soll Deutschland in
5924 seiner Vielfalt darstellen und das Interesse an unserem Land, unserer Sprache
5925 und unserer Geschichte und Kultur fördern. Dies sind die Grundvoraussetzungen
5926 für gute und vertrauensvolle Beziehungen zwischen Deutschland und seinen Part-
5927 nern. Heute begreift Deutschland seine Auswärtige Kultur- und Bildungspolitik
5928 noch stärker als Beitrag zur Krisenprävention, Menschenrechtsschutz und Frei-
5929 heitsförderung.
5930
5931 Dem Dialog mit dem Islam messen wir besondere Bedeutung zu. Wir achten und
5932 schätzen die reiche kulturelle Tradition der islamischen Welt und setzen uns für
5933 ein friedliches Miteinander der westlichen Demokratien mit den islamisch gepräg-
5934 ten Staaten ein. Islamisch geprägte Gesellschaften müssen ihren eigenen Weg in
5935 die und in der Moderne finden. Dabei ist es in unserem Interesse, die moderaten
5936 Kräfte in ihrem Streben nach Rechtsstaatlichkeit und Demokratie zu unterstützen.
5937 Islamistischer Terrorismus ist zunächst eine Bedrohung für die islamisch gepräg-
5938 ten Gesellschaften selbst, aber auch für uns.
5939
5940 In unserer Auswärtigen Kultur- und Bildungspolitik nehmen die innereuropäischen
5941 sowie transatlantischen Beziehungen eine besondere Rolle ein. Wir wollen diese
5942 Beziehungen durch verstärkten Kultur- und Wissensaustausch stärken. Zudem
5943 betrachten wir es als Aufgabe der Auswärtigen Kultur- und Bildungspolitik, auch
5944 die europäische Identität zu stärken und somit zur weiteren innereuropäischen
5945 Integration einen wertvollen Beitrag zu leisten. Mittel- und langfristig streben wir
5946 zwischen den EU-Mitgliedstaaten in der Auswärtigen Kultur- und Bildungspolitik
5947 Synergien in Form gemeinsamer Programme und Strukturen und der Entwicklung
5948 kooperativer europäischer Kulturinstitute an. Wir werden die Auswärtige Kultur-
5949 und Bildungspolitik finanziell bestmöglich ausstatten und verstehen dies als lang-
5950 fristige politische, kulturelle und wirtschaftspolitische Investition.
5951
5952 Die mediale Präsenz Deutschlands in der Welt durch die Deutsche Welle muss ver-
5953 stärkt werden. Hierzu können Programmangebote öffentlich-rechtlicher und privater
5954 Medienunternehmen einen Beitrag leisten. Bei der Vergabe der Mittel aus der ODA-
5955 Quote soll die Deutsche Welle stärker berücksichtigt werden.
5956
59578. Entwicklungszusammenarbeit
5958
5959 In der Verfolgung der Ziele unserer Entwicklungspolitik kommen unsere Werte und
5960 Interessen gleichermaßen zum Ausdruck. Dabei sind rechtsstaatliche Mindest-
5961 standards und die Einhaltung der Menschenrechte zur berücksichtigen.
5962
5963 Ziel der Entwicklungspolitik ist eine nachhaltige Bekämpfung von Armut und Struk-
5964 turdefiziten im Sinne der Millenniumserklärung der Vereinten Nationen. Die Stär-
5965 kung guter Regierungsführung, der Eigenverantwortung und der Selbsthilfekräfte
5966 in den Entwicklungsländern werden zentrale Bestimmungselemente für unsere
5967 Entwicklungspolitik sein. Dies erfordert die intensive Einbindung und Stärkung al-
5968 ler in der Entwicklungsarbeit Tätigen - insbesondere der Kirchen, Stiftungen und
5969 Nichtregierungsorganisationen - wie auch eine engere Kooperation mit der deut-
5970 schen Privatwirtschaft. Den politischen Stiftungen kommt dabei eine herausgeho-
5971 bene Funktion zu.
5972
5973 Unter dem Motto "Hilfe zur Selbsthilfe" und dem Gesichtspunkt der Ernährungs-
5974 souveränität werden wir uns für ein nachhaltiges internationales Engagement zur
5975 Stärkung der Landwirtschaft und der ländlichen Räume in Entwicklungsländern
5976 einsetzen.
5977
5978 Wir wollen die Wirksamkeit der Entwicklungspolitik steigern und sie durch eine
5979 Schärfung des Profils, Akzentuierung der wirtschaftlichen Zusammenarbeit, klare
5980 nationale und internationale Arbeitsteilung nach den Prinzipien der Erklärung von
5981 Paris, Steigerung der Kohärenz sowie durch eine effizientere Gestaltung der bila-
5982 teralen, multilateralen und europäischen Organisationsstrukturen und Instrumente
5983 neu ausrichten.
5984
5985 Wir werden uns auf folgende Schlüsselsektoren konzentrieren: Gute Regierungs-
5986 führung, Bildung/Ausbildung, Gesundheit, ländliche Entwicklung, Klima-, Umwelt-
5987 und Ressourcenschutz sowie die wirtschaftliche Zusammenarbeit (Ausbau/Schutz
5988 des Privatsektors, z.B. mittels PPP, Mikrofinanzsystemen und Infrastrukturförde-
5989 rung). Die bisherigen Zusagen Deutschlands für die Bewahrung der biologischen
5990 Vielfalt und die Bekämpfung von Klimawandel und Hunger sollen konsequent um-
5991 gesetzt und auch künftig bedarfsgerecht gestaltet werden.
5992
5993 Wir werden im Kontext der europäischen und internationalen Arbeitsteilung in der
5994 bilateralen Entwicklungszusammenarbeit (ODA) Deutschlands mit einer begrenz-
5995 ten Zahl von Partnerländern zusammenarbeiten. Bei der flexiblen Anpassung wer-
5996 den die Kriterien gute Regierungsführung, Bedürftigkeit, Signifikanz unserer Hilfe,
5997 Gefahrenquellen und strategische Partnerschaft wichtige Gesichtspunkte sein.
5998
5999 In der Zusammenarbeit mit fragilen und zerfallenden Staaten und Ländern mit
6000 schlechter Regierungsführung wollen wir Konzepte entwickeln, um situationsge-
6001 recht in ausgewählten Staaten Transformationsprozesse zu unterstützen. Krisen-
6002 und Katastrophenvorsorge sollen übergreifend gestaltet werden.
6003
6004 Wir werden die Zusammenarbeit mit Schwellenländern zu Partnerschaften für eine
6005 nachhaltige Gestaltung der Globalisierung in gegenseitiger Verantwortung weiter-
6006 entwickeln, insbesondere Dreieckskooperationen fördern. Wir werden uns vor al-
6007 lem in Feldern hohen gemeinsamen Interesses, wie z.B. Rechtsstaatsförderung,
6008 Umwelt- und Klimaschutz sowie Wissenschaftskooperation engagieren. Die ein-
6009 gesetzten Instrumente sollen zu möglichst marktnahen Konditionen schrittweise
6010 gegen Entgelt angeboten werden.
6011
6012 Wir werden uns für einen schnellen und entwicklungsorientierten Abschluss der
6013 Welthandelsverhandlungen einsetzen, sowie den Abbau der Agrarsubventionen
6014 und die Beendigung handelsverzerrender Fördermaßnahmen im Rahmen der
6015 WTO-Verhandlungen, den Süd-Süd-Handel und regionale Wirtschaftspartner-
6016 schaften fördern und durch Handelshilfen dazu beitragen, dass Entwicklungslän-
6017 der an der wirtschaftlichen Globalisierung Teil haben können.
6018
6019 Kredite werden wir insbesondere unter Berücksichtigung der Schuldentragfähig-
6020 keit geben. Entschuldungen von Entwicklungsländern werden wir nur unter der
6021 Voraussetzung einer transparenten Haushaltsführung, der Bekämpfung von Kor-
6022 ruption und Misswirtschaft sowie des Aufbaus einer soliden Wirtschaftsstruktur
6023 und der Stärkung der Eigenfinanzierung der Entwicklungsländer gewähren. Wir
6024 setzen uns zudem für die Implementierung einer internationalen Insolvenzordnung
6025 ein.
6026
6027Struktur der Entwicklungszusammenarbeit
6028
6029 Wir wollen die Schlagkraft der deutschen Entwicklungspolitik erhöhen, um die
6030 Wirksamkeit und Zielgenauigkeit des Mitteleinsatzes zu verbessern, insbesondere
6031 durch Auflösung von Doppelstrukturen in Regierung und Durchführung.
6032
6033 Die Reform der Durchführungsstrukturen soll mit der Zusammenführung der Or-
6034 ganisationen der Technischen Zusammenarbeit (TZ) beginnen und mit Mecha-
6035 nismen zur besseren Verknüpfung von technischer und finanzieller Zusammenar-
6036 beit verbunden werden. Die Entscheidung über die Strukturen der TZ wollen wir,
6037 gegebenenfalls unterstützt durch externe Beratung durch den Bundesrechnungs-
6038 hof, innerhalb des ersten Jahres der Legislaturperiode treffen. Zur Verbesserung
6039 der Steuerungsfähigkeit der deutschen Entwicklungspolitik werden wir die Organi-
6040 sationsstrukturen reformieren, die durch Abbau von Doppelstrukturen entstehen-
6041 den Synergien dazu nutzen, externes Personal durch Dienstkräfte zu ersetzen
6042 sowie die Außenstruktur des für die Entwicklungspolitik zuständigen Ressorts und
6043 die Präsenz in multilateralen und europäischen Strukturen verbessern.
6044
6045Architektur der internationalen Entwicklungszusammenarbeit
6046
6047 Die Überprüfung der entwicklungspolitischen Effizienz und Koordinierungsfähigkeit
6048 multilateraler Institutionen wird die Basis für unsere Initiativen zur Reform der in-
6049 ternationalen Entwicklungsarchitektur hin zu klar definierter Aufgabenstruktur und
6050 darauf basierender Arbeitsteilung sein.
6051
6052 Wir halten eine grundlegende Reform der EU-Entwicklungspolitik hin zu mehr Ko-
6053 härenz, Komplementarität und Subsidiarität für erforderlich und wollen den EU-
6054 Verhaltenskodex im Hinblick auf Prinzipien zur schlüssigen Arbeitsteilung überprü-
6055 fen. Wir werden auf eine wirkungsvolle parlamentarische Begleitung des laufen-
6056 den Europäischen Entwicklungsfonds (EEF) hinwirken und im Rahmen einer neu-
6057 en Finanziellen Vorausschau auf die Integration des 11. EEF in den Haushalt der
6058 EU hinarbeiten. Diese Integration muss mit dem deutschen entwicklungspoliti-
6059 schen Instrumentarium verzahnt werden. Wir wollen die unterschiedliche Behand-
6060 lung von Entwicklungsländern Afrikas, der Karibik und des Pazifiks im Vergleich zu
6061 Entwicklungsländern anderer Weltregionen beenden und streben eine einheitliche
6062 Entwicklungszusammenarbeit der EU an.
6063
6064 Wir wollen eine Verteilung der bilateralen sowie der europäischen und multilatera-
6065 len deutschen Leistungen im Verhältnis von zwei Dritteln zu einem Drittel errei-
6066 chen, um die Gestaltungsmöglichkeiten der deutschen Entwicklungspolitik zu er-
6067 weitern und den Wirkungsgrad der eingesetzten Haushaltsmittel zu erhöhen.
6068
6069 Wir wollen trotz Finanzkrise die internationalen Verpflichtungen zur schrittweisen
6070 Erhöhung der deutschen öffentlichen Entwicklungsleistungen auf 0,7% des BSP
6071 einhalten. Wir werden uns diesem Ziel verantwortlich im Rahmen des Bundes-
6072 haushaltes annähern. Eine Erhöhung der entwicklungspolitischen Mittel muss mit
6073 einer Effizienzsteigerung des entwicklungspolitischen Instrumentariums und der
6074 Absorptionsfähigkeit in den Entwicklungsländern einhergehen. Ein wichtiges An-
6075 liegen ist für uns auch die Stärkung der Eigenfinanzierung der Entwicklungsländer.
6076
6077 Budgethilfe und Entschuldung werden nur nach strengen, transparenten Vergabe-
6078 kriterien gewährt und fortlaufend überprüft.
6079
6080

VI. ARBEITSWEISE DER KOALITION

6081
60821. Kooperation der Parteien
6083
6084 Diese Koalitionsvereinbarung gilt für die Dauer der 17. Wahlperiode. Die Koaliti-
6085 onspartner verpflichten sich, diese Vereinbarung im Regierungshandeln umzuset-
6086 zen. Die Partner tragen für die gesamte Politik der Koalition gemeinsam Verant-
6087 wortung.
6088
6089 Die Koalitionspartner CDU, CSU und FDP werden ihre Arbeit in Parlament und
6090 Regierung laufend und umfassend miteinander abstimmen und zu Verfahrens-,
6091 Sach- und Personalfragen Konsens herstellen. Die Koalitionspartner treffen sich
6092 regelmäßig zu Beginn einer jeden Sitzungswoche zu Koalitionsgesprächen im Ko-
6093 alitionsausschuss. Darüber hinaus tritt er auf Wunsch eines Koalitionspartners
6094 zusammen. Er berät Angelegenheiten von grundsätzlicher Bedeutung, die zwi-
6095 schen den Koalitionspartnern abgestimmt werden müssen, und führt in Konfliktfäl-
6096 len Konsens herbei. Ihm gehören an die Parteivorsitzenden, die Fraktionsvorsit-
6097 zenden, die Generalsekretäre, die 1. Parlamentarischen Geschäftsführer, der Chef
6098 des Bundeskanzleramtes, der Bundesfinanzminister und ein weiteres von der FDP
6099 zu benennendes Mitglied.
6100
61012. Kooperation der Fraktionen
6102
6103 Im Bundestag und in allen von ihm beschickten Gremien stimmen die Koalitions-
6104 fraktionen einheitlich ab. Das gilt auch für Fragen, die nicht Gegenstand der ver-
6105 einbarten Politik sind. Wechselnde Mehrheiten sind ausgeschlossen. Über das
6106 Verfahren und die Arbeit im Parlament wird Einvernehmen zwischen den Koaliti-
6107 onsfraktionen hergestellt. Anträge, Gesetzesinitiativen und Anfragen auf Frakti-
6108 onsebene werden gemeinsam oder, im Ausnahmefall, im gegenseitigen Einver-
6109 nehmen eingebracht.
6110
61113. Bundesregierung
6112
61133.1 Arbeit im Kabinett
6114
6115 Im Kabinett wird in Fragen, die für einen Koalitionspartner von grundsätzlicher Be-
6116 deutung sind, keine Seite überstimmt. Ein abgestimmtes Verhalten in den Gre-
6117 mien der EU wird sichergestellt. In allen Ausschüssen des Kabinetts und in allen
6118 vom Kabinett beschickten Gremien sind die Koalitionspartner nach einem grund-
6119 sätzlich festgelegten Schlüssel vertreten. Die Besetzung von Kommissionen, Bei-
6120 räten usw. beim Kabinett erfolgt im gegenseitigen Einvernehmen nach einem
6121 grundsätzlich festgelegten Schlüssel.
6122
61233.2 Ressortverteilung
6124
6125 CDU und CSU stellen die Bundeskanzlerin und die Minister in den folgenden Be-
6126 reichen; Innen; Finanzen; Verteidigung; Arbeit und Soziales; Bildung und For-
6127 schung; Familie, Frauen, Senioren und Jugend; Ernährung, Landwirtschaft und
6128 Verbraucherschutz; Bauen, Wohnen und Verkehr; Umwelt, Naturschutz und Reak-
6129 torsicherheit; Minister für besondere Aufgaben im Bundeskanzleramt;
6130
6131 Die FDP stellt die Minister in den folgenden Bereichen: Auswärtiges; Justiz; Wirt-
6132 schaft und Technologie; Gesundheit; Wirtschaftliche Zusammenarbeit und Ent-
6133 wicklung;
6134
6135 Das Vorschlagsrecht für die jeweiligen Ämter liegt bei den verantwortlichen Partei-
6136 en.